Patente auf menschliche Stammzellen: Grundsatzurteil erwartet

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Embryonale Stammzellen dürfen nicht patentiert werden. Das hat nun der Europäische Gerichtshof entschieden.

02.07.2008  - 

Vor zehn Jahren markierte der US-amerikanische Zellbiologie James Thomson den Beginn einer neuer Ära: Als erster war es ihm gelungen, menschliche embryonale Stammzellen zu gewinnen. Damals wollte der Wissenschaftler sein Verfahren patentieren lassen. Die amerikanischen Behörden stimmten zu, das Europäische Patentamt (EPA) lehnte ab. Aufgrund seiner Beschwerde liegt der Fall nun auf dem Tisch der obersten Instanz des EPA. Experten erwarten eine Grundsatzentscheidung.

Alles begann mit einem Experiment: Aus sieben Tage alten menschlichen Embryonen hatte James Thomson, Wissenschaftler an der Universität Wisconsin, Stammzellen gewonnen und diese ein Jahr lang am Leben erhalten (1998, Science, Vol. 282, S. 1145-7). In der Forschung setzen die Experimente eine ganz neue Welle in Gang. Aus heutiger Sicht betrachtet, markieren sie den Beginn der Stammzellforschung. Schon damals war klar, dass die Entdeckungen eine große therapeutische Relevanz besitzen: Embryonale Stammzellen gelten als potentielle Alleskönner, die sich in sämtliche Zellen des Körpers entwickeln können. Über ihren Einsatz in der Forschung wird jedoch mächtig gerungen, erst kürzlich hatte sich der Deutsche Bundestag zu einer Lockerung der Gesetzgebung durchgerungen (mehr...).

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Stammzellgesetz: Im April wurde eine der schärfsten politischen Debatten im Deutschen Bundestag entschieden. Nach monatelangen Diskussionen einigten sich die Abgeordneten auf eine Verschiebung des Stichtages.

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USA gibt Patentantrag statt, Europa lehnt ab 

In den 90er Jahren, noch bevor er seine Entdeckungen veröffentlichte, wollte Thomson sicherstellen, dass er auch von einer späteren kommerziellen Nutzung profitiert. 1995 reichte er Patentanträge in den USA und Europa ein. In der Patentanmeldung wird ein Verfahren beschrieben, bei dem sich aus einem Embryo gewonnene embryonale Stammzellen über lange Zeiträume in vitro aufbewahren lassen, ohne das Potenzial zu verlieren, sich in jede beliebige Körperzelle zu entwickeln. Während das amerikanische Patentamt dem Antrag stattgab, lehnte das Europäische Patentamt (EPA) in München im Jahr 2004 ab. Die Anmeldung stünde nicht im Einklang mit dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), das die Patentierungspraxis auf europäischer Ebene einheitlich regelt. Als einen der Hauptgründe für die Zurückweisung wurde angeführt, dass als Ausgangsmaterial des offenbarten Verfahrens zur Gewinnung von Stammzellen Embryonen von Primaten (einschließlich Menschen) dienen und diese Embryonen im Laufe des Verfahrens zerstört werden. Dies wiederum würde gegen die EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Richt­linie 98/44/EG) verstoßen, die besagt, dass europäische Patente nicht für Erfindungen erteilt werden, die die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken zum Gegenstand haben.

Mit der Entdeckung von Thomson erhielt auch die Klontechnik neuen Auftrieb. Dieser Film des Howard Hughes Medical Institute auf dem Videoportal youtube zeigt, wie eine Zelle mit der Technik des somatischen Zellkerntransfers geklont wird. (auf Englisch)Quelle: youtube.com

Letzte Instanz des EPA muss nun entscheiden

Als Antragsteller hat die Wisconsin Alumni Research Foundation (WARF), die die Interessen von Thomson vertritt, dagegen Beschwerde eingelegt. Nun hat die Große Beschwerdekammer als letzte Instanz des EPA darüber zu entscheiden. Am 24. Juni fand eine Anhörung in München statt. "Es gibt keinen Grund dafür, embryonale Stammzellen von der Patentierbarkeit auszuschließen", sagte WARF-Anwalt Justin Turner. Die Richtlinie 23d des Europäischen Patentübereinkommens schließe zwar aus, Patente für menschliche Embryonen zu vergeben, das gelte aber nicht für Zellen, die aus Embryonen gewonnen würden, meinte er.

Kritiker wiederum betonten, dass auch menschliche Embryonen ein Lebensrecht besitzen. "Wir sind strikt dagegen, dass Patente auf menschliches Leben vergeben werden. Patentierung bedeutet einen kommerziellen Anreiz zur Stammzellenforschung. Das ist das Problem", sagte Christoph Then, Patentexperte der Umweltorganisation Greenpeace.

Experten erwarten Grundsatzurteil mit Signalwirkung

Am EPA seien insgesamt 41 Stammzell-Patente angemeldet, eines von ihnen beziehe sich auch auf Zellen aus menschlichen Embryonen, sagte Ruth Tippe von der Initiative "Kein Patent auf Leben". Seit Jahren beobachtet sie, welche Patente in der Stammzellenforschung angemeldet werden und zählt mit. Derzeit würden 110 Patentanmeldungen in der Stammzellenforschung geprüft, für 68 weitere Patente sei eine Prüfung beantragt. Wie es mit diesen Anträgen weiter geht, hängt wesentlich von dem Ausgang des Falls Thomson ab.

Ein deutsches Forscherteam hat Hautzellen in stammzellähnliche  Zellen umprogrammiert und dafür statt einem Cocktail aus vier Genen nur zwei benutzt.Lightbox-Link

Umprogrammierung: Wissenschaftler haben es bereits geschafft, Hautzellen zu Stammzellen umzuprogrammieren. Nun hat ein deutsches Team das Verfahren noch vereinfacht.

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Die Entscheidung über die Patentierbarkeit von Stammzellen ist ziemlich knifflig, denn normalerweise ist es nicht die Aufgabe eines Patentamtes über moralische Fragen zu urteilen. Die eigentliche Prüfung besteht darin, ob das Verfahren oder Produkt innovativ ist. So ist der elektrische Stuhl genauso patentiert wie neue Waffentechnologien. Patentrechtler führen jedoch die Grenze der guten Sitte an – diese gilt etwa für Briefbomben. Ob sie auch auf menschliche embryonale Stammzellen angewandt werden soll, darüber hat die Große Beschwerdekammer nun zu entscheiden. Experten sehen das EPA-Urteil deshalb mit großer Signalwirkung.

Rechtliche Auslegung der EU-Richtlinie umstritten

"Die Richtlinie 23d muss im Licht der europäischen Grundrechtecharta gesehen werden. Danach ist es verboten, aus dem menschlichen Körper oder Körperteilen finanziellen Profit zu schlagen. Man darf natürlich nicht mit Körperteilen handeln. Das gilt aber nicht für Zellen, die aus dem Körper entnommen werden", erläutert WARF-Anwalt Justin Turner die Sicht des Wissenschaftlers. “Es geht bei den Patenteinsprüchen nicht um die Entwicklung von Therapien oder die Stammzellforschung insgesamt. Es gibt viele Ansätze, bei denen Stammzellen gewonnen werden, die ethisch nicht so problematisch sind wie im Falle des Patentes von Thomson”, sagt wiederum Christoph Then, Patentexperte für Greenpeace. “Entscheidend ist, dass die in den Patenten beanspruchten Verfahren weder die Zerstörung noch die Produktion von Embryonen betreffen”, so Then weiter. “Wenn diese Unterscheidung im Patentrecht nicht beachtet wird, droht in Europa die Entstehung einer regelrechten Embryonenindustrie.”

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Zeitpunkt der Enscheidung offen

Wann die Große Beschwerdekammer über den Fall entscheiden wird, blieb auch nach der Anhörung offen. "Vielleicht schaffen sie es, vor der Sommerpause eine Entscheidung zu fällen", sagte EPA-Sprecher Rainer Osterwalder.

Die WARF hat die Große Beschwerdekammer zudem darum gebeten, die Meinung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache einzuholen. Das EPA habe "mit der Europäischen Union im Grunde nichts zu tun", sagte Turner. Obwohl das Amt EU-Recht umsetzt und im Falle Thomsons auch interpretiert, ist es keine Institution der Europäischen Union. Das EPA befüchtet indes einen Verlust seiner Souveränität, sollte der Europäische Gerichtshof beteiligt werden. Auch die Entscheidung über diesen Antrag steht noch aus.

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