Maßgeschneiderte Zuckermoleküle aus dem Automaten

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Der vollautomatische Kohlenhydrat-Synthesizer soll die Suche nach neuen Impfstoffen erleichtern. Quelle: MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung

01.04.2009  - 

Zuckermoleküle sind ziemlich komplexe Gebilde, die sich nicht so einfach herstellen lassen. Früher brauchten Forscher dafür mitunter Jahre. Seit einigen Jahren schon entwickelt der deutsche Zuckerforscher Peter Seeberger eine automatische Methode der Zuckerherstellung. Nachdem er 2001 einen ersten Prototypen vorstellen konnte, hat der Direktor vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam jetzt einen vollautomatisiertes Gerät präsentiert.

Kartoffeln, Reis und Nudeln verdanken ihren Nährwert der Stärke, einem Kohlenhydrat aus vielen aneinanderhängenden Zuckermolekülen. Weitverzweigte Kohlenhydrate können aber auch die Basis für neue Impfstoffe und Medikamente gegen Malaria, HIV und eine Reihe anderer Krankheiten bilden. Auf der 237. Tagung der American Chemical Society in Salt Lake City hat der deutsche Zuckerforscher Peter Seeberger, seit Anfang 2009 Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, einen vollautomatischen Kohlenhydrat-Synthesizer vorgestellt. Mit diesem Gerät lassen sich auch komplexe Moleküle aus vernetzten Zuckermolekülen gezielt in wenigen Stunden herstellen. Mit der bislang gebräuchlichen Technik dauerte das Monate oder gar Jahre. Eine Erfindung, für die Seeberger nun den Claude S. Hudson-Preis für Kohlenhydratchemie der American Chemical Society erhalten hat.

Mit diesem Glykochip hat Seeberger das Blut von Erwachsenen nach Antikörpern gegen den Malaria-Erreger untersucht.Lightbox-Link
Mit diesem Glykochip hat Seeberger das Blut von Erwachsenen nach Antikörpern gegen den Malaria-Erreger untersucht.Quelle: Seeberger/ ETH
Mühsame Arbeit ersetzt nun der Automat
"Unsere automatische Synthese-Anlage bietet derzeit die konkurrenzlos schnellste Methode, um komplexe Kohlenhydrate herzustellen", erläutert Seeberger. "Da es bislang keine effizienten Verfahren dafür gab, hatten Biologen und Mediziner mit Kohlenhydraten ein Problem." Oft hätten sie die Arbeit daran sogar aufgeben müssen, weil sie keine Geräte kaufen konnten, um die Stoffe zu produzieren. "Es war entnervend", erinnert sich Seeberger an frühere Zeiten.
Ein ähnliches Problem hatten Wissenschaftler, die DNA-Moleküle oder Proteine herstellen wollten, vor Jahrzehnten - ehe automatische DNA- und Protein-Synthesizer erfunden wurden. Diese Geräte revolutionierten die Genetik und die Proteomik. Seeberger hofft nun, dass dieselbe Wirkung jetzt von seinem vollautomatischen Zuckerproduzenten ausgeht und die Glykobiologie damit ein noch stärkeres Forscherinteresse auf sich zieht.

Wie Perlen auf einer Kette
Die Idee für einen Zuckerproduzenten, die die mühevolle Aufgabe automatisch erfüllt, hatte Seeberger schon vor Jahren. Bereits 2001 präsentierte er einen Prototypen, den der Deutsche damals am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA entwickelt hatte. An der ETH Zürich, der nächsten Forscherstation von Seeberger, entwickelte sein Team das Gerät schließlich weiter. Nun warten die Wissenschaftler mit einer Version auf, die vollautomatisch und daher sehr schnell brauchbare Mengen auch von bislang kaum zugänglichen Kohlenhydraten produziert. Wer das neue Gerät betreiben will, muss außerdem kein Experte in der Kohlenhydrat-Synthese mehr sein.
Die Ketten oder Netze aus Zuckermolekülen sind wegen ihrer komplizierten, verzweigten Struktur schwierig herzustellen. Daher arbeiten Wissenschaftler heute mit Molekülen, die sie aus der Natur isoliert haben, statt die Moleküle mühevoll Schritt für Schritt zu synthetisieren. "Wir stellen die Stoffe jetzt chemisch her", erklärt Seeberger: "Der automatische Synthesizer reiht einzelne Zucker, die Bausteine der Kohlenhydrate, wie Perlen einer Kette aneinander."

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Peter Seeberger: Sie wollen den Werdegang dieses Zuckerforschers kennenlernen? Dann lesen Sie unser Forscherprofil.

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Für Mediziner sind Zuckermoleküle enomr wichtig, zum Beispiel bei der körpereigenen Abwehr gegen krankheitserregende Viren und Bakterien. Die meisten dieser Mikroben tragen charakteristische Zuckermuster auf ihrer Oberfläche. Diese Kohlenhydrate erkennt das Immunsystem als fremde Stoffe und erzeugt mit Antikörpern eine Immunantwort, um die Infektion zu bekämpfen. Oft dauert es jedoch recht lange, manchmal zu lange, ehe diese Immun-Antwort erfolgt.
Malaria-Impfstoff im Visier der Forscher
"Impfstoffe trainieren das Immunsystem, spezielle Moleküle auf der Oberfläche eines infektiösen Organismus zu erkennen und schneller zu reagieren", erklärt Seeberger: "Mit dem Synthesizer können wir nicht nur eine, sondern gleich viele dieser Kohlenhydrat-Strukturen eines bestimmten Organismus herstellen." Diese werden dann darauf getestet, ob sie gegen die Mikrobe schützen können. Synthetische Kohlenhydrate, die einen Schutz versprechen, kommen als Grundlage neuer Impfstoffe in Frage. Seebergers Team konnte auf diese Weise auf der Hülle des Malaria-Erregers Plasmodium falciparum ein Zuckermolekül aufdecken, mit dem sich der Parasit Zugang zu menschlichen roten Blutkörperchen verschafft - und klärte damit das Geheimnis auf, wie die Infektion erfolgt. Mithilfe des neuen Zuckerproduktionsautomaten sind die Forscher nun dabei, einen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln (mehr...) Erste klinischen Studien sind ab 2010 geplant.

Neben dem Malaria-Impfstoff haben Peter Seeberger und seine Mitarbeiter bereits fast ein Dutzend anderer Substanzen identifiziert, die das Immunsystem stimulieren und sich nun in klinischen Studien beweisen sollen. Darunter auch Impfstoffe gegen den Aids-Erreger HIV oder Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind.

Nächstes Problem: Strukturen von Zuckermolekülen erkennen
Den Kohlenhydrat-Synthesizer, der dies erst möglich macht, wird Seeberger mit dem Start-up-Unternehmen Ancora Pharmaceuticals auf den Markt bringen, das seinen Sitz in Medford, Massachusetts hat. Das neue Gerät löst jedoch nur eines der beiden großen Probleme, die Peter Seeberger in der Glykobiologie sieht: den Bau der komplexen Moleküle. "Das andere Problem ist wie in der Genomik, etwa beim Human-Genom-Projekt, oder der Proteomik die Sequenzierung", sagt Seeberger. Denn schließlich müssen die Glykobiologen dem Synthesizer vorgeben, zu welcher Struktur er die einzelnen Zuckermoleküle verknüpfen soll. Und diese Strukturen lassen sich bislang nur mit relativ großem Aufwand bestimmen. "Wir hoffen aber, dass unser Synthesizer in der Kohlenhydrat-Forschung eine ähnliche Entwicklung anstoßen wird wie der erste automatische DNA-Synthesizer in der Genetik und Biotechnologie", sagt Seeberger. Nachdem sich DNA nämlich effizient aufbauen ließ, wurden auch die Methoden der DNA-Sequenzierung immer leistungsfähiger.

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Ein gutes Dutzend deutscher Biotech-Unternehmen hat sich der Zuckerforschung verschrieben und setzt darauf, dass sich glykobiologische Ansätze langfristig auch wirtschaftlich auszahlen. Lange Zeit war es ruhig bestellt um die Szene, doch inzwischen ist wieder Schwung hineingekommen.

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