Deutsche Biotechnologietage: Volles Haus in Berlin

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Auf den Biotechnologietagen in Berlin kamen 500 Akteure und Entscheider der Branche zusammen, um sich zu informieren und vor allem auszutauschen. Quelle: biotechnologie.de

22.04.2010  - 

Nahezu unbeeindruckt von Anreiseschwierigkeiten durch die Aschewolke aus Island haben sich in Berlin mehr als 500 Akteure aus der nationalen Biotech-Szene zum Branchenforum getroffen. Mit neuem Konzept gingen vom 21. bis 22. April die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten „Deutschen Biotechnologietage“ in der Hauptstadt über die Bühne. Im Mittelpunkt der Tagung standen neben aktuellen Momentaufnahmen die künftigen Herausforderungen der Branche. Ein Schwerpunkt galt dem Trendthema Personalisierte Medizin. Akteure der industriellen Biotechnologie diskutierten über die Wahrnehmung ihrer Zunft.


 

Das nationale Forum für die Biotechnologie-Szene aller Couleur – von grün über weiß bis rot – brachte Unternehmen sowie Partner aus Politik, Forschung und Verwaltung zusammen. Die Neuauflage der Veranstaltung, die als eigener Treff zuletzt 2006 in Potsdam stattfand, legte ein beachtliches Comeback hin. Über 500 Teilnehmer sorgten in den parallel laufenden Vortragsblöcken für proppevolle Säle. "Unsere Erwartungen wurden weit übertroffen", sagte Kai Bindseil, Chef der gastgebende Biorgeion Berlin-Brandenburg BioTop und Sprecher des Arbeitskreises der deutschen BioRegionen im Unternehmerverband BIO Deutschland.  Die gute Resonanz sei ein positives Signal für die fortan jährlich in anderen deutschen Städten geplante Tagung, so die Veranstalter. "Das Programm war so gut, dass man es nicht BioToppen kann", resümierte Horst Domdey, Chef der Münchner Bioregion Bio-M, am Ende der Veranstaltung und ergänzte mit Blick auf seine eigene Gastgeberrolle im nächsten Jahr: "Wir werden mit großer BioMsichkeit an einer Neuauflage arbeiten."

Neues Rahmenprogramm zur Bioökonomie

Dass auch die Politik den Branchentreff sehr ernst nahm, zeigte die Anwesenheit von Staatssekretären der drei Ressorts Wirtschaft, Gesundheit und Forschung. Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), präsentierte auf  der Konferenz am 21. April die Ergebnisse der aktuellen Biotechnologie-Firmenumfrage, die biotechnologie.de im Auftrag des BMBF durchgeführt hat (mehr...). Darüber hinaus kündigte Schütte an, dass die Regierung im Rahmen ihrer Hightech-Strategie in der Förderung der Biotechnologie neue Akzente setzen will: "Wir wollen die Biotechnologie als Eckpfeiler einer wissensbasierten Bioökonomie ausbauen." Mit diesem Ansatz solle nachhaltiges, ökologisches und effizientes Wirtschaften auf der Basis von biobasierten Rohstoffen in Deutschland ermöglicht werden. "Die Gesamtkonzeption werden wir in einem neuen Rahmenprogramm zur Bioökonomie noch in diesem Jahr vorstellen", so der BMBF-Staatssekretär. Desweiteren stellte er den Start einer neuer Förderinitiative zur Pflanzenbiotechnologie an. Unter dem Titel „GABI-innovativ“ soll hier die angewandte Pflanzengenomforschung vorangetrieben werden, wofür in den kommenden drei bis fünf Jahren rund 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden sollen.

In den Symposien - wie hier zur industriellen Biotechnologie- wurde lebhaft und erfrischend kontrovers diskutiert.Lightbox-Link
In den Symposien - wie hier zur industriellen Biotechnologie- wurde lebhaft und erfrischend kontrovers diskutiert.Quelle: biotechnologie.de

Steuerliche Förderung von forschenden Unternehmen im Visier

Unternehmervertreter wie Peter Heinrich vom Unternehmerverband BIO Deutschland appellierten indes an die Politik, dass die Rahmenbedingungen für Biotech-Unternehmen weiter verbessert werden müssten, um die missliche Finanzierungslage auszugleichen. Insbesondere eine steuerliche Förderung von forschenden Unternehmen wurde angemahnt. Staatssekretär Schütte sagte hierzu: „Das BMBF will die steuerliche Förderung für forschende Unternehmen, ohne dass sie auf Kosten der Projektförderung geht, und wir setzen uns dafür ein, dass es so kommt“. Wie kürzlich durchsickerte, tüftelt die Koalition bereits an Konzepten für entsprechende Steuergutschriften (mehr...).

Peer Schatz, Vorstandsvorsitzender von Deutschlands größtem Biotech-Unternehmen Qiagen, wiederum zeichnete ein durchaus positives Bild vom Standort Deutschland, insbesondere was die Infrastruktur in der Wissenschaft, der Produktion, der Logistik, im Patentrecht und bei Dienstleistungen betrifft. Einzig hinsichtlich des Nachschubs an neuen jungen Biotech-Firmen mangelt es aus seiner Sicht erheblich: „Die Biotech-Industrie ist eine Gründerindustrie", betonte er und mahnte an, dass Politik und Industrie gleichermaßen den Aufbau einer Unternehmerkultur weiter stimulieren müssten. Auch BMBF-Staatssekretär Schütte sieht hier Handlungsbedarf: "Wir müssen Deutschland wieder zu einem Gründerland machen." Was die Aktivitäten des BMBF betrifft, so kündigte er  in diesem Kontext an, die seit 2005 laufende Gründungsoffensive Biotechnologie (GO-Bio) mit einer vierten Ausschreibungsrunde fortzusetzen. Bewerbungen können bis zum 20. Juli eingereicht werden.

Personalisierte Medizin als Trendthema

Inhaltlich dominierte auf den Biotechnologie-Tagen 2010 vor allem die personalisierte Medizin. Diesem Trendthema waren mehrere Plenarvorträge und zwei Vortragsblöcke gewidmet. Gemeint ist das Zusammenspiel von Molekularer Diagnostik und dem davon abhängigen Einsatz von zielgerichteten Medikamenten. So soll jedem Patienten eine möglichst effektive Behandlung ermöglicht werden.

Als einer der Vorreiter auf diesem Gebiet berichtete Qiagen-Chef Peer Schatz von den jüngsten Entwicklungen seines Unternehmens. So würden inzwischen 48 Prozent der Umsätze mit molekularer Diagnostik erwirtschaftet. Zugleich betonte er die Bedeutung einer engen Kooperation mit der Pharmaindustrie. "Allein von den Kosten her sind Companion Diagnostics von Diagnostik-Firmen allein nicht zu stemmen", so Schatz. Companion Diagnostics sollen Medizinern eine zuverlässige Einschätzung erlauben, ob ein Medikament überhaupt für einen individuellen Patienten geeignet ist oder nicht. Der Qiagen-Chef kündigte an, sein Unternehmen wolle noch in diesem Jahr einige „Meilensteine“ in der Begleitdiagnostik in den USA bei der Zulassungsbehörde FDA einreichen.

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Wie Diagnostika kosten vermeiden können

„Personalisierte Medizin ist kein Hightech-Thema, sondern ein echter Kostensenker“, betonte Schatz das hohe Potenzial derartiger Entwicklungen. „Durch Einsparung von Fehlerkosten bei der Behandlung könnten allein in Deutschland bis zu 15 Milliarden Euro jährlich im Gesundheitsbereich eingespart werden“, rechnete Schatz vor, „ ein Vielfaches der Einsparungen, die durch die aktuelle Gesundheitsreform erwartet werden." So hängen derzeit 80 Prozent der Entscheidungen im Gesundheitswesen an diagnostischen Fragestellungen, die bisher nur zwei Prozent der Kosten im gesamten System darstellen. "Dieses Missverhältnis gilt es aufzuheben", plädierte Schatz. Denn insbesondere die Bezahlung von präventiven Tests sei noch sehr rückständig. „Es herrscht Therapie-Gläubigkeit, aber noch keine Vorsorge-Gläubigkeit“, so Schatz.

In den Symposien zum Thema "Theragnostik" stellten Forscher aus Biotechnologie-Unternehmen und Kliniken ihre praktischen Ansätze auf dem Weg zur Personalisierten Medizin vor. So erläuterte Barbara Mayer von der Münchener Firma Spherotec (Forscherprofil von Barbara Mayer: hier klicken), wie sie mithilfe von Krebsgewebe von Patienten die Bildung sogenannter Mikrotumoren in der Kulturschale nachstellen kann. An diesen dreidimensionalen Krebskügelchen lässt sich im Labor testen, wie der Tumor des Patienten auf verschiedene Medikamenten-Kombinationen reagiert (mehr...). Erste Studien würden derzeit vielversprechend verlaufen, sagte Mayer. "Unsere Sphäroide erlauben vernünftige Aussagen über den Therapieverlauf."

Transformation, Evolution oder Revolution

Neben der "roten" Biotechnologie wurde in parallel laufenden Symposien auch intensiv über die beiden anderen Farben des Biotech-spektrums diskutiert: die "grüne" Pflanzenbiotechnologie sowie die "weiße" industrielle Biotechnologie. Bei letzterer wurde insbesondere das wachsende Selbstbewusstsein der Sparte deutlich. "Transformation, Evolution oder Revolution?" war eine der Diskussionsrunden überschrieben. Die Revolution wurde an diesem Tag nicht ausgerufen. Klar wurde aber, dass die Biotechnologie in vielen Bereichen der chemischen und pharmazeutischen Industrie nicht mehr wegzudenken ist. "Die weiße Biotechnologie hat sich zum Innovationsmotor der chemischen Industrie entwickelt", resümierte Günter Wich von Wacker Chemie AG, die ihren Bereich Feinchemikalien erst jüngst in "BioSolutions" umbenannt haben. Der Vorteil der Biotechnologie läge vielfach auf der Hand.  "Ein kompliziertes mehrstufiges chemisches Verfahren bei der Antibiotika-Herstellung ist mittlerweile durch ein einziges Enzym ersetzt", erläuterte Burghard König von der Sandoz GmbH, der Generika-Sparte von Novartis. Diese Verfahren seien oftmals nicht nur einfacher, die Biologie eröffne den Unternehmen auch die Möglichkeiten, mehr Produkte als vorher zu erhalten. Koppelprodukte heißt das im Fachjargon. So nutzt die Sandoz GmbH Substanzen, die bei der Herstellung des Enzyms für die Antibiotika-Produktion anfallen, um Biogas im industriellen Maßstab herzustellen. Das bringt zusätzliche Einnahmen. Ein interessantes Nebenprodukt ist auch das sogenannte DAAA, wovon bei Sandoz derzeit 400 Tonnen im Jahr entstehen. Die Substanz hat im Moment aber nur einen sehr eingeschränkten Verwendungszweck und kostet bei Bestellung im Katalog zehn Euro pro Gramm. "Wir werfen also im Augenblick 40 Milliarden Euro im Jahr weg", scherzte König. Inzwischen hat Sandoz einen Wettbewerb ausgeschrieben, um Ideen für eine geeignete Weiterverarbeitung von DAAA zu sammeln. Natürlich auf biotechnologischem Wege.

Deutlich wurde bei der lebhaften Diskussion im Symposium der "weißen" Biotechnologie, dass es zwar Probleme bei der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung einer sehr disparaten und interdisziplinär fragmentierten Zunft geht. Aber "die Biotechnologie ist jetzt mit im Boot", wie Andreas Schmid von der Universität Dortmund und Koordinator des ChemBioTec Netzwerks feststellte. Dennoch gab es auch Kritik. So werde zwar in vielen Unternehmen anwendungsbezogen geforscht, um einzelne Prozesse zu verbessern, aber "eine wirklich neue Kiste gibt es so nicht", monierte er. Er vermisse eine breite grundlagenorientierte Forschung. Hier widersprachen die Unternehmensvertreter vehement. "Wir denken nicht nur kurzfristig", sagte Ralf Kelle vom Großkonzern Evonik. Doch müsse die biotechnologische Alternative vor allem "deutlich günstiger  und besser sein als die bestehende Variante". In diesem Fall ist auch eine Revolution nicht ausgeschlossen, wie das Beispiel der Herstellung von Vitamin B2 in der Vergangenheit gezeigt habe: Innerhalb von vier Jahren wuchs der Anteil der biotechnologischen Variante von Null auf 95% der Weltproduktion.

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