Bitterer geht es nicht

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Auf der Zunge sitzen die Geschmackssensoren. Auch die für den bittersten Stoff der Welt.

15.10.2009  - 

Der Mensch kann sechs unterschiedliche Geschmacksqualitäten unterscheiden: süß, sauer, salzig, bitter, umami (herzhaft) und fettig. Für sie sind bisher eigene Geschmacksrezeptoren auf der Zunge bekannt. Noch ist aber nicht jeder der vielen unterschiedlichen Rezeptoren einem Stoff zugeordnet. Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) und der Universität Piemont in Italien haben nun vier Rezeptoren identifiziert, mit denen Menschen die bitterste natürliche Substanz der Welt wahrnehmen. Obwohl Forscher den Bitterstoff seit langem kennen, waren die zugehörigen Sensoren bislang unbekannt. Die Forschergruppe um Maik Behrens und Wolfgang Meyerhof vom DIfE publizierte ihre Ergebnisse im Journal of Agricultural and Food Chemistry (Online-Veröffentlichung, 9. Oktober 2009).

Der bitterste Stoff, der in der Natur vorkommt, steckt im Enzian. Die Gebirgspflanze enthält Amarogentin, das noch in einer Verdünnung von eins zu 58 Millionen deutlich wahrnehmbar ist. Das heißt, wenn man ein Schnapsglas Amarogentin in einer Wassermenge verdünnt, die etwa 5.800 Badewannenfüllungen entspricht, würde man sie immer noch schmecken. Auch wenn sich über Geschmack trefflich streiten lässt, arbeitet der Geschmackssinn doch bei allen Menschen gleich. In den Geschmacksknospen der Zunge sitzen mehrere Dutzend Sinneszellen, die den Geschmack ans Gehirn weiterleiten. Auf den Sinneszellen wiederum sitzen verschiedene Rezeptoren. Dockt eine Substanz an den für sie passenden Bitterrezeptor an, so wird ein Signal in der Zelle ausgelöst, das ans Gehirn weitergeleitet wird – wir registrieren: Es schmeckt bitter. Allgemein gilt, dass die Bitterrezeptoren vor dem Verzehr giftiger Stoffe warnen. Die Wahrnehmung des Bittergeschmacks hat deshalb wohl eine wichtige Rolle während der menschlichen Evolution gespielt. Man findet Rezeptoren für Bitteres auf der Zunge, aber auch im Bereich des Gaumens, des Rachens und des Kehlkopfs.

Die bitterste Substanz der Welt ist das Amarogentin. Es wird von Enzianen hergestellt.Lightbox-Link
Die bitterste Substanz der Welt ist das Amarogentin. Es wird von Enzianen hergestellt.Quelle: Johannes Kiefer/ pixelio.de

Große Familie von Bitterrezeptoren auf der Zunge

Im Gegensatz zu den anderen Geschmacksqualitäten ist für die Wahrnehmung des bitteren Geschmacks eine Vielzahl von Rezeptoren verantwortlich. Sie bilden die Genfamilie der T2Rs, die beim Menschen rund 25 Mitglieder aufweist. Die Gene wurden 2002 von Wolfgang Meyerhof und seiner Arbeitsgruppe am DIfE identifiziert. Die vergleichsweise große Anzahl an Rezeptoren ist leicht durch die enorme Menge bitter schmeckender Substanzen zu erklären, die erkannt werden müssen. Die Verhältnisse zwischen Bitterstoffen und den dazugehörigen Rezeptoren sind komplex. Noch ist es nicht gelungen, jedem Stoff auch einen Rezeptor zuzuordnen. Erst kürzlich konnte Meyerhof gemeinsam mit Kollegen der TU München die drei Rezeptoren dingfest machen, mit denen Menschen die Bitterstoffe im Bier wahrnehmen können (mehr...). Andersherum gibt es auch immer noch zehn so genannte verwaiste Rezeptortypen, denen die Forscher bislang noch keinen Bitterstoff zuordnen konnten.

Nach dem passenden Bindungspartner gefahndet

In der aktuellen Studie untersuchten die Forscher eine Untergruppe von acht der 25 Rezeptortypen (TAS2R43 bis 50) auf Wechselwirkungen mit verschiedenen Bitterstoffen. Wie die Wissenschaftler nun erstmals zeigen, aktiviert der Enzian-Bitterstoff Amarogentin vier dieser acht Sensoren, zu denen auch der bis dato als „verwaist“ eingestufte TAS2R50 gehört. Für diesen Rezeptortyp konnten die Forscher auch noch einen zweiten Aktivierungspartner identifizieren – nämlich den Bitterstoff Andrographolide. "Die Ergebnisse dieser Studien sind ein erster Schritt zur weiteren Charakterisierung der Rezeptoren", sagt DIfE-Forscher Maik Behrens, Erstautor der Studie.

Weder Amarogentin noch Andrographolide gehören dabei zu den sehr giftigen Bitterstoffen. Verschiedene Studien weisen sogar darauf hin, dass sie in Dosen, die eben noch im menschlichen Wahrnehmungsbereich liegen, gesundheitsförderliche Wirkungen besitzen können.

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Das Ergebnis einer Tierstudie weist beispielsweise darauf hin, dass Amarogentin zur Behandlung von Leishmaniose geeignet sein könnte. Auch Andrographolide ist therapeutisch wirksam. Diese Substanz ist in größeren Mengen in der ayurvedischen Heilpflanze Maha-tita enthalten, die auch als "king of bitters" bekannt ist. Sie wird in Südasien verwendet wird, um Infektionen zu behandeln.

Unangenehme Geschmackserlebnisse verhindern

Den Wissenschaftlern geht es in ihrer Detektivarbeit nicht nur um Vollständigkeit. "Die Aufklärung der Geschmackswahrnehmung auf molekularer Ebene ist eine wichtige Vorraussetzung, um zu verstehen, wie Nahrungspräferenzen entstehen", sagt Meyerhof. Denn die genetischen Grundlagen für die Geschmackswahrnehmung variieren von Mensch zu Mensch. Manche mögen's süß, manche eher bitter. Die große Bandbreite des Schokoladenregals im Supermarkt verdeutlicht das. Darüber hinaus eint die Menschheit aber generell eine geschmackliche Vorliebe für kalorienreiche, aber nicht unbedingt sättigende und deshalb im Effekt recht schwere Kost. Für viele Übergewichtige wäre es segensreich, ließen sich ihre eingebauten geschmacklichen Vorlieben auf gesündere Kost eichen. Mit den Erkenntnissen ließen sich aber auch unangenehme Geschmackserlebnisse verhindern. So sei es denkbar, meint Meyerhof, die Studienergebnisse zu nutzen, um Bitterblocker zu entwickeln, die den schlechten Geschmack von Medikamenten verringern.

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