Ungewohnt helfende Rolle von Mastzellen entdeckt

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Mastzellen: Helfen bei Infektionen mit Bakterien, wie hier den Listerien (rot). Quelle: HZI

28.09.2007  - 

Ein bestimmter Zelltyp des Immunsystems - die sogenannten Mastzellen - spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Allergien, allerdings eine eher unrühmliche: Durch eine Fehlfunktion des Immunsystems werden diese Immunzellen fälschlicherweise alarmiert und schütten Substanzen aus, die weitere Teile der körpereigenen Immunabwehr mobiliseren. Nun haben Wissenschaftler am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) erstmals nachgewiesen, dass Mastzellen auch eine aktive Funktion bei der Abwehr bakterieller Infektionserreger zukommt. Wie das Team um Siegfried Weiß im Fachmagazin Cellular Microbiology (2007, Online-Vorabpublikation 24. September) berichtet, beteiligen sie sich offenbar am Kampf gegen die Eindringlinge. Anhand einer Infektion mit bestimmten Bakterien, den Listerien, konnten die Forscher zeigen, dass Mastzellen mit Hilfe chemischer Botenstoffe weitere Zellen an den Infektionsherd locken, die die Erreger zerstören und unschädlich machen.

In den Industrienationen leiden immer mehr Menschen unter Allergien. Bei dieser Fehlfunktion des Immunsystems reagiert der Körper auf harmlose Stoffe wie Blütenpollen oder Bestandteile der Nahrung, als würden Bakterien oder Viren einen Angriff auf den Körpder starten: Dabei werden Mastzellen fälschlicherweise alarmiert. Sie schütten Substanzen aus, die weitere Teile der körpereigenen Krankheitsabwehr mobilisieren. Die Blutgefäße erweitern sich und es kommt zu Entzündungsreaktionen, bei schweren Fällen auch zu Atemnot und im Ernstfall zu einem allergischen Schock.

Bis nur unrühmlich Rolle der Mastzellen bekannt

Bisher wussten Forscher nur von dieser eher unrühmlichen Funktion der Mastzellen. "Uns war zwar klar, dass dieser Zelltyp bei der bakteriellen Infektabwehr irgendeine Rolle spielen muss", erklärt HZI-Wissenschaftler Siegfried Weiß. "Aber welche das ist - da tappte die Wissenschaft bisher im Dunkeln." Um das herauszufinden untersuchten Weiß und seine Mitarbeiter das Immunsystem von Labormäusen, das ähnlich wie beim Menschen aus einem angeborenen und einem durch die Abwehr von Infektionserregern antrainiertem besteht. "Die Mastzellen gehören zum angeborenen Immunsystem, das besonders schnell aber dafür auch unspezifisch auf Krankheitserreger reagiert", erläutert Weiß. Das bedeutet, dass man Mastzellen bislang keine aktive Rolle im Kampf gegen spezifische Krankheitserreger wie Bakterien beigemessen hat.

Rolle der Mastzellen bei Infektion mit Listerien auf der Spur

Um dem Geheimnis der Mastzellen auf die Spur zu kommen, wurden die Labormäuse so genetisch verändert, dass sie keine Mastzellen mehr besaßen. Danach wurden die Mäuse mit bestimmten Bakterien, den Listerien, infiziert. Listerien gehören normalerweise zu den Bakterien, die vor allem über verunreinigte Lebensmittel in den Körper gelangen und dort dank ausgeklügelter Überlebens- und Vermehrungsstrategien eine gefährliche Wirkung entfalten können. Vor allem bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem kann es zu teilweise tödlichen Infektionen kommen – so gilt Listeria monocytogenes als Auslöser von Lebensmittelinfektionen, die in schweren Fällen Gehirnhautentzündungen hervorrufen.

Dieser Film (in Englisch) erläutert die Ausbreitungsstrategien verschiedener Bakterien im Körper, unteren von Salmonellen und Listerien.Quelle: youtube.com

Die Wissenschaftler beobachteten nun, wie die Tiere ohne Mastzellen zurechtkamen und verglichen sie mit einer Gruppe von Mäusen, die noch Mastzellen besaßen. Die Mäuse ohne Mastzellen hatten dabei schließlich mehr Probleme, gegen die Bakterien anzukämpfen als die Gruppe mit Mastzellen. "Bei diesen Mäusen haben wir uns dann die Mastzellen im Detail angesehen", erläutert Nelson Gekara, einer der beteiligten Wissenschaftler, die weitere Arbeit. Das Fazit überraschte die Forscher: "Die Mastzellen hatten selbst gar keine Listerien zerstört."

Mastzellen übernehmen offenbar aktive Rolle

Wie die Forscher gestellte, machten die Mastzellen in der frühen Phase der Infektion mit den Bakterien vielmehr denselben Job wie bei einer Allergie - sie sonderten Botenstoffe ab: Damit lockten sie andere Bestandteile des Immunsystems an - wie beispielsweise Fresszellen - und aktivierten sie. "Und diese Immunzellen haben dann die Listerien aufgenommen, zerkleinert und unschädlich gemacht" beschreibt Gekara die Wirkung.

Zwar hat die Wissenschaft Mastzellen bisher nur mit dem Krankheitsbild Allergie in Verbindung gebracht. Nun zeigt sich, dass sie offenbar - anders als bisher angenommen - auch eine aktive Rolle im Kampf gegen Krankheitserreger übernehmen. "Uns war klar, dass der Körper normalerweise keine Waffen auf sich selbst richtet", erläutert Siegfried Weiß. Aus Sicht des Wissenschaftlers sind Allergien und damit die Fehlfunktion der Mastzellen eng mit der heutigen Hygiene verbunden. "In einer Umgebung mit höherer Keimbelastung haben die Mastzellen genug Infektionen zu bekämpfen, so dass sie sich nicht auf harmlose Stoffe einschießen. Bei einem `zivilisierten´ Menschen langweilen sie sich gewissermaßen - und bekämpfen dann auch mal Pollen oder Nahrungsmittelbestandteile."

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