Wilhelm Barthlott: Bionik-Pionier verpasst Schiffen ein Luftpolster
06.07.2010 -
Pioniere haben es schwer. In den 70er Jahren wurde Wilhelm Barthlotts Forschungsarbeit über superhydrophobe mikro- und nanostrukturierte Oberflächen selten verstanden und oft belächelt. Heute sind diese bahnbrechenden Publikationen vielfach zitiert und Barthlotts Entdeckung ist weit über die Grenzen der Wissenschaft hinaus bekannt. Der Lotus-Effekt ist Unterrichtsstoff in deutschen Schulen. Barthlott begnügte sich jedoch nicht mit der reinen Beschreibung des Phänomens von wasserabweisenden Oberflächen, sondern baute es in den 90er Jahren auch technisch nach: die Grundlage für viele Produkte. Die neueste Entdeckung von Barthlotts Arbeitsgruppe heißt „Salvinia“: Wird ein technisches Abbild dieses tropischen Wasserfarns einmal helfen, den immensen Kraftstoffverbrauch von Frachtschiffen zu reduzieren und einen Beitrag als Klimaretter leisten?
Wilhelm Barthlott studierte Biologie, Chemie und Physik an der Universität Heidelberg. Nach seiner Habilitation bekam er einen Ruf an die Freie Universität Berlin, die er nach drei Jahren wieder verließ, um von 1985 bis 2002 als Professor und Direktor am Botanischen Institut und des Botanischen Gartens der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn tätig zu sein. 2003 gründete er das Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, an dem er bis heute als geschäftsführender Direktor tätig ist.
Lotus: Paradebeispiel der Bionik
Während seiner Habilitation Anfang der 70er Jahre hatte Barthlott als einer der ersten in Deutschland Zugang zu einem Rasterelektronenmikroskop. Damit untersuchte er die Blattoberflächen verschiedenster Pflanzen – und entdeckte den selbstreinigenden Effekt des Lotusblattes. „Meine Publikation über diesen Effekt wurde vier Mal abgelehnt,“ erinnert sich der Professor. Die Erklärung eines Gutachters lautete: „The so called Lotus effect exists only in the phantasy of the author“. Dass die Phantasie nicht mit Barthlott durchging, erkannte die Forschergemeinde erst 20 Jahre später. Inzwischen zeugen mehr als ein Dutzend Forschungspreise – darunter der Deutsche Umweltpreis, der Philip-Morris-Forschungspreis und die Nominierung für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten – für den richtigen Riecher des Wissenschaftlers. Seine Entdeckung war die Grundlage für eine ganze Reihe von industriellen Anwendungen.
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Denn anders als vermutet ist der selbstreinigende Lotus-Effekt nicht auf eine besonders glatte Oberfläche zurückzuführen. Die superhydrophobe mikro- und nanostrukturierte Oberfläche – so die korrekte Bezeichnung des Lotus Effekts – beruht auf einer hochkomplexen, dreidimensionalen Struktur, die Schmutzpartikel auf kleinen Spitzen festhält – und nicht fest daran haften lässt. Ein abrollender Wassertropfen kann somit Schmutz leicht aufnehmen und ihn entfernen. Nicht einmal Klebstoff gelingt es, sich auf den Blättern halten. Neben schmutzabweisender Fassadenfarbe, Dachziegeln, Brillengläsern und Textilien wurde dieses Jahr in Kooperation mit der Firma Evonik ein neues Produkt auf den amerikanischen Markt gebracht, welches zur Imprägnierung von Autoreifen und Felgen dient. „Wheel Protectant ist ein Reifenspray. Es schützt vor Schlamm und Dreck und hält die Räder dank superhydrophober Oberflache schön sauber,“ erklärt Barthlott.
Die Ingenieurskunst der Natur als Vorbild
„Die biologische Vielfalt fasziniert mich seit meiner Kindheit,“ so der 64-jährige Botaniker, der in Forst bei Bruchsal geboren wurde. Mittlerweile gilt er als Spezialist und Pionier in Sachen Biodiversitäts-Forschung, Systematik, Ökologie und Evolution. „Durch Millionen Jahre an Ingenieurarbeit – biologisch gesagt Selektion und Mutation – wurden die Pflanzen auf unserem Planeten ins kleinste Detail optimiert.“ Barthlotts wissenschaftlicher Antrieb ist es, diese hochleistungsfähigen Systeme für den Menschen umweltverträglich nutzbar zu machen.
Barthlotts neueste Erkenntnis könnte dazu führen, den Energieverbrauch des weltweiten Schiffverkehrs zu reduzieren. Grundlage sind die wasserabweisenden Qualitäten des Schwimmfarns Salvinia molesta: Unter Wasser hüllt sich der Farn in ein hauchdünnes Kleid aus Luft. „Winzige schneebesenartige Härchen auf der Oberfläche halten das Wasser auf Distanz und bilden eine glatte Luftschicht“. Nach Ansicht des Bionik-Experten Barthlott könnten Containerschiffe mit einer Oberflächenbeschichtung, die nach diesem Modell entworfen wurde, durch die Verringerung der Reibung im Wasser täglich Rohölmengen von bis zu 315.000 Barrel einsparen.
In einem Forschungsvorhaben wird das Farn-Luftpolster gerade untersucht und auf seine Eignung für industrielle Anwendungen abgeklopft (mehr...). Neben dem Nees-Institut sind das Institut für Angewandte Physik am KIT Karlsruhe und dem Lehrstuhl für Strömungstechnik an der Universität Rostock beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt die vereinten Forschungsarbeiten. Erste Versuche deuten darauf in, dass die Chancen für eine Verwertung des Phänomens so schlecht nicht stehen. Bis zu einem halben Jahr bleibt eine künstlich erzeugte Luftschicht mittlerweile erhalten.