Das zergeht auf der Zunge: Fettrezeptor entdeckt

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Bisher dachten Forscher, fetthaltiges Essen sei wegen der Textur oder der gelösten Aromastoffe so verführerisch. Quelle: Thommy Weiss/pixelio.de

30.08.2011  - 

Lange vermutete die Wissenschaft, dass der Mensch gar nicht die Fähigkeit hat, Fett unmittelbar zu schmecken. Forscher des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) haben in Zusammenarbeit mit Münchner und Berliner Kollegen jetzt das Gegenteil bewiesen. Wie sie in der Fachzeitschrift Chemical Senses (Online-Veröffentlichung, 25. August 2011) berichten, konnten sie in den Geschmacksknospen der Zunge mit Hilfe einer biotechnologischen Zunge einen Rezeptor identifizieren, der auf langkettige Fettsäuren reagiert. Die Entdeckung könnte für die Ernährungswissenschaft interessant sein und möglicherweise einmal gesündere Lebensmittel hervorbringen.

Die Geschmackswahrnehmung spielt für die Nahrungsaufnahme eine wesentliche Rolle. Sie hilft uns dabei zu entscheiden, welche Nahrung dem Körper Energie und lebensnotwendige Bausteine liefert und welche besser gemieden werden sollte. Der Mensch hat 350 aktive Gene für Geschmacksrezeptoren. Nur rund 20 der daraus entstandenen Rezeptoren, die im Körper vorkommen, konnten bisher einem Geschmack oder Geruch zugeordnet werden.

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Wahrnehmung von Fetten bisher noch nicht geklärt

Die Natur hat es dabei so eingerichtet, dass wir Geschmacksvorlieben für die drei Makronährstoffe Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette entwickelt haben. Das hat in grauer Vorzeit die Versorgung mit energiereicher Nahrung verbessert. In der heutigen Zeit allerdings führt die Vorliebe für Zucker und Fett oft zu mehr Energie, als dem Körper lieb sein kann. Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten sind die Folge.

Zwei der drei Makronährstoffe haben einen eigenen Rezeptor. Kohlenhydrate, die aus Zuckermolekülen bestehen, erkennen wir mit Hilfe des Süßgeschmacksrezeptors. Die Bausteine von Eiweißmolekülen nehmen wir mit einem ähnlichen Rezeptor wahr, dem so genannten Umami-Rezeptor. Dessen Name entstammt dem Japanischen und bezieht sich auf den Wohlgeschmack der von ihm detektierten Geschmacksstoffe. Geschmacksrezeptoren, die für die Wahrnehmung von Fetten beim Menschen verantwortlich sind, konnten bisher jedoch noch nicht identifiziert werden.

Deutsches Institut für Ernährungsforschung

Hervorgegangen aus dem Zentralinstitut für Ernährung der Akademie der Wissenschaften der DDR, ist das DIfE heute Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.

Abteilung für Molekulare Genetik: hier klicken

Daher ging man bislang davon aus, dass unsere Geschmacksvorliebe für Fett hauptsächlich auf die Beschaffenheit fetthaltiger Nahrung und im Fett gelöste Aromastoffe zurückzuführen ist. Studien an Nagern sowie sensorische Tests erhärteten aber in jüngster Zeit den Verdacht, dass auch Geschmacksrezeptoren an der sensorischen Wahrnehmung von Fett beteiligt sind und damit indirekt die Fettaufnahme beeinflussen können.

Der Verdacht hat sich nun bestätigt. Maria Mercedes Galindo und Maik Behrens, beide Geschmacksforscher in der Abteilung Molekulare Genetik am DIfE, taten sich mit Kollegen der Technischen Universität München und der Charité Berlin zusammen, um zu untersuchen, ob die in Nagerstudien identifizierten Rezeptorkandidaten auch beim Menschen eine Rolle als Fettgeschmackssensor spielen könnten.

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Kandidaten wurden in zwei Stufen getestet

Jeder Kandidat musste zwei Bedingungen erfüllen. Zum einen musste er in Geschmacksknospen der menschlichen Zunge überhaupt vorkommen, also dort, wo man einen Geschmacksrezeptor erwartet. Zum anderen musste er von Fettbestandteilen wie den langkettigen Fettsäuren, die den typischen Fettgeschmack hervorrufen, aktiviert werden. Um das zu erkennen, setzten Galindo und Behrens eine biotechnologische Zunge ein. Das ist ein Testsystem aus Zellen, das mit Hilfe eines Biomarkers anzeigt, ob der untersuchte Rezeptor von einem zugegebenen Aroma aktiviert wird. Der Rezeptor namens GPR120 schaffte beide Tests.

„Dies als Beweis für die Existenz einer sechsten Grundgeschmacksqualität ‚fettig’ zu sehen, wäre aber sicher vorschnell“, sagt Wolfgang Meyerhof, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am DIfE. „Hierfür müsste man nachweisen, dass das durch den Fettrezeptor ausgelöste Signal über spezialisierte Geschmackszellen und nachgeschaltete Nervenbahnen als Geschmackssignal ans Gehirn weitergeleitet wird“, erklärt Maik Behrens. Meyerhof und Behrens forschen seit langem auf dem Gebiet des Geschmacks, 2009 entdeckten sie nicht nur vier Rezeptoren, die uns die bitterste Substanz der Welt schmecken lassen (mehr...), sondern klärten auch das Zusammenspiel der Geschmacksrezeptoren bei der Empfndung von Bitterem überhaupt auf (mehr...).

Signalproteine leiten den Reiz ins Innere der Zelle

Nichtsdestotrotz seien die Ergebnisse interessant. Nicht nur deshalb, weil jetzt erstmals gezeigt wurde, dass auch der Mensch in seinen Geschmacksknospen über einen Fettrezeptor verfügt. GPR120 gehört zur weitverbreiteten Klasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Sie sind in der Zellmembran lokalisiert und leiten von außen kommende Signale über bestimmte Signalproteine (G-Proteine) ins Zellinnere. Wegen der universellen Verwendung dieser Art von Rezeptoren haben Erkenntnisse eine große Tragweite im molekularbiologischen Verständnis der Geschmacks- und Sinneswahrnehmung.

Zukünftig wollen die Forscher ihre Ergebnisse als Basis für weitere Forschungsarbeiten nutzen, um zu klären, ob es nun eine sechste Grundgeschmacksqualität gibt oder nicht.

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