Bevölkerungsstudie LIFE: Volkskrankheiten auf der Spur

In der Biobank der Bevölkerungsstudie LIFE werden demnächst über eine Million Blut- und Zellproben bei durchgehend 140 Grad Celsius eingelagert werden. <ic:message key='Bild vergrößern' />
In der Biobank der Bevölkerungsstudie LIFE werden demnächst über eine Million Blut- und Zellproben bei durchgehend 140 Grad Celsius eingelagert werden. Quelle: Alexander Kiel / Universität Leipzig

28.09.2010  - 

Am 27. September fiel in Leipzig der Startschuss für eine umfangreiche Bevölkerungsstudie zur Erforschung von Zivilisationskrankheiten. Der “Leipziger Interdisziplinäre Forschungskomplex zu molekularen Ursachen umwelt- und lebensstilassoziierter Erkrankungen“ (LIFE) wird in den nächsten Jahren 30.000 Menschen aus Leipzig auf Herz und Nieren prüfen, um möglichst viele Daten über das Zusammenspiel von genetischer Veranlagung, Stoffwechsel und individueller Lebensführung zu sammeln. Auch wenn die LIFE-Studie nicht die größte ihrer Art ist, werden in Leipzig doch außerordentlich detaillierte Informationen an einem Standort miteinander kombiniert. Aus dieser einzigartigen Datenkonzentration erhoffen sich die Wissenschaftler schon in den nächsten zwei bis drei Jahren neuartige Erkenntnisse über weitverbreitete Krankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes, Adipositas oder Demenz. Insgesamt stehen 40 Millionen Euro bereit, der Großteil kommt aus der Landesexzellenzinitiative Sachsen.




 

“Mit LIFE startet heute das höchst dotierte Forschungsprojekt innerhalb der Landesexzellenzinitiative", sagte Sachsens Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, bei der Eröffnung des Forschungszentrums am 27. September im Carl Ludwig-Institut der Universität Leipzig. LIFE ist aber vor allem eine europäische Investition. 32 Millionen der 40 Millionen Euro steuert die EU aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung bei, 6 Millionen kommen vom Freistaat, 1,3 Millionen aus dem Topf der Promotionsförderung des Europäischen Sozialfonds.

LIFE

Auf einer eigenen Website informiert der "Leipziger Interdisziplinärer Forschungskomplex zu molekularen Ursachen umwelt- und lebensstilassoziierter Erkrankungen" über das Projekt.

zur Website: hier klicken

100 Ärzte untersuchen 30.000 Leipziger

Nicht nur finanziell, auch wissenschaftlich ist LIFE ambitioniert. "Mit der Tiefe der geplanten Untersuchungen und der zur Anwendung kommenden analytischen Methoden betreten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Neuland", so Schorlemer weiter. Tatsächlich ist es nicht unbedingt die Zahl der 30.000 untersuchten Leipziger, die das Besondere von LIFE ausmachen. So will die sogenannte Helmholtz-Kohorte in den kommenden Jahren bis zu 200.000 Menschen aufnehmen (mehr...). Bei der Menge und Bandbreite der erhobenen Daten pro Teilnehmer allerdings ist LIFE unerhört gründlich. Ab Herbst 2010 ein Konsortium aus über 100 Ärzten und Wissenschaftlern dafür mehr als 30.000 Leipziger untersuchen. Im Zentrum: Gefäßerkrankungen und Herzinfarkt, Diabetes mellitus, Adipositas, Depression, Demenz, Entzündungen der Bauchspeicheldüse, Kopf- und Halstumore sowie Allergien und Stoffwechselstörungen.

Die LIFE-Vorstände Markus Löffler (l.) und Joachim Thiery (r.) begutachten eine Serumprobe für die Stoffwechselanalytik.Lightbox-Link
Die LIFE-Vorstände Markus Löffler (l.) und Joachim Thiery (r.) begutachten eine Serumprobe für die Stoffwechselanalytik.Quelle: Sebastian Späthe / Universität Leipzig

Die Ursachen dieser sogenannten Zivilisationskrankheiten sind trotz ihrer Häufigkeit meist noch erstaunlich wenig verstanden. "Es ist immer noch ein Geheimnis, warum einige Menschen trotz bekannter Risikofaktoren wie hohem Cholesterin und Übergewicht lange gesund bleiben und sehr alt werden", sagt Joachim Thiery, Vorstand des Leipziger LIFE-Forschungszentrums und Institutsdirektor der Labormedizin am Leipziger Universitätsklinikum. "Andererseits leiden immer mehr junge Menschen bereits an Lebensstilerkrankungen, ohne dass wir die Ursachen immer hätten vorhersagen können." Die LIFE-Forscher wollen deshalb möglichst alle möglichen Faktoren miteinbeziehen. "An einem Standort führen wir wissenschaftlich tausende von Untersuchungsergebnissen zusammen, die den Menschen in seiner Gesamtheit erkennen lassen - Gene und Organfunktion, Lebensweise und Umweltbedingungen", so Thiery.

Mehr auf biotechnologie.de

News: Den Volkskrankheiten auf die Spur kommen

News: BMBF-Wettbewerb - Vier neue Zentren der Gesundheitsforschung

Menschen: Matthias Schulze - Diabetes-Risiko aus der Statistik bestimmen

Weltpremiere einer teilmechanisierten Biobank

Der Aufwand ist enorm. Neueste biotechnologische Methoden der molekularen Bildgebung, Genom- und Laboranalytik bilden die technische Seite. Eine weltweite Premiere feiert eine teilmechanisierte Biobank auf flüssigem Stickstoff, in der die mehr als eine Million Blut- und Zellproben für spätere Analysen lagern werden. "Ein wertvoller Schatz für die Zukunft der Leipziger Spitzenforschung, für die kommende Wissenschaftlergeneration und die Therapien von Morgen" sagt Daniel Teupser, der als Laborarzt und LIFE-Genetikprofessor die Biobank leitet. Im benachbarten Thüringen eröffnete im Juni 2010 erst eine weitere hochmoderne Anlage. In einem etwas kleineren Maßstab, mit einer Kapazität von rund 550.000 Proben, erfolgen am Universitätsklinikum erstmals Handhabung, Sortierung und Ausgabe vollautomatisch durch Robotersysteme (mehr...).

Eine Mitarbeiterin setzt einen Probencontainer in die Schleuse zur Biobank.Lightbox-Link
Eine Mitarbeiterin setzt einen Probencontainer in die Schleuse zur Biobank.Quelle: Universität Leipzig

Zugleich werden bei allen LIFE-Teilnehmern detaillierte Angaben zu Lebensstil und individuellen Lebensbedingungen erhoben. Alle Proben und Erhebungen werden dabei pseudonymisiert aufgenommen und in einer Datenbank mathematisch analysiert. "Dafür spenden 17.000 Patienten des Universitätsklinkums nach Aufklärung und Zustimmung ihre Untersuchungsbefunde, die wir mit den Analyseergebnissen von 15.000 Freiwilligen der Bevölkerung vergleichen - darunter über 5.000 Kinder und Jugendliche, die durch den Direktor der Universitätskinderklinik betreut werden", erklärt Markus Löffler, Direktor des Instituts der Epidemiologie und Medizinischen Informatik an der Universität Leipzig und bei LIFE für die statistische Erhebung zuständig. In Kooperation mit dem Einwohnermeldeamt bekommen deshalb bald Zehntausende Leipziger Post von LIFE, mit der Bitte, an der Studie teilzunehmen. Neben ihrem Dienst an der Forschung sollen die Probanden dabei auch ganz persönlich von der Untersuchung profitieren. "Jeder Teilnehmer wird seine individuelle Gesundheitserhebung für seinen Hausarzt mit nach Hause nehmen können", sagt Löffler. Eine Zusammenarbeit mit der oben erwähnten HelmholtzKohorte soll ebenfalls stattfinden, sagt Löffler. Die beiden Studien ergänzen sich. "Es wird einen Daten- und Materialaustausch mit der nationalen Kohorte geben."

Von dem Blick in ihre Daten erhoffen sich die Wissenschaftler schon bald Ergebnisse. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftsinstituten wie der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft sollen bei einigen speziellen Probandengruppen wie etwa Herz-Kreislauf-Patienten schon 2011 die ersten Analysen fertig sein. Bei den noch zu rekrutierenden gesunden Freiwilligen wird es etwas länger dauern. Auch die Wirtschaft beteiligt sich. Die Diagnostik-Gruppe des schweizerischen Pharmaunternehmens Roche mit Sitz im bayerischen Penzberg hat schon zugesagt, Labormaterialien und auch einen Gensequenzier-Apparat zu liefern. Joachim Thiery ist sich sicher: "Hier in Leipzig erhalten wir für mindestens eine oder zwei der großen Volkskrankheiten wegweisende und völlig neue Einsichten für die Vorbeugung und für eine gezieltere Therapie, als dies heute möglich ist." Auch für den Wissenschaftsstandort Leipzig soll sich das Projekt lohnen. Neben rund neuen Arbeitsplätzen hofft Thiery, dass aus dem Projekt dauerhaft ein Leipziger Institut für medizinische Systembiologie und molekulare Medizin entsteht. 

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos

TV-Glossar

Kreidezeit - Begriffe aus der Biotechnologie

Von A wie Antikörper bis Z wie Zellkultur - die Kreidezeit erklärt Begriffe aus der Biotechnologie kurz und knapp an der Tafel. Alle Videos finden Sie in unserem Filmarchiv.


Zur Rubrik Kreidezeit