Birgit Liss: Warum manche Nervenzellen Parkinson überleben

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Birgit Liss ist Teil des Nationalen Genomforschungsnetzes und Trägerin des mit einer Million Euro dotierten Alfried Krupp-Förderpreises für junge Hochschullehrer 2007. Quelle: Universität Ulm

01.12.2009  - 

„Das Gehirn und seine Fehlfunktionen haben mich schon immer interessiert“, erinnert sich Birgit Liss. Die Fragen ihrer Doktorarbeit, stellt sich die Forscherin bis heute: Warum sterben im Verlauf der Parkinson-Krankheit bestimmte Nervenzellen ab, während andere überleben – und wie könnte man diese Unterschiede zur Entwicklung neuer Therapien nutzen? Durch Kombination verschiedener Mess- und Färbemethoden lassen sich individuelle Nervenzellen beschreiben. Ein Schlüssel zum Verständnis von neurodegenerativen Erkrankungen liegt – so glaubt Birgit Liss – in der molekularen Ausstattung von Nervenzellen.



 

Aufgewachsen in Schafflund in Schleswig-Holstein, besuchte Birgit Liss als jüngste von drei Geschwistern das naturwissenschaftliche Gymnasium im nahen Flensburg. Ihre Abiturfächer – Mathematik und Biologie – waren eine passende Grundlage für den Studiengang Biochemie/Molekularbiologie, der 1990 an der Universität Hamburg eingerichtet wird: „Alles war neu, für uns ebenso wie für die Dozenten“, erinnert sich Liss. Zehn Semester später, mit 24 Jahren, hat sie ihr Diplom in der Tasche – mit Hauptfach Gentechnik und Nebenfach Neurobiologie. Nach dem Studium wechselt sie zu Jochen Röper ans Zentrum für Molekulare Neurobiologie in Hamburg. Dort untersucht sie Nervenzellen von Mäusen mit parkinsonähnlicher Neurodegeneration und vergleicht sie mit solchen von gesunden Mäusen.

Nationales Genomforschungsnetz

In dem Programm der Medizinischen Genomforschung kooperieren Großforschungseinrichtungen, Universitäten, Kliniken und Industrieunter- nehmen bundesweit an mehr als 60 vernetzten Standorten in interdisziplinär organisierten Verbünden im Kampf gegen die großen Volkskrankheiten.

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Benachbarte Nervenzellen bleiben intakt

Im Gehirn von Parkinson-Patienten, genauer gesagt in der Substantia nigra des Mittelhirns, sterben mit fortschreitender Erkrankung bis zu 90 Prozent der Zellen ab, die den Neurotransmitter Dopamin herstellen. Das führt zu einem Mangel an Dopamin und zieht die typischen Symptome – Muskelzittern, Haltungsstörungen und Bewegungslosigkeit – nach sich. Direkt neben der Substantia nigra bleiben die Dopamin-Nervenzellen aber intakt. "Es ist unklar, warum“, sagt Liss.

Einen Verdacht hegt die Neurowissenschaftlerin aber schon, seitdem sie Doktorandin war. Damals begann sie, die molekularen Eigenheiten individueller Nervenzellen aus beiden Hirnarealen mittels der Einzelzell-Genexpressionsanalyse zu vergleichen: Aus einer einzelnen Nervenzelle wird dabei die Zellflüssigkeit herausgesaugt und auf ihren Gehalt an mRNA – das sind Bauanleitungen für Eiweiße – untersucht. Der Clou: Mit der Absaugpipette werden zuvor die elektrophysiologischen Eigenschaften der Zelle gemessen. „So lassen sich die Erregungsmuster von Nervenzellen mit ihren Genexpressionsprofilen vergleichen, um mögliche Zusammenhänge aufzudecken“, so Liss. Nervenzellen geben Informationen untereinander auf elektrischem Wege weiter. Liss untersucht, wie diese Impulse mit dem Pegel der in der Zelle erzeugten Eiweiße zusammenhängen.

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Zwischenstopp in Oxford

Ein Stipendium der Oxford Universität und ein Postdoc-Angebot von Frances Ashcroft, die sich mit denselben Ionenkanälen beschäftigte, die Birgit Liss als wichtig für Dopamin-Neurone identifiziert hatte, lockte die frisch Promovierte 1999 nach England. Im Jahr 2001 erhielt sie die renommierte Royal Society Dorothy Hodgkin Research Fellowship zum Aufbau einer eigenen Nachwuchsgruppe. Doch nach knapp vier Jahren in England zog es die junge Forscherin zurück in die Heimat. Dort wurden damals Juniorprofessuren eingerichtet und kontrovers diskutiert. Um sich selbst ein Bild zu machen, bewarb sich Birgit Liss in Berlin und Marburg und bekam von beiden Unis Zusagen. Ihre Wahl fiel auf Marburg, „weil man mir dort die bessere Ausstattung und eine Zukunftsperspektive in Form einer C2-Stelle mit Tenure-Track bieten konnte“. Die Juniorprofessorin baute ein eigenes Forschungsteam auf und verfolgt weiter die Frage nach den individuellen Unterschieden Dopamin ausschüttender Nervenzellen.

Parkinson-Medikamente wirken bei manchen Nervenzellen nicht

Im April 2007, mit 35 Jahren, folgte Birgit Liss dem Ruf der Universität Ulm zur Ordentlichen Professorin für Allgemeine Physiologie. Im selben Jahr erhielt sie den mit einer Million Euro dotierten Alfried-Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer. Erfolg hatte sie auch im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes, einer Initiative des Bundesforschungsministeriums für Bildung und Forschung. In enger Zusammenarbeit mit Jochen Röper – er forscht inzwischen an der Universität Frankfurt – machte sie folgende Entdeckungen (mehr...): „Wir konnten zeigen, dass die hochempfindlichen Dopamin-Neuronen in unterschiedlichen Parkinson-Mausmodellen in ihrer Zellmembran einen bestimmten Ionenkanal besitzen, dessen Aktivität entscheidend zum Absterben dieser Zellen beiträgt", so Liss. Im gesunden Gehirn konnten sie außerdem eine weitere Variante von widerstandsfähigeren Dopamin-Neuronen identifizieren. Eine Untergruppe dieser alternativen Dopamin-Neuronen ist besonders interessant: „Diese Nervenzellen besitzen keine Autorezeptoren für Dopamin und werden deshalb in ihrer Aktivität nicht direkt von Dopamin kontrolliert. Das bedeutet, dass hier auch einige der derzeit wichtigsten Parkinson-Medikamente nicht greifen.“

Um diese Erkenntnisse für die Parkionson-Forschung brauchbar zu machen, ist Liss in einem weiteren Projekt des Nationalen Genomforschungsnetzes aktiv. „Unser Fernziel ist es, die Aktivität der verschiedenen Dopamin ausschüttenden Zelltypen selektiv mittels Pharmaka zu beeinflussen, um so den neurodegenerativen Krankheitsprozess zu verlangsamen oder sogar aufzuhalten." Dazu soll an Mausmodellen und Dopamin-Neuronen von Parkinson-Patienten getestet werden, wodurch die Nervenzellen sich funktionell und molekular unterscheiden – sowohl im gesunden Gehirn als auch in verschiedenen Stadien der Krankheit.


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