Den Kinasen in die Tasche greifen
16.06.2011 -
Um sich selbst zu regulieren, aber auch um mit ihrer Umgebung zu kommunizieren, nutzen Zellen ganz bestimmte Enzyme, die sogenannten AGC-Proteinkinasen. Sind diese allerdings defekt, kann das zu einer ganzen Reihe von Krankheiten führen. An der Johann-Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main forscht eine Arbeitsgruppe um den Ricardo Biondi daran, wie sich die Proteinkinasen gezielt beeinflussen lassen. Mit Hilfe der GO-Bio Gründerinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) startet Biondi jetzt ein eigenes Unternehmen, dass die Methode nutzen will, um Medikamentenkandidaten gegen Krebs und Diabetes zu entwickeln.
Damit eine Zelle auf äußere Faktoren reagieren kann, nutzt sie komplexe Signalwege, die Informationen von außen ins Innere der Zelle tragen. Tritt hierbei eine Störung auf, können Zellen nicht mehr angemessen auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagieren: Krankheiten entstehen. Viele biotechnologische Medikamente setzen darauf, die derartige Signalwege zu beeinflussen, indem die daran beteiligten Signalproteine mit passenden Gegenstücken abfangen.
Der Mund des Pacmans
Seit seiner Zeit als Postdoc am renommierten Pasteur Institut in Paris setzt sich Ricardo Biondi mit einer ganz bestimmten Klasse an Signalproteinen auseinander: den AGC-Proteinkinasen. „Die Kinasen sehen schematisch dargestellt ein wenig so wie Pacmans aus“, sagt Biondi, der seit 2008 an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main arbeitet. „Normale Inhibitoren greifen sozusagen am Mund des Pacmans an.“
Die 500 bekannten Arten von Proteinkinasen unterscheiden sich in dem „Mund“ aber leicht voneinander.
Das führt dazu, dass ein Wirkstoff oft nicht nur auf eine Sorte Proteinkinase passt und sie damit hemmt, sondern oft auf mehrere anspricht. „Manchmal ist das gut, oft gibt es aber Nebenwirkungen“, erklärt Biondi Die Forscher um Biondi konzentrieren sich deshalb nicht auf den „Mund“ des Pacmans, sondern auf eine andere, bisher vernachlässigte Strukturregion auf den Enzymen – die sogenannte PIF-Tasche. Mit Hilfe kleiner chemischer Moleküle, die an diese Tasche binden, können die Forscher die Aktivität der Proteinkinasen beeinflussen. Zu Gute kommt ihnen dabei, dass nicht alle Proteinkinasen überhaupt eine Tasche aufweisen. Bei den 60 Kinasen, die eine Tasche haben, unterscheiden sich die entsprechenden Strukturen deutlich voneinander. Deshalb ist die Chance groß, dass ein Molekül tatsächlich nur bei einer einzigen Kinase wirkt. Diese hohe Spezifität ist bei Medikamenten sehr gefragt.
Nicht nur hemmen, sondern auch aktivieren
Biondis Methode hat aber noch einen weiteren Vorteil: Traditionelle Medikamente können aufgrund der Wirkungsweise die Kinasen nur hemmen. Mit Biondis Ansatz lassen sich bestimmte Kinasen in ihrer Wirkung auch steigern. Das gibt den Medizinern einen erweiterten Werkzeugkasten in die Hand.
Im Jahr 2007 war Biondi mit dieser Idee bei der zweiten Runde des Bundesministeriums für Bildung und Forschung initiierten Gründerwettbewerbs GO-Bio erfolgreich – als einer von damals zehn Preisträgern (mehr...). Mithilfe der Förderung konnten Biondi und sein Team nicht nur erstmals Aktivatoren und Hemmer für die PIF-Taschen identifizieren und herstellen, sondern auch in Tiermodellen testen. Außerdem haben die Forscher mit Hilfe der Kristallografie einen genauen mikroskopischen Blick auf verschiedene Typen von AGC-Proteinkinasen und deren PIF-Taschen geworfen. „Wir haben uns die Proteinkinase bis auf das letzte Atom angeguckt“, erläutert Biondi. „Wir wissen jetzt genau, wie der Stoff mit der Tasche interagiert.“
Arbeitsgruppe PhosphoSites |
Ricardo Biondi leitet die Arbeitsgruppe "PhosphoSites" an der Universitätsklinik der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Hier werden die PIF-Taschen der Proteinkinasen erforscht. Auf diese Arbeiten stützt sich die neugegründete Firma PSites GmbH. zur Arbeitsgruppe PhosphoSites: hier klicken |
Mit der vierten Runde im Jahr 2011 wurde die Förderung seines Teams nun um weitere drei Jahre verlängert. Jetzt will Biondi mit seinem neu gegründeten Unternehmen PSites GmbH und seiner eigens entwickelten Screening-Plattform nicht nur weitere passende Moleküle finden, sondern auch einen ersten Wirkstoffkandidaten zur Behandlung von Krebs in präklinischen Studien testen. Am Ende der dreijährigen Förderphase soll der Kandidat bereit sein, um an ein Pharmaunternehmen zur klinischen Prüfung und zum Test am Menschen auslizenziert zu werden. Auch im Bereich Diabetes könnte sich Biondi Wirkstoffkanddiaten vorstellen.
So wie beim ersten Kandidaten will Biondi auch grundsätzlich vorgehen. Geplant ist, ausgewählte Medikamentenkandidaten bis zur präklinischen Phase im Rahmen des Unternehmens Phosphosites GmbH weiterzuentwickeln. Für die folgenden Entwicklungsstufen sollen Kooperationen mit Pharmaunternehmen angestrebt werden. Der Aufbau des Unternehmens wird Biondis Arbeitstag auf gefährliche Dimensionen ausdehnen. Schon heute ist der gebürtige Argentinier meistens nicht vor 23 Uhr zu Hause. „Der Tag endet in der Nacht“, sagt er. „Ich hatte lange Zeit in meiner Wohnung nicht einmal eine Internetverbindung, da ich mich dort kaum aufhielt.“