Umfassender Genom-Katalog der Mikrobenwelt vorgelegt

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Erstmals hat ein deutsch-amerikanisches Forscherteam einen repräsentativen Genomkatalog der Bakterienarten auf der Welt vorgelegt. Quelle: Roy Kaltschmidt, Lawrence Berkley National Laboratory

28.12.2009  - 

Bislang bevorzugten Genomforscher für ihre Erbgutanalysen vor allem Bakterien, die für Medizin und Biotechnologie wichtig sind. Mehr als 1000 Genome von Bakterien sind nach dieser Auswahl bisher sequenziert worden. Doch sie zeichnen ein lückenhaftes Bild der Mikroben-Vielfalt. Forscher der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig wollen mit kalifornischen Kollegen einen wesentlich ausgewogeneren Genom-Katalog erstellen, der sämtliche Vertreter der verschiedenen Stammbäume der Mikrobenwelt berücksichtigt. Das Mammutprojekt mit dem Namen „Genomic Encyclopedia of Bacteria and Archea" (GEBA) hat nun ein erstes Etappenziel erreicht:  In der Zeitschrift Nature (2009, Bd. 462, S. 1056) berichten die Forscher über die Entschlüsselung und Analysen von 56 Mikroben-Genomen.

Die bakterielle Vielfalt ist gigantisch groß - aber sie hält sich gern versteckt. Bis heute ist kaum ein Prozent aller Mikroorganismen im Labor kultiviert und beschrieben worden. Hinzu kommt: Bisher galt das Forschungsinteresse vor allem den Bakterien, die sich als Schädlinge oder Nützlinge des Menschen erwiesen haben. Zu gewisser Prominenz haben es hier Keime gebracht, die bei einem Gesamtblick auf die Vielfalt der Mikroben lediglich Sonderrollen spielen. Bei den bisher knapp 2000 beschriebenen Erbgut-Sequenzierungen waren klinisch und biotechnologisch relevante Keime lange Zeit die unangefochtenen Spitzenreiter. "Das verzerrt den Blick auf die bakterielle Genomik", sagt Hans-Peter Klenk, Leiter der Abteilung Mikrobiologie bei der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig. In genetischer Hinsicht seien multiresistente Staphylokokken und Produktionsstämme wie E. coli aus der Biotechnologie keineswegs repräsentativ.

Erster Band der Erbgut-Enzyklopädie

Das Braunschweiger Forscherteam um Klenk hat sich deshalb gezielt die noch unerforschten Lücken im Bakterienstammbaum vorgeknöpft. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Joint Genome Instituts (JGI) im kalifornischen Walnut Creek, einer Forschungseinrichtung des US-Energieministeriums, wurde 2007 das Projekt namens „Genomic Encyclopedia of Bacteria and Archea" (GEBA) gestartet. Das ehrgeizige Ziel des Forscherverbunds: Erstmals soll ein repräsentativer Genom-Katalog möglichst aller Vertreter des verzweigten Bakterienstammbaumes entstehen. Die nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Analysen sind Ergebnis einer ersten Pilotphase, so etwas wie der erste Band der Erbgut-Enzyklopädie.

Mikroben-Sammlung DSMZ

Die Deutsche Sammlung von  Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig beherbergt mehr als 27 000 Bakterientypen, Pflanzenviren und andere Zelllinien. Die DSMZ ist eine Forschungseinrichtung des Bundes und der Länder und gehört der Leibniz-Gemeinschaft an.

Mehr Infos zum DSMZ: hier klicken

Die Forscher fahndeten zunächst in mikrobiologischen Sammlungen in Braunschweig nach Bakterienstämmen, die genetisch weitgehend unerforschten Zweigen des Bakterien-Stammbaums angehörten. Insgesamt 159 kultivierbare Mikroben-Stämme wurden dazu ausgesucht, ihre Erbinformationen nach und nach vollständig sequenziert. Die Forscher berichten nun in Nature über die kompletten Genomdaten von 53 Bakterienarten und 3 Archaeen-Arten. "Mit unseren Sequenzierungen kommen wir dem wahren Spektrum der mikrobiellen Vielfalt einen entscheidenden Schritt näher", so Klenk.

Über tausend neue Genfamilien aufgespürt

Die Ergebnisse sind nicht nur für Evolutionsforscher von Interesse, die nun den Stammbaum der Bakterien detaillierter studieren und nachzeichnen können. Die Analysen im Genom-Katalog haben mehr als 1.700 neue Genfamilien mit bisher unbekannter Funktion zu Tage gefördert. In einigen der entzifferten Mikroorganismen fanden die Wissenschaftler zum Beispiel neue Formen von Cellulasen, Enzyme die Pflanzenmaterial zu verwertbaren Zuckermolekülen oder Biotreibstoffen kleinhäckseln können. Forscher des Joint Genome Institute sind offenbar schon dabei, diese Eiweiße näher zu charakterisieren. In dem Meeresbakterium Haliangium ochraceum fanden die Mikrobiologen erstmals das Eiweiß Actin, ein für Bewegungen benötigtes Strukturprotein, dass man bislang nur in eukaryotischen Zellen (mit einem echten Zellkern) nachgewiesen hat. Auch die anderen Genfamilien sind nach Aussagen der Forscher ein reichhaltiger Schatz, der nun Schritt für Schritt von Wissenschaftlern weltweit gehoben werden kann. Denn die Daten aus dem GEBA-Projekt sind in der genetischen Datenbank "GenBank" hinterlegt und für jedermann zugänglich. Für das deutsch-amerikanische Forscherteam war die bisherige Arbeit nur der Anfang. „ Bei unserem Versuch, die mikrobielle Vielfalt zu verstehen, haben wir gerade einmal die Oberfläche gekratzt“, betont Projektleiter Jonathan Eisen vom JGI. 

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Gutes Werkzeug für die Stammbaum-Analyse 

Die neuen Analysen der Forscher belegen auch die Zuverlässigkeit einer Methode, die Mikrobiologen schon seit längeren verwenden, um die Entstehung von Bakterien-Arten zu verstehen: Bakterien werden bislang anhand kleiner Abschnitte auf der ribosomalen 16S-RNA in evolutionäre Stammbäume eingeordnet. Soll ein neues Bakterium eingeordnet werden, sequenziert man diese Erbgutschnipsel und vergleicht deren Übereinstimmung mit vorhandenen Daten.  Die Position im 16S-Stammbaum erlaubt den Forschern Rückschlüsse, ob zwei Bakterienarten sehr eng oder nur entfernt miteinander verwandt sind. Das deutsch-amerikanische Forscherteam hat nun festgestellt, dass diese Methode zwar nicht perfekt ist, aber dennoch gut geeignet scheint, um Neuentdeckungen näherungsweise einzuordnen. Doch laut Klenk gilt: "Vollständige Genomdaten sind immer aussagekräftiger."

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