Von der Natur abgeschaut: Bionik-Projekte vom BMBF prämiert

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Der Igel dient Forschern der Universität Freiburg als Vorbild: Mit seinen dichten, felxiblen Stacheln kann er Stöße gut abfedern. Quelle: pixelquelle.de

20.06.2007  - 

Sei es der extrem belastbare Seidenfaden einer Spinne, pflanzliche Wundheilungsmechanismen oder das Sonar von Fledermäusen  – für Ingenieure bietet die Natur reichlich Inspiration. Wenn sich Techniker auf natürliche Vorbilder stützen, dann sprechen Experten von „Bionik“. Dieses Forschungsfeld gewinnt auch in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bionische Projekte bis zum Jahr 2010 mit insgesamt 50 Millionen Euro. Ein Teil davon fließt in den Wettbewerb "Bionik - Innovationen in der Natur", der anwendungsorientieren wissenschaftlichen Projekten den Sprung in die Wirtschaft erleichtern will. Während die ersten sechs Gewinner aus der ersten Förderrunde bereits Produkte am Markt platzieren, mussten sich die Bewerber in Runde zwei vom 19. bis 20. Juni einer Expertenjury in Berlin präsentieren. Aus 20 aussichtsreichen Ideen wurden dabei die sechs besten für eine Förderung in Höhe von drei Millionen Euro ausgewählt.

Mögliche Anwendungen bionischer Produkte lassen sich in einer ganzen Reihe von Gebieten finden: Ob Automobilbau, Luft- und Raumfahrttechnik, Medizin, Materialbau oder Robotik, überall greifen Ingenieure vermehrt auf natürliche Vorbilder zurück. Allerdings geht es dabei nicht um das reine Kopieren, sondern um das Lernen von der Evolution. "Die Bionik schlägt eine Brücke zwischen Biologie und Technik", betonte der parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel in Berlin.

Vereiste Oberflächen sind in der Industrie oft ein Problem. In der Natur existieren Eiweiße, die als natürlicher Frostschutz dienen können.Lightbox-Link
Vereiste Oberflächen sind in der Industrie oft ein Problem. In der Natur existieren Eiweiße, die als natürlicher Frostschutz dienen können.Quelle: pixelquelle.de

An Ideen jedenfalls mangelt es nicht – das hat der BMBF-Ideenwettbewerb „Bionik – Innovationen aus der Natur“ bereits in den vergangenen Jahren eindeutig gezeigt. Gestartet im Jahr 2003 soll das Programm Wissenschaftlern erleichtern, eine theoretische Idee auch tatsächlich in der Praxis umzusetzen. Dabei werden in einer ersten Stufe die aussichtsreichsten Konzepte für die Förderung einer Machbarkeitsstudie ausgewählt. Auf der Basis der Ergebnisse erhalten dann die besten sechs Projekte nochmals eine finanzielle Unterstützung, um die Marktreife der angedachten Produkte voranzutreiben. In zwei Wettbewerbsrunden waren dabei Forscher aus ganz Deutschland aufgerufen, Ideen für möglichst vielversprechende anwendungsorientierte Bionik-Projekte einzureichen. Die Resonanz war dabei enorm. Schon in der ersten Runde des Wettbewerbs trafen rund 150 Ideenskizzen ein, ebensoviele landeten nun auch in der zweiten Runde auf dem Tisch des BMBF. Während in der ersten Runde 30 Konzepte für eine Machbarkeitsstudie ausgewählt wurden, kamen in der zweiten Runde insgesamt 20 Teams in den Genuss dieser finanziellen Unterstützung von jeweils 50.000 Euro über einen Zeitraum von neun Monaten.

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Im Bionik-Kompetenznetzwerk BIOKON e.V. sind eine Vielzahl von Forschungsgruppen vertreten, die sich mit dem Potenzial der Natur in den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten beschäftigen.

www.biokon.net

Im Rahmen einer Veranstaltung im Berliner Technikmuseum, die vom 19. bis 20. Juni stattfand, hatten nun alle 20 Teams aus Runde zwei die Möglichkeit die Ergebnisse aus ihren Machbarkeitsstudien zu präsentieren und sich vor der Expertenjury unter Leitung von Professor Klaus Obermayer von der Technischen Universität Berlin zu bewähren. Die Projekte deckten dabei eine sehr breite thematische Palette ab und reichten von neuen Materialien, Werkstoffen oder Stukturen bis hin zu innovativen Oberflächen, Ortungssystemen oder Robotikelementen. Ob Meeresalgen, Wüstenkäfer, Igel, Spinne, Bienen oder Fledermäuse - auch die natürlichen Vorbilder waren bunt gemischt.

Wüstenkäfer gibt Anregung für Klebstoff

So hat beispielsweise Oliver Betz von der Universtät Tübingen die außergewöhnliche Klebzunge eines bestimmten Käfers der Gattung Stenus im Visier, die er für die Entwicklung eines neuen Klebstoffes nutzen will. Wie der Wissenschaftler berichtete, besitzt der Käfer einen ziemlich effizienten Apparat, der gleichzeitig klebt und fängt: Mit einer blitzartig herausschnellenden Zunge, die mit einer klebrigen, emulsionsartigen Flüssigkeit benetzt ist, fängt das Insekt gezielt seine Beute ein. Bei den detaillierten Untersuchungen der Forscher stellte sich nun heraus, dass dieses System äußerst gut arbeitet. Die klebrige Zunge des Insekts haftet sofort bei der ersten Berührung und funktioniert auf jeder Oberfläche, egal mit welcher Rauhheit sie ausgestattet ist. Aus diesem Grund haben die Wissenschaftler um Betz nun zum Ziel, die chemische Zusammensetzung der Insektenflüssigkeit herauszufiltern und anschließend im Labor als umweltfreundlichen Klebstoff nachzubauen.

Natürliche Spinnenseide im Blick durch ein Elektronenmikroskop.Lightbox-Link
Natürliche Spinnenseide im Blick durch ein Elektronenmikroskop.Quelle: AMSilk
Wenn Bakterien Spinnenseide herstellen: Mithilfe biotechnologischer Tricks bringt Thomas Scheibel von der TU München die Mikroorganismen dazu, Spinnenseide zu produzieren. Dieses Projekt wurde nun im Rahmen des BMBF-Wettbewerbs für eine weitere Förderung ausgewählt.  mehr

Ein anderes Projekt um Deane Harder von der Universität Freiburg hat sich wiederum eines ganz konkreten Problemes angenommen – nämlich der Entwicklung von möglichst stoßabdämpfenden Paletten, auf denen empfindliche Geräte wie PC-Server über lange Strecken transportiert werden können. Der Blick in die Natur hat die Wissenschaftler zu den Igeln geführt, die einen Aufprall mit ihren flexiblen Stacheln wunderbar abfedern können. „Wir können die Natur aber nicht einfach kopieren, sondern haben darauf aufbauend ein für Paletten passendes System entwickelt“, erläuterte Harder in seinem Vortrag. Dabei integrierten die Forscher noch eine ganze Reihe anderer bionischer Elemente, die sie noch weiteren Pflanzen und Tieren abgeschaut haben, um an möglichst vielen Punkten die Nutzungsfreundlichkeit der Palette zu steigern.

Von Delfinen und Pflanzen lernen

Für eine weitere Förderung im Rahmen des BMBF-Wettbewerbs wurde schließlich sechs andere Projekte ausgewählt (siehe unten stehende Tabelle), die eine ganze Reihe unterschiedlicher Produkte im Sinn haben: Angefangen bei der biotechnologischen Produktion von Spinnenseide, über der Herstellung von Schäumen, die Risse von selbst abdichten können sowie Lacken, die Frostschutzproteine enthalten, bis hin zu neuen Ultraschalldiagnostika auf der Basis des Biosonars von Fledermäusen und Delfinen. Für die sechs Gewinner, die  im Rahmen der Berliner Veranstaltung offiziell von Staatssekretär Rachel prämiert und ausgezeichnet wurden, stellt das BMBF nun insgesamt drei Millionen Euro zur Verfügung.

Rattenscharfe Messer sind gefragt

Dass vom Wettbewerb geförderte Projekte tatsächlich auch den Sprung in den Markt schaffen können, zeigt unter anderem eine Idee des  Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Oberhausen. Die dortigen Wissenschaftler hatten sich in der ersten Runde des Wettbewerbs mit ihrer Idee für rattenscharfe Messer durchgesetzt. Ihr natürliches Vorbild waren die Zähne von Ratten, die einen selbstschärfenden Mechanismus haben und deshalb nie stumpf werden. Dieses System haben die Forscher nun auf industrielle Schneidemaschinen übertragen - inzwischen ein gefragtes Produkt, wie die Wissenschaftler in Berlin berichten konnten.

Alle sechs geförderten Projekte im Überblick

Thema/ KoordinationIdee

"Rekombinante Herstellung und Verspinnung von Spinnenseide"

Thomas Scheibel, Technische Universität München

www.fiberlab.de

Im Rahmen der Machbarkeitsstudie konnte ein Verfahren entwickelt werden, das die Produktion von Spinnenseide-Proteinen durch Bakterien als Rohmaterial und die anschließende Verspinnung in qualitativ hochwertige Fasern umfasst. Langfristig soll nun sowohl die Seidenproteinlösung als auch der Spinnprozess optimiert werden, um eine Demonstrationsanlage zu entwickeln, die eine zukünftige Umsetzung in den Industriemaßstab erlaubt. 

"Von pflanzlichen Gradientenmaterialien zu optimierten Faserverbundwerkstoffen"

Ingo Burgert, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam

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Auf der Basis natürlicher Einbettungskonzepte von Fasern in die pflanzliche Matrix sollen technische Faserverbundstoffe entwickelt und optimiert werden. Durch die Gestaltung eines graduellen Übergangs zwischen Faser und Matrix sollen die besonders kritische Eigenschaften der Grenzfläche verbessert und ein Prototyp eines hierarchisch strukturtierten Faserverbundwerkstoffes mit Mikrograduierunge auf verschiedenen strukturellen Ebenen nach dem Vorbild der Natur produziert werden.

"Bionisches Farbsonar - die nächste Generation der Ultraschalldiagnostik nach dem Vorbild des Biosonars der Fledermäuse und Delfine"

Rudolf Bannasch, EvoLogics GmbH Berlin

www.evologics.de

Fledermäuse können mittels ihres Biosonars Beutetiere klassifizieren, Delfine sind in der Lage, mühelos verschiedene Materialien von einer gewissen Entfernung aus zu unterscheiden. Bei dieser Erkennung spielt insbesondere die Erfassung verschiedener akustischer Informationen, die sich im Frequenzspektrum der akustischen Signale widerspiegeln, eine Rolle. Dieses Prinzip soll genauer analysiert werden. Es wird eine farbliche Darstellungsform der akustischen Information entwickelt, die das menschliche Auge gewissermaßen auf einen Blick erfassen und vergleichend bewerten kann.

„Bionisches Schwingungserregersystem“

Jörg Melcher, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Braunschweig

Der Schwänzeltanz der Honigbiene ist eines der höchstentwickelten Kommunikationsmittel unter Insekten. Dabei spielt die wächserne Struktur der Bienenwaben die Rolle eines wichtigen Mediums für Vibrationen, die über die Füße auf die Wabe übertragen werden. Die Waben sind dynamisch perfekt an das Anregungsspektrum und die Schwingungssensoren der Bienen an die Tanz- und Wabenfrequenzen angepasst. Daraus entstand die Idee für ein innovatives Schwingungserregersystem- bzw. Aktuatorsystem, das für technische Anwendungen in der Adaptronik und der Messtechnik nutzbar gemacht werden soll.

„Vom biologischen Vorbild zum bionischen Produkt: Wundheilung bei Pflanzen als Ideengeber für selbstreparierende technische Materialien“

Olga Speck, Universität Freiburg

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Pflanzen haben im Laufe ihrer Evolution eine spezielle Fähigkeit zur Wundversiegelung und -heilung entwickelt. Risse in Pflanzengeweben werden vor allem durch den Innendruck und die mechanischen Eigenschaften der Zellwand schnell wieder geschlossen und anschließend repariert. Schwerpunkt dieser Studie ist die Verbesserung der Rissversiegelung geeigneter bionischer Beschichtungen von pneumatischen Strukturen, die aus beschichteten Membranen bestehen, die durch Luftdruck in Form gebracht werden. Des Weiteren werden Untersuchungen zur Wiederherstellung der mechanischen Eigenschaften der entsprechenden Membran im Bereich der Reparaturstelle durchgeführt.

„Biomimetische Frostschutzoberflächen auf Basis Peptid-funktionalisierter Lacke“

Ingo Grunwald, Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung, Bremen

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Die Eisbildung an technischen Oberflächen, wie z.B. Flugzeugtragflächen, Stromkabeln usw., stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Betriebssicherheit dieser Systeme dar. Verschiedene Lebewesen können bei Temperaturen weit unter dem Nullpunkt über Wochen und Monate überleben, da sie in der Lage sind, die Eiskristallbildung in ihren Zellen mit Hilfe von den Gefrierpunkt herabsetzenden Frostschutzproteinen zu verhindern. Es soll untersucht werden, ob durch Immobilisierung dieser in vielen Lebewesen vorkommenden Antifreeze Proteine z. B. auf Lackoberflächen die Eisbildung verhindert werden kann. 

Bionik

Rattenzähne stehen als Vorbild für sich selbst schärfende Messer. Das Projekt ist ein Beispiel für das Forschungsfeld der Bionik. Der Film "Innovationen der Natur" stellt drei Bionik-Beispiele näher vor, die vom BMBF gefördert wurden.
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Im Bionik-Kompetenznetzwerk BIOKON e.V. sind eine Vielzahl von Forschungsgruppen vertreten, die sich mit dem Potenzial der Natur in den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten beschäftigen:  www.biokon.net


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