EFI-Gutachten: Steuerpolitik ist innovationsfeindlich

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Die Biotechnologie gehört zu den forschungsintensivsten Branchen - und ist besonders auf ein innovationsfreundliches Klima angewiesen. Quelle: Amgen

05.03.2009  - 

Um die derzeitigen Konjunkturkrise zu überwinden, führt kein Weg an der Stärkung von Bildung und Forschung vorbei. Das stellt die Expertenkommission Forschung und Innovation in ihrem neuen Gutachten fest, das am 4. März an Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben wurde. „Gerade in der Krise muss die Forschungs- und Innovationspolitik eine zentrale Rolle spielen, wenn Deutschland seine Position im internationalen Wettbewerb spürbar verbessern möchte“, sagte Professor Dietmar Harhoff, der Vorsitzende der Expertenkommission. Die Gutachter sehen vor allem in der Steuerpolitik erheblichen Nachbesserungsbedarf. Der Bericht der Expertenkommission bildet die Grundlage für den jährlichen Bundesbericht Forschung, der Ende April veröffentlicht wird.

Mit dem Gutachten zu Forschung und Innovation stellt sich die Bundesregierung dem Urteil unabhängiger Experten. Vergleichbar mit dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (das Gutachten der sogenannten Wirtschaftsweisen) gibt es seit 2008 regelmäßig eine wissenschaftlich fundierte Politikberatung für die Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung. Im diesjährigen Gutachten geht es vor allem um steuerliche Anreize für Forschungsaktivitäten unter dem Dach von Unternehmen. "Steuerpolitik ist immer auch Innovationspolitik", betonte EFI-Vorsitzender Dietmar Harhoff und kritisiert: „Das deutsche Steuersystem ist innovationsfeindlich". Um gerade Forschungsaktivitäten in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu fördern, müssten hier bestehende Hemmnisse abgebaut werde. Die Expertenkommission schlägt u. folgende Eckpunkte für ein innovationsfreundliches Steuersystem vor:

  • Beseitigung der Beschränkung von Verlustvorträgen beim Anteilskauf („Mantelkauf“),
  • unbeschränkte Verrechnung von Verlusten mit zukünftigen Gewinnen,
  • Aufhebung der Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs von Zinsaufwendungen durch die Zinsschranke,
  • Vermeidung von Fehlanreizen für Forschung und Innovation durch die Besteuerung von Funktionsverlagerungen ins Ausland,
  • Beseitigung der Koordinationsmängel zwischen Abgeltungssteuer und Unternehmenssteuer,
  • Einführung einer FuE-Förderung im Steuersystem, z. B. durch Tax Credits für Forschung und Entwicklung.

Verbesserungen für Wagniskapital

Darüber hinaus seien deutliche Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Wagniskapital und Business Angels notwendig, heißt es weiter. So ist Deutschland in der jährlich erscheinenden Benchmark-Studie des europäischen Branchenverbandes der Beteiligungskapitalgesellschaften, der European Private Equity & Venture Capital Association (EVCA), im Jahr 2008 zurückgefallen. Auf der Rangliste der 27 untersuchten Länder ist die Bundesrepublik nunmehr mit Platz 22 um weitere zwei Plätze schlechter positioniert als im Vorjahr. Aus diesem Grund raten die Experten, das Steuersystem stärker daraufhin auszurichen, den Unternehmen in Deutschland wettbewerbsfähige Bedingungen für Forschung und Innovation zu bieten. "Falls das nicht geschieht, konterkariert das Steuersystem die Bemühungen der direkten und indirekten Förderung und führt zu einer Verschwendung von Mitteln", bemängeln die Gutachter.

Expertenkommission Forschung und Innovation

Das Gremium ist im Sommer 2006 beschlossen worden. Ihr gehören sechs hochrangige Experten aus der Wissenschaft an. Seit 2008 legen sie der Bundesregierung jedes Jahr ein Gutachten zur Innovationsfähigkeit Deutschlands vor. Daraufhin erstellt die Bundesregierung einen Bundesbericht Forschung und Innovation. 

aktuelles Gutachten: DOWLOAD PDF

Mehr Infos: www.e-fi.de

Potenzial im Technologietransfer ausschöpfen 

Aber auch beim Technologietransfer sehen die Experten noch erhebliches Verbesserungspotenzial, obwohl insbesondere Gründungsförderinitiativen wie EXIST (BMWI) oder GO-Bio (BMBF) bereits in die richtige Richtung gehen würden. Bedarf gibt es laut Gutachen vor allem bei den Patentverwertungsagenturen der Hochschulen. Diese seien zwar durch den Bund gefördert worden, doch waren die Zeiträume zu kurz, um stabile Strukturen aufzubauen. Zugleich gäbe es oftmals wenig erfahrenes Personal sowie ein zu geringes Entlohnungsniveau. Hier müsse man zu besseren Lösungen kommen, mahnen die Gutachter. Darüber hinaus plädiert die Expertenkommission für die Einführung einer sogenannten "Neuheitsschonfrist" im europäischen Patentsystem. So ist es in den USA möglich, innerhalb eines Jahres nach einer Publikation eine Erfindung zum Patent anzumelden, ohne dass die Publikation als neuheitsschädlich für das Patent gewertet wird. Wenn es eine solche Neuheitsschonfrist auch in Europa geben würde, hätten es die hiesigen Transferstellen leichter, argumentieren die Experten. Denn dann könnte eine Erfindung mit potenziellen Lizenznehmern in einer frühen Phase diskutiert werden, ohne dass der Patentschutz bedroht ist. Optimaler Weise sollte eine Neuheitsschonfrist für Patentanmeldungen von allen Vertragsstaaten des Patent Cooperation Treaty (PCT) anerkannt werden, heißt es. Dies hätte den Vorteil, dass Wissenschaftler nicht mehr mit der Publikation ihrer Forschungsergebnisse warten müssen, bis eine Patentanmeldung hinterlegt ist. Eine trilaterale Regelung unter Einbeziehung der drei großen Patentsysteme in Europa, den USA und in Japan sei anzustreben. „Die Bundesregierung sollte in Verhandlungen innerhalb der Europäischen Union und mit den USA und Japan intensiv auf eine derartige Lösung hinwirken“, lautet die Empfehlung.

Wissenschaft: Mehr Budgetverantwortung und Abschaffung des Beamtenrechts

Verbesserungsbedarf sehen die Gutachter auch in der Wissenschaft. So ist ihrer Meinung nach die Autonomie von Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen zu stärken. „Wissenschaftliche Einrichtungen müssen in der Lage sein, eigene inhaltliche, personelle und finanzielle Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Die Budgetverantwortung ist dafür eine notwendige Voraussetzung“, heißt es im Gutachten. Zudem fordern sie eine Abschaffung des Beamtenrechts für Forscher. „Das Beamtenrecht erweist sich als Hürde für die Mobilität von Forscherinnen und Forschern zwischen Hochschule, Wirtschaft und Gesellschaft. Auch der internationalen Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es nicht zuträglich. Desgleichen setzt es einer leistungsbezogenen Vergütung enge Grenzen. Die Kommission empfiehlt, das Beamtenrecht auf Wissenschafterinnen und Wissenschaftler nicht mehr anzuwenden.“ Zugleich monieren sie, dass Lehrdeputate Gegenstand von Vertragsverhandlungen sein müssten, so dass es Professoren erlaubt ist, je nach Lebens- und Karrierephase unterschiedlich stark auf Lehre oder Forschung zu konzentrieren.

Reaktionen zum EFI-Gutachten

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Biotech-Branche begrüßt Gutachten 

In der Biotech-Branche treffen die Empfehlungen der Gutachter auf offene Ohren. "Mittel- und langfristig ist die Wettbewerbsposition Deutschlands auf dem Gebiet der Spitzentechnologien bedroht, wenn es nicht zu einer weiteren Stärkung von Forschung und Innovation kommt und wenn die wesentlichen Hemmnisse im Steuersystem nicht ausgeräumt werden“, sagte Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Biotech-Verbandes BIO Deutschland. Jan Schmidt-Brand, Leiter der BIO Deutschland-Arbeitsgruppe „Finanzen und Steuern“, fügt hinzu, dass eine verbesserte Kreditverfügbarkeit wie im Konjunkturpaket II der Bundesregierung vorgesehen, den innovativen Unternehmen nur begrenzt weiter helfe, da nicht Kredite, sondern Eigenkapital die mit Abstand wichtigste Finanzierungsquelle für Innovationen seien. „Die Beseitigung der Diskriminierung von kleineren innovativen Unternehmen beim Anteilskauf durch die unbeschränkte Verrechnung von Verlusten mit zukünftigen Gewinnen ist dagegen der erste unverzichtbare Schritt, privates Kapital für Forschung und Innovation zu mobilisieren“, sagt Schmidt-Brand weiter. Aus der Sicht des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) ist die steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung dringend geboten. "Viele wichtige Wettbewerber Deutschlands (insgesamt 21 Länder) bedienen sich bereits dieses Instruments, darunter die USA, Großbritannien und Frankreich. Es geht also darum, in diesem Punkt einen wichtigen Standortnachteil Deutschlands zu entschärfen," betont VFA-Geschäftsführerin Cornelia Yzer. Kritik an einer steuerlichen Förderung kam von den Linken.  "Steuererleichterungen schaffen keine zusätzlichen Forschungsanreize und machen die öffentliche Hand nur ärmer. Sie nutzen vor allem Großkonzernen, die auch ohne dieses staatliche Zubrot in Forschung und Entwicklung investieren", kritisiert Petra Sitte, forschungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.

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Zustimmung aus der Regierung

Aus der Regierung kam weitestgehend Zustimmung zum Gutachten. "In der aktuellen Krise werden die Finanzierungspolster für Forschung und Innovationen schmaler. Daher bieten wir mit der deutlichen Aufstockung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand noch effizientere Finanzhilfen für zukunftsweisende Forschungs- und Innovationsprojekte des innovativen Mittelstandes", sagte Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. "Die Gutachter betonen, dass dieses Programm mit der Technologie offenen Konzeption in die richtige Richtung zielt."

Bundesforschungsministerin Annette Schavan stützt ebenfalls die wesentlichen Aussagen des Gutachtens. "Investitionen in Forschung und Innovationen sind die beste Antwort auf die Krise", sagte sie bei der Übergabe des Gutachtens im Kanzleramt. Ende April nimmt die Regierung mit dem Bericht "Forschung und Innovation für Deutschland" detailliert Stellung. 

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