Forscher programmieren Stammzellen per Spritze

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Sieht aus wie ein astronomisches Ereignis: Per Mikroinjektionsnadel wird ein Cocktail aus RNA-Molekülen in Stammzellen gespritzt. Ein Farbstoff bringt die Nadelspitze zum Leuchten. Quelle: MPI-CBG

20.12.2011  - 

Auch im Gehirn gibt es Stammzellen, sie sind für Neuroforscher ein Schlüssel, um die Regenerationsfähigkeit unseres Denkorgans zu ergründen. Um neurale Stammzellen besser zu verstehen, wollen Molekularbiologen ihre Eigenschaften beeinflussen. In der Kulturschale funktioniert das bereits recht gut. Doch ihre besonderen Eigenschaften behalten Stammzellen nur, wenn sie in ihre natürliche Umgebung im Hirngewebe eingebettet sind. Forscher vom Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik haben nun eine winzige Spritze eingesetzt, um einzelne Stammzellen in Gewebeschnitten mit einem Cocktail aus RNA oder Proteinen zu manipulieren. Die Forscher berichten im Fachjournal Nature Neuroscience (2011, Online-Vorabveröffentlichung).

Das Verhalten von einzelnen Stammzellen in ihrer natürlichen Umgebung im Gewebe zu erforschen, ist bislang ein schwieriges Unterfangen: Herkömmliche Methoden zur Veränderungen von Erbanlagen wirken meist nicht sofort –  somit lassen sich auch keine direkten Folgen beobachten. Zudem ist die Anzahl der gleichzeitig beeinflussbaren Gene gering. Molekularbiologen suchen deshalb nach Wegen, wie sich direkt gleich ganze Komplexe von Genen auf einmal manipulieren lassen. Forschern um Wieland Huttner vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik Dresden ist es nun gelungen, Stammzellen direkt im sich entwickelnden Gehirngewebe von Mäusen umzuprogrammieren.

Reprogrammieren

...ist eine bedeutende Technik in der Stammzellforschung geworden, mit der sich Körperzellen zu Stammzellen umwandeln lassen. Wichtige Meilensteine:

Juni 2007: Von der Hautzelle zur Stammzelle: Umprogrammierung mit gentechnischen Tricks

November 2007: Molekulare Verjüngungskur: Von menschlichen Körperzellen zu vielseitigen Stammzellen

April 2009: Stammzellen ohne Gentransfer hergestellt

Juli 2009: Chinesische Forscher züchten Mäuse aus Hautzellen

Januar 2010: Hautzellen direkt zu Nervenzellen umprogrammiert

Oktober 2010: Forscher erzeugen Stammzellen per RNA-Trick

Technik der Mikroinjektion verfeinert

Dazu haben die Forscher die Technik der Mikroinjektion für den Einsatz bei neuralen Stammzellen verfeinert. Mit einer extrem feinen Glasnadel ist es ihnen gelungen – quasi per Spritze – einen ganzen Cocktail aus RNA, also verschiedene Bauanleitungen für Eiweißmoleküle, in einzelne Zellen zu injizieren. Damit konnten sie sogar das eigentliche Entwicklungsprogramm der Zelle überschreiben und ihr weiteres Schicksal beeinflussen. Den Forschern leistete dabei eine Tüftlerarbeit aus der institutseigenen Werkstatt gute Dienste. Für die Mikroinjektionen an hauchdünnen Hirngewebeschnitten konstruierte das Werkstatt-Team ein Spezialgitter aus Messing. Damit kann das gerade mal einen viertel Millimeter dünne Gewebe fixiert werden. Dann injizierten die Forscher mit einer feinen Nadel einen Mix verschiedenster Boten-RNAs in die Zelle. Per Mikroinjektion ist es nun möglich, Tausende von Genen gleichzeitig in ein und derselben Zelle zu beeinflussen. Der Vorteil: Die Auswirkung wird sofort sichtbar.

Modus der Zellteilung umprogrammiert

Die neuralen Vorläuferzellen in den Gewebeschnitten, die sich das Team um Huttner vorgenommen hatte, verhielten sich ganz normal wie Zellen in einem lebenden Organismus. Bei der Mikroinjektion bestimmter Boten-RNA-Cocktails veränderten dieses die weitere Entwicklung. So schalteten sie bei der Zellteilung vom eigentlichen  Modus „asymmetrischen Teilung“, bei der eine Stammzelle und eine Nervenzelle entstehen, um auf „symmetrische Teilung“, bei der einzig neue Stammzellen entstehen. Nach Ansicht der Forscher ist ihre Methode ein vielversprechender Ansatz, um die Funktionen von bestimmten Genen unmittelbar in Zellen in ihrer natürlichen Umgebung nachzuprüfen. „Die Methodik, die wir hier etabliert haben, eröffnet völlig neue Möglichkeiten, um neurale Stammzellen im Gehirn zu untersuchen und zu beeinflussen“, so Wieland Huttner. Insbesondere kann damit in der Zukunft das Verhalten von Stamm- und Vorläuferzellen verschiedener Tierarten simuliert werden, von der Maus bis hin zum Menschen. Auch bei Tieren, die sich genetisch nur schwierig verändern lassen, ließen sich Stammzellen mittels der Mikroinjektionstechnik untersuchen. Ein Ziel der Forscher ist es, auf diesem Weg jene Gene zu identifizieren, die für das besondere Verhalten menschlicher Nervenstammzellen verantwortlich sind.

© biotechnologie.de/pg

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