Gentherapie im Reifeprozess

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Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hatte zur Abendveranstaltung "Gentherapie im Blickpunkt" geladen. Quelle: biotechnologie.de

29.11.2011  - 

Es herrscht wieder Aufbruchstimmung bei den Gentherapeuten. Das molekularmedizinische Verfahren wird sich künftig auch in Deutschland etablieren. Zu diesem Fazit kamen zumindest Experten auf dem Podium der Abendveranstaltung „Gentherapie im Blickpunkt“ am 24. November in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Eingeladen hatte die „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht“ der Wissenschaftsakademie. Die Gentherapie hat eine kurze aber bereits wechselvolle Geschichte hinter sich. Nach übersteigerten Erwartungen läutete eine Reihe von Rückschlägen Ende der 1990er Jahre eine Phase der Skepsis ein. Doch die scheint nun beendet.

Mit einer Analogie aus der Bibel begann Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung für Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, seinen Vortrag in Berlin: „Du solt ehebrechen“ heißt es im 2. Buch Mose (Vers 20,14). Dieser ungewöhnliche Fehler unterlief dem Setzer der sogenannten „Ehebrecher-Bibel“ aus dem Jahr 1731. Jetzt stelle man sich vor, man würde diesen Fehler korrigieren und das kleine Wörtchen „nicht“ elegant einfügen wollen, so Fehse. Die Bibel steht mittlerweile im Regal einer alten, recht ansehnlichen Bibliothek. Der Korrektor mit seinen Stiften darf aber aus Denkmalschutzgründen die Bibliothek nicht betreten – und wirft daher seine Stifte tapfer in Richtung Bibel. Im festlichen Rahmen des Einsteinsaals wurde unter der Leitung von Silke Domasch (BBAW) diskutiert, welche „Stifte“ wohl die besten Flugeigenschaften hätten und ob man mittlerweile doch schon ein, zwei Schritte in die Bibliothek hinein gehen könne. Die Stifte stehen in diesem Fall für intakte Gene, die Bibel für das Erbgut einer Zelle und Vers 20,14 für eine Mutation.

Gentherapie ist nicht gleich Genkorrektur

Laut Fehse würde bei einer idealen Gentherapie das defekte Gen an Ort und Stelle im Genom korrigiert werden: „Die normale Genregulation bleibt erhalten und es sind keine Nebenwirkungen zu erwarten.“ Leider sind die Techniken für eine solche Genkorrektur noch nicht effizient genug. Daher bringen alle laufenden Gentherapie-Ansätze eine funktionelle Genkopie zusätzlich in die Zelle.  Die „Ehebrecher-Bibel“ würde man dann nicht mit Stiften korrigieren. Man würde stattdessen einfach nur ein Blatt Papier mit den entsprechenden Korrekturangaben einlegen. Mehr nicht. In den meisten Fällen reicht es für einen Therapie-Effekt aus, wenn die korrekte Genversion in der Zelle abgelesen wird. „Die fehlerhaften Produkte des mutierten Gens sind in den seltensten Fällen per se toxisch. Es reicht aus, den Ausfall der Funktion aufgrund dieses defekten Proteins über das Einbringen intakter Proteine auszugleichen“, so Fehse.

Kostenvorteil Gentherapie?

Viele Hoffnungen in die Gentherapie wurden in den 1990er Jahren enttäuscht. Fehse: „Auch die Zahl klinischer Studien weltweit –von 14 im Jahr 1992 auf 116 1999 gestiegen – stagniert seit einigen Jahren bei ungefähr 100 pro Jahr.“ Doch mittlerweile kann man auf einzelne Erfolgsgeschichten zurückblicken. Fehse führt Erfolge bei verschiedenen Formen des schweren kombinierten Immundefekts (SCID), in der AIDS-Therapie und bei der Krebsbekämpfung an.

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Ursprünglich dachte man, dass die Gentherapie einen entscheidenden Beitrag bei der Heilung von monogenetischen Erkrankungen wie SCID spielen könnte (mehr...). Momentan werden aber nur etwa 8 Prozent der Studien auf diesem Gebiet durchgeführt. Fast zwei Drittel haben sich den Kampf gegen den Krebs mit zum Beispiel „onkolytischen Viren“ auf die Fahnen geschrieben. Fehse schloss seinen Vortrag mit einem optimistischen Blick in die Zukunft: „Krankheiten mit Hilfe von Gentherapien zu heilen wird immer realistischer. Da es sich um eine Einmaltherapie handelt, wird sie gegenüber konventionellen Therapieformen bald auch im Kostenvorteil sein.“

Vorteile von Gentherapien bei Ungeborenen

Der zweite Sprecher des Abends, Gentherapie-Pionier Charles Coutelle vom Imperial College in London, referierte über die Möglichkeit, Krankheiten mit Hilfe einer vorgeburtlichen Gentherapie zu kurieren:

 „Das Hauptproblem der Gentherapie ist momentan, wie man das intakte Gen in die richtigen Zellen bekommt.“ Dies geschieht mit Hilfe von sogenannten Vektoren. Allerdings werden diese Genvehikel vom Immunsystem meist als toxisch aufgefasst und bekämpft. „Das fetale Immunsystem ist noch unreif. Daher kann hier mit höheren Konzentrationen an Vektoren gearbeitet werden.“ Dies und die einfache Erreichbarkeit der zu behandelnden Gewebearten erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass die Vektoren mit den gesunden Genkopien an Bord ihre Zielzellen erreichen. Die sei ein großer Vorteil zu den bisherigen Therapien.

Wie sich die Gentherapie etablieren könnte

Im Tiermodell konnte so die Krankheit Hämophilie B erfolgreich bekämpft werden. „Trotzdem sind bisher keine fetalen Gentherapien beim Menschen geplant“, so Coutelle.  Die Risiken stehen bisher noch in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen.

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Genau diese Abwägung von Schaden für den Patienten und Nutzen für die Wissenschaft (und zukünftige Patienten) griff der Bioethiker Michael Fuchs aus Bonn in seinem Vortrag auf. „Wie bei jeder Therapie muss ein Konsens bei einer Reihe von Fragen herrschen. Um welche Krankheit handelt es sich? Welche alternative Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Sind diese technisch verfügbar und ökonomisch sinnvoll?“ Bei der Gentherapie sagte er voraus, dass sie wohl zuerst bei besonders schweren Krankheiten etabliert werde. Am Anfang sogar nur bei Patienten, die unter Medizinern als „austherapiert“ gelten würden. Gilt die Methode dann als sicher, wird man die Gentherapie auch bei weniger schweren Erkrankungen als Alternative zu etablieren versuchen.

Die hoffnungsvolle Grundstimmung der Zunft brachte Coutelle zum Ende des Diskussionsabends mit einem Vergleich zur Geschichte der Luftfahrt auf den Punkt: "Die Gentherapie ist jetzt ungefähr soweit, wie die Gebrüder Wright waren. Der Weg bis hin zum Jumbojet liegt offen vor uns."

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