KMU-innovativ: Neue Therapie für Alzheimer

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Alzheimer treibt die Betroffenen in die mentale und soziale Isolation. Quelle: Claudia Hautumm / pixelio.de

28.11.2008  - 

In der Fachzeitschrift "Nature Medicine" verkündete ein Forschungsverbund unter der Führung der Probiodrug AG aus Halle am 28. September einen wichtigen Etappensieg im Kampf gegen Alzheimer (Vol. 14, S. 1106-1111, 2008). Die Biotechnologen hemmten ein bestimmtes Enzym und konnten damit verhindern, dass sich die gefürchteten Eiweißablagerungen auf den Nervenzellen bilden. Die Neuronen waren gerettet. Was bei Mäusen funktioniert, soll auch einmal dem Menschen helfen. Bis es soweit ist, muss allerdings noch viel geforscht werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt diese Anstrengungen und hat die Förderung im Rahmen von "KMU-innovativ" bis 2011 verlängert.




 

KMU-innovativ

Im Jahr 2007 erweiterte das BMBF die erfolgreichen Förderinitiativen BioChance und BioChancePlus. Unter dem Titel "KMU-innovativ" werden nun kleine und mittlere Unternehmen unterstützt, die besonders aufwendige Forschungen betreiben. Insgesamt 300 Millionen Euro stehen bis zum Jahr 2015 für zunächst fünf Technologiefelder zur Verfügung

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Alzheimer – diese Diagnose ist genauso furchtbar wie endgültig. Bisher kann keine Therapie der Welt den Verlauf der langwierigen und entwürdigenden Krankheit stoppen. Es ist daher verständlich, dass die Pharmaindustrie bereit ist, Höchstpreise für vielversprechende Heilungsansätze zu bezahlen. Jüngst hat etwa der britische Pharmariese GlaxoSmithKline der Wiener Affiris GmbH 430 Millionen Euro in Aussicht gestellt, falls etwas aus ihrem Alzheimer-Impfstoff wird. Aber auch in Deutschland gibt es hoffnungsvolle Ansätze.
Mit Enzym gegen Eiweiß-Ablagerungen

"Wir konnten anhand von Versuchen mit Mäusen erstmals nachweisen, dass die Hemmung eines bestimmten Enzyms die Bildung Alzheimer-typischer Ablagerungen, sogenannter Plaques, im Gehirn reduziert und dadurch die Auswirkungen der Krankheit deutlich gemildert werden", sagt Steffen Roßner. Der Hirnforscher arbeitet am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Universität Leipzig und untersucht in Kooperation mit der Probiodrug AG, wie sich die Alzheimer-Plaques bilden und wie sie sich vielleicht verhindern lassen.

Die Probiodrug AG beschäftigt an zwei Standorten in Halle (Bild) und München rund 70 Mitarbeiter. Lightbox-Link
Die Probiodrug AG beschäftigt an zwei Standorten in Halle (Bild) und München rund 70 Mitarbeiter. Quelle: HalleForum.de

Die für die Erkrankung typischen Amyloid-Plaques im Hirngewebe von Patienten wurden bereits Anfang des letzten Jahrhunderts vom Entdecker der Krankheit, Alois Alzheimer, beschrieben. "Aber erst seit reichlich zehn Jahren ist bekannt, dass sich eine bestimmte Form von kurzkettigen Eiweißen im Hirn von Alzheimer-Patienten bevorzugt ablagert", sagt Roßner. Bei diesen sogenannte Amyloid-Eiweißen ist das darin enthaltene Glutamat zu einem ringförmigen pyro-Glutamat umgewandelt. "Damit sind die Eiweiße praktisch versiegelt und schwerer abbaubar". Dies führe dazu, erklärt Roßner, dass sie sich im Gehirn Betroffener anreichern, verklumpen und sogenannte Fibrillen oder Oligomere bilden. Diese wiederum schädigen Nervenzellen und können im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung zum Verlust ganzer Neuronengruppen führen.

Schneeball widersetzt sich der Schmelze

"Darüber hinaus haben die pyro-Glutamat-modifizierten Amyloid-Eiweiße die unangenehme Eigenschaft, die eigentlich leicht abbaubaren, unveränderten Amyloid-Eiweiße gleich mit zu verklumpen und diese damit dem in der gesunden Nervenzelle fortwährend stattfindenden Abbau zu entziehen." Vergleichbar sei dies mit einem stark verdichteten Schneeball, der einen verschneiten Hang hinabrollt und dabei größer und größer wird. Während der auf dem Hang liegende Schnee bei Sonneneinstrahlung schnell abtaut, widersetzt sich die große Schneekugel sehr lange der Schmelze. Die pyro-Glutamat-modifizierten Amyloid-Eiweiße im Gehirn von Alzheimer-Patienten sind in diesem Sinne durchaus mit dem verdichteten Schneeball vergleichbar.

Probiodrug AG

Die Probiodrug AG wurde 1997 von den Wissenschaftlern Konrad Glund und Hans-Ulrich Demuth gegründet. Das Unternehmen mit Sitz in Halle arbeitet an der Entwicklung von Wirkstoffen zur Behandlung von Stoffwechsel, Nerven- und Entzündungs- sowie Autoimmunkrankheiten. Das erste Medikament auf cder grundlöage von Probiodrugs Technologien wurden Ende 2006 auf den Markt gebracht. Im Jahr 2007 übernahm Probiodrug das Münchner Biotechnologieunternehmen Ingenium Pharmaceuticals AG. Neben dem Stammsitz in Halle verfügt das Unternehmen damit auch über einen Standort in Martinsried.

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Es waren Wissenschaftler der Probiodrug AG aus Halle, die die Bildung des pyro-Glutamat Amyloid-Eiweißes als erste entschlüsseln konnten. Probiodrug hält 27 Patente für therapeutische Anwendungen und ist auf dem Forschungsfeld weltweit in der Spitzengruppe. Wegen der Expertise war es nur konsequent, dass Probiodrug die Leitung eines Konsortium von akademischen und kommerziellen Partnern übernahm, um die hier wirkenden Mechanismen besser zu verstehen. Das Netzwerk, dem neben Forschungsgruppen aus Leipzig, Halle und Magdeburg auch noch Unternehmen aus München und Graz angehören, wird vom BMBF innerhalb der Förderinitiative KMU-innovativ unterstützt. Diese hat sich  zum Ziel gesetzt, risikoreich Forschungsvorhaben von Hightech-Unternehmen zu unterstützen.

Von 2008 bis 2011 erhält der Verbund insgesamt 1,9 Millionen Euro. Schon seit 2001 engagiert sich das BMBF in der Alzheimer-Forschung von Probiodrug. Der jetzt in Nature Medicine publizierte Bericht basiert auf Forschungsarbeiten die mit Hilfe der KMU-Vorgängerinitiative, BioChancePLUS, unternommen werden konnten. Ziel war die „Targetvalidierung für die Behandlung von neuronalen Erkrankungen, insbesondere neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer'schen Demenz“.

Als Ziel für eine Therapie konnten die Forscher das Enzym Glutaminyl-Zyklase (QC) identifizieren. Wie sie in Nature Medicine berichteten, scheint QC für die krankheitsfördernde Umwandlung der Amyloid-Eiweiße verantwortlich zu sein.

Eiweiß-Verklumpungen in großer Zahl

Alzheimer-Amyloidablagerungen (grün markiert) im Hirn von unbehandelten (linkes Bild) und behandelten (rechtes Bild) Mäusen.Lightbox-Link
Alzheimer-Amyloidablagerungen (grün markiert) im Hirn von unbehandelten (linkes Bild) und behandelten (rechtes Bild) Mäusen.Quelle: Universität Leipzig

Nach dieser Entdeckung lag nun die experimentelle Strategie auf der Hand die QC zu hemmen, um so die Plaque-Bildung im Gehirn zu reduzieren und im Idealfall zu verhindern. "Dies konnten wir im Tierversuch eindeutig nachweisen", so Roßner. Genetisch veränderte Mäuse, die eine menschliche Erbanlage tragen, welche eine vererbbare Form der Alzheimerschen Krankheit auslöst, bekamen mit dem Futter QC-Hemmer verabreicht. Dabei wurden drei Versuchgruppen gebildet: Eine bekam normales Futter, die zweite Gruppe eine geringe und die dritte Versuchsgruppe schließlich eine höhere Dosis des QC-Hemmers. Bei den Mäusen, die keine Hemmer bekommen hatten, ließen sich die Eiweiß-Verklumpungen in großer Zahl feststellen. Die Tiere, die den QC-Hemmer mit dem Futter aufgenommen hatten, zeigten wesentlich weniger Eiweißablagerungen, wobei bei den Mäusen, die mit der höheren Dosis behandelt worden waren, auch tatsächlich eine stärkere Wirkung zu verzeichnen war.

"Und außerdem konnten wir einen weiteren interessanten Effekt beobachten", sagt Roßner. Die Forscher stellten nämlich fest, dass bei den behandelten Mäusen mit dem Umfang der Ablagerungen auch die Zahl der aktivierten Immunzellen im Hirn abnahm. "Dies ist eine höchst erwünschte Begleiterscheinung, denn es ist bekannt, dass die Aktivierung von Immunzellen im Hirn Entzündungsreaktionen auslöst, die wiederum zum weiteren Absterben von Nervenzellen beitragen können", umreißt der Wissenschaftler die Bedeutung dieser Beobachtung.

Nun beginnt eine weitere Phase der Erforschung der QC-Hemmer. Bis 2011 hat das BMBF dabei eine Unterstützung zugesagt. Unter anderem sollen neue, von der Probiodrug AG entwickelte QC-Hemmer im Tiermodell getestet werden, um daraus Wirkstoffkandidaten für klinische Studien auswählen zu können.

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