Keime schützen Kinder vor Asthma

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Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen erkranken seltener an Asthma und anderen Allergien. Quelle: LMU München

01.03.2011  - 

Asthma ist die häufigste chronische Erkrankung bei Kindern. Doch es gibt eine Ausnahme: Bauernhof-Kinder scheinen auf natürliche Weise gegen Asthma geschützt zu sein. Wissenschaftler aus München haben nun den Grund für das geringere Allergierisiko aufgedeckt. Offenbar existiert auf dem Bauernhof eine größere Vielfalt an Umweltmikroorganismen. Zudem konnten die Forscher ganz bestimmte Bakterien und Pilze identifizieren, die beim Asthma-Schutz der Kinder eine wichtige Rolle spielen. Wie die Forscher im New England Journal of Medicine (2011, Ausgabe 364, S. 701-709) berichten, könnte dieses Ergebnis auch für die generelle Asthma-Vorbeugung von Bedeutung sein.

Wer an Asthma leidet, dem machen manchmal schon Zigarettenrauch oder Autoabgase zu schaffen: die Atemwege schwellen an und die Bronchialmuskulatur verkrampft. Zu der akuten Luftnot und den Hustenanfällen kommen zudem meist Angstgefühle. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation leiden weltweit mehr als 300 Millionen Menschen an chronisch entzündeten Atemwegen. Asthma bronchiale beginnt in der Regel schon im Kindesalter und ist hier inzwischen die häufigste chronische Erkrankung. Aus einem Bericht der Europäischen Umweltagentur von 2002 ging hervor, dass vor allem Kinder aus den westlichen Industrienationen an Asthma erkranken. In Deutschland ist etwa jedes zehnte Kind und jeder fünfte Erwachsene betroffen, während in Georgien, Rumänien und Albanien nur 2 von 100 Kindern Symptome zeigen. Eine Heilung von Asthma gibt es derzeit nicht, allenfalls Symptome lassen sich bekämpfen. Asthmatiker müssen mit ihrem Leiden deshalb ein Leben lang kämpfen. 

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Wissenschaft auf der Suche nach den Asthma-Ursachen

Seit Jahrzehnten versucht die Forschung hier Abhilfe zu schaffen. Doch nach wie vor ist nicht gänzlich geklärt, wie eigentlich Asthma entsteht. Klar ist nur, dass die Erkrankung eine überschießende Reaktion des körpereigenen Immunsystems ist. Bestimmte Stoffe wie Zigarettenrauch, Kochdämpfe oder Autoabgase, die bei den meisten Menschen allenfalls Nasenrümpfen auslösen, bedrohen Asthmatiker akut. Ihre Körperabwehr stuft diese Stoffe als Allergene ein und reagiert überempfindlich, der Körper wird in ständige Alarmbereitschaft versetzt. Erika von Mutius kennt diese Reaktionen nur zu gut. Sie arbeitet als Kinderärztin an der Ludwig Maximilians-Universität München und trifft hier in der Allergie-Sprechstunde regelmäßig auf kleine Patienten, die an Asthma leiden. Ihr Traum: Irgendwann einmal eine Behandlung von Asthma zu ermöglichen, die über die Therapie von Symptomen hinausgeht (mehr...). Dafür will sie unter anderem die Wechselwirkung zwischen genetischen Faktoren und Umweltbedingungen verstehen, die in Kombination zur Entstehung von Asthma führen. Als Ko-Koordinatorin der EU-Studie GABRIEL hat sie zusammen mit 164 Wissenschaftlern aus 19 Ländern über vier Jahre lang entsprechenden Hinweisen gesucht. 

Die ersten Ergebnisse aus der Studie wurden im September letzten Jahres veröffentlicht (mehr...). Demnach gibt es zwar einige Gene, die bei Asthma-Patienten gehäuft auftreten, doch im Vergleich zu Umweltfaktoren scheinen sie nur eine geringe Rolle zu spielen. Mit früheren Arbeiten konnte von Mutius bereits zeigen, dass die Umgebung eines Bauernhofs für Kinder offenbar eine wichtige Rolle beim Asthma-Schutz spielen. „Kinder die auf Bauernhöfen aufwachsen, haben fünfmal seltener Asthma als Stadtkinder“, so von Mutius.

Bestimmte Allergene, wie diese Blütenpolle, lösen bei Asthmatikern heftige Immunreaktionen aus.Lightbox-Link
Bestimmte Allergene, wie diese Blütenpolle, lösen bei Asthmatikern heftige Immunreaktionen aus.Quelle: Welcome Images

Forscher identifizieren Mikrozoo in Kinderbetten 

Im Rahmen von GABRIEL sowie einer anderen EU-Studie (PARSIFAL) haben sich die Forscher die Umgebung auf dem Bauernhof nun ganz genau angesehen und Bauernhof-Kinder mit jenen verglichen, die zwar aus derselben ländlichen Regionen stammen, aber selbst nicht auf einem Bauernhof leben. Insgesamt haben die Forscher einige tausend 6- bis 13jährige aus Süddeutschland, Österreich und Schweiz sowie ihre Umgebung untersucht.  Dabei hatten es die Forscher insbesondere auf den Staub abgesehen, der in den Kinderzimmern und Kindermatratzen vorkam. Im Vergleich zu den Nicht-Bauernhof-Kindern fanden sie dabei eine weitaus größere Auswahl an Bakterien und Pilzen. Durch DNA-Analysen konnten die Wissenschaftler zudem einige der Keime identifizieren, die möglicherweise für den positiven Immunschutz verantwortlich sind. Nach Ansicht der Forscher könnten vor allem Bakterien aus der Familie der Staphylococcaceae sowie Vertreter der Gattungen Bacillus, Listeria, Corynebacterium, Methylobacter, Xanthomonas, Enterobacter und Pantoea dazu beitragen, das Asthmarisiko bei Kindern zu reduzieren. Auf welche Weise der nun identifizierte Mikrozoo im Bett das Asthmarisiko genau senkt, ist indessen noch unklar. Die Wissenschaftlern wissen jedoch: Die mikrobielle Vielfalt allein reicht wohl nicht aus, damit man vor Asthma geschützt ist – es kommt auf die richtige Kombination bestimmter Keime an. Frühere Studien hatten zudem gezeigt, dass der Kontakt mit Rindern und Rinderställen sowie mit Stroh oder Heu ein wichtiger Schutzfaktor zu sein scheint.

Keime besiedeln den Rachen 

Möglicherweise verhindert zudem eine Keimflora in den unteren Atemwegen von Bauerkindern eine Besiedlung mit Asthma auslösenden Keimen. Der Rachen als Lebensraum für Keime, „das war überraschend“, erläutert auch Markus Ege, der an den Arbeiten im Münchner Team beteiligt war. „Früher dachte man, der Rachen sei steril“, so Ege. Mit medizinischen Abstrichen konnten die Wissenschaftler aber zeigen, dass dem nicht so ist; Der Rachenraum von gesunden Kindern weist eine andere Besiedlung auf als der von Asthmatikern. Ein wichtiger Faktor bei der Ausbildung von Asthma spielt zudem die ganz persönliche körpereigene Immunabwehr der Kinder. So deuten frühere Studien der Münchner Forscher darauf hin, dass bei Bauernhof-Kinder bestimmte Rezeptoren auf Immunzellen aktiv sind, die sie wiederum besser als andere vor Allergien schützen.

Nur Kinder, die im ständigen Kontakt mit Tieren, Stroh und Heu leben, profitieren von den Mikroben.Lightbox-Link
Nur Kinder, die im ständigen Kontakt mit Tieren, Stroh und Heu leben, profitieren von den Mikroben.Quelle: LMU München
  

Guter Dreck, böser Dreck

Studien scheinen also zu bestätigen, was als Binsenweisheit landläufig schon lange als sicher galt: Dreck in gewissem Maße ist gesund. Doch ist der Wochenendausflug auf den Bauernhof oder das Bad in der Matschpfütze im Stadtpark nebenan nun die Lösung für besorgte Eltern, die ihre Kinder vor Allergien schützen möchten? „Leider nein“, sagt Ege, „wir können da leider keine Empfehlung geben.“ Denn die Studien ergaben, nur wer bereits in  frühester Kindheit und bestenfalls schon während der Schwangerschaft der Mutter, ständigen Kontakt zum bäuerlichen Umfeld hatte, kann von dem schützenden Einfluss der Bakterien und Pilze profitieren. 

Um Asthmatiker künftig jedoch besser behandeln zu können, wollen die Münchner Forscher nun die Keime ausfindig machen, die für eine Therapie oder einen potentiellen Impfstoff relevant sein könnten. „Es wäre schön, wenn irgendwann alle Kinder davon profitieren“, sagt Ege in Hinblick auf die neuen Ergebnisse.

© biotechnologie.de/tk

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