Lebende Medikamente aus der Pharmaschmiede
30.11.2011 -
Stammzellen und Gentherapie – beide Forschungsgebiete sind in den vergangenen Jahren vor allem durch Dämpfer oder gar Rückschläge aufgefallen. Zugelassene Therapien gibt es bisher keine – trotz großer Forschungsanstrengungen. Die Apceth GmbH in München ist verwegen genug, beide Ansätze zu verbinden und trotzdem auf Erfolge zu hoffen. Das Unternehmen wird im Rahmen der Spitzencluster-Initiative „m4 – eine neue Dimension in der Medikamentenentwicklung“ gefördert, die in der Biotech-Region München verankert ist. Der Cluster war einer der Gewinner des Spitzencluster-Wettbewerbs im Jahr 2010.
Dem Besucher zeigt die Unternehmenschefin Christine Günther gleich zu Beginn den Stolz des Unternehmens: die „amtliche Herstellungserlaubnis nach §13 des Arzneimittelgesetzes.“ Dass einer eigentlich schlichten behördlichen Urkunde der Regierung Oberbayern Ikonenstatus zuerkannt wird, das hängt damit zusammen, dass sich Apceth mit einer neuen Form zellbasierter Gentherapie auf absolutem Neuland bewegt. Das bestätigt auch Ralf Huss, bis vor kurzem noch Global Head Therapeutic Cell Initiative bei Roche und seit dem 1.Oktober wissenschaftlicher Leiter bei Apceth: „Ich kenne weltweit kein vergleichbares Unternehmen.“ Weder Pharmakonzerne noch Wagniskapitalinvestoren seien bereit gewesen, die ambitionierte, aber frühe Forschung von Apceth zu unterstützen. „Viele haben sich an neuen Therapieansätzen schon die Finger verbrannt. Der Kapitaleinsatz und das Risiko erschienen für sie zu langfristig“, so Huss, der auch während seiner Zeit bei Roche Gesellschafter von Apceth geblieben ist. Über einen gemeinsamen Bekannten lernte er Thomas Strüngmann kennen, dem er seine Idee präsentierte. Mit Erfolg. Über die Santo Holding GmbH, dem Beteiligungsarm des Strüngmannschen Family Offices, hat die Firma seither einen zweistelligen Millionenbetrag erhalten.
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Stammzellen: "Lebende Medikamente"
Apceth setzt auf mesenchymale Stammzellen (MSCs) aus dem Knochenmark. „Lebende Medikamente“, wie das Geschäftsführerin Günther nennt. Am weitesten fortgeschritten ist die Anreicherung autologer Stammzellen, die direkt aus dem Knochenmark des Patienten entnommen, angereichert und wieder verabreicht werden. Sie könnten zur Therapie der arteriellen Verschlusskrankheit dienen. Eine Dosis beträgt rund eine bis zwei Millionen Zellen pro Kilogramm Körpergewicht, die systemisch per Infusion gegeben werden. Eine Medikamentencharge hält tiefgefroren etwa drei Monate – eventuell sogar ewig. „Um das zu belegen, brauchen wir aber noch mehr Daten“, sagt Felix Herrmann, für die präklinische Entwicklung bei Apceth zuständig. Derzeit läuft bereits eine klinische Phase I mit 30 Probanden. Neben der somatischen Stammzelltherapie nutzt das Unternehmen andererseits die Neigung von bestehenden Stammzelllinien, sich in Geweben mit geringer Sauerstoffkonzentration anzusiedeln, wie zum Beispiel in einem Tumor. Der Trick: Die Zellen wurden zuvor genetisch so verändert, dass sie in der Lage sind, das Medikament Gancyklovir von einer inaktiven Vorstufe in den eigentlichen Wirkstoff zu verstoffwechseln. „Eine lokale und nachhaltige Therapie wäre ein echter Fortschritt in puncto Effizienz und Nebenwirkungen“, erklärt Günther. 2012 sollen klinische Tests der Phase I beginnen. Labortests haben gezeigt, dass die Zellen, die genetisch verändert wurden, genetisch stabil sind. Ob überhaupt und in welches Gewebe sie sich aber nach der Verabreichung differenzieren, das ist nicht bekannt. Neuland eben, wie fast alles bei Apceth.
Lohnherstellung als drittes Standbein
Das Unternehmen bedient sich zudem noch eines dritten Standbeins, das im Hause Strüngmann Tradition hat. Schon der Generikakonzern Hexal, der von den Brüdern aufgebaut und schließlich für mehr als 5 Mrd. Euro an Novartis verkauft wurde, produzierte für Dritte. „Zum einen um ein Gefühl für den Markt, zum anderen um eine echte Benchmark für interne Prozesse im Hinblick auf Preis/Leistung zu bekommen“, so Helmut Jeggle, der im Family Office den Bereich Life Science betreut und zugleich Finanzchef bei Apceth ist. So produziert auch das Biotech-Unternehmen Zelltherapeutika im Auftrag von Pharma- und Biotech-Kunden. Neben finanziellen Zuwendungen nutzt Apceth auch das Know-how der Hexal-Gründer. Zuvor waren die Reinräume mit einer Verblisterungsanlage gefüllt, die von einer Tochtergesellschaft der Santo betrieben wurde. Da Aufgrund einer Gesetzesänderung die Verblisterung limitiert wurde, und die Projekte der Apceth spannender waren, wurden die Räume umgewidmet. Der Ausbau des Firmensitzes am Max-Lebsche-Platz gegenüber dem Klinikum Großhadern war nicht möglich. Mit dem zusätzlichen Standort umschifft Apceth einen Engpass in der Produktion der Stammzelltherapeutika. Deren Herstellung ist zeitintensiv. Mit nur zwei Chargen ist ein Reinraum bisher einen Monat belegt.
Genauso komplex wie die Herstellungsprozedur sind auch die behördliche Voraussetzungen. Etablierte Zulassungspfade? Konkrete Erfolgsbeispiele? Das alles gibt es noch nicht. Genausowenig wie Vorbilder für Apceths Therapieansätze. Alles ist neu. „Vom Medium über die Qualitätssicherung bis hin zur Kryokonservierung – wir haben alles selbst entwickelt“, sagt Christoph Peter, der Leiter der Produktion. Und so lernt nicht nur das Unternehmen stetig dazu, sondern auch die Regierung in Oberbayern. Weitere Urkunden sollen folgen.