Wie sich Muskeln einen Jungbrunnen an regenerationsfähigen Zellen sichern

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Jungbrunnen für Muskelzellen (grün): Die Muskelentwicklung bei Mäuse-Föten wird über ein Reservoir von Stammzellen (rot markiert) kontrolliert. Quelle: Elena Vasyutina, MDC

28.03.2007  - 

Muskeln können sich sich nach Verletzungen gut regenerieren, weil sie auf ein Reservoir an Stammzellen zurückgreifen, aus denen immer wieder neue Muskelzellen aufgebaut werden können. Wie diese Vorräte aufrechterhalten werden, haben nun die Entwicklungsbiologen um Carmen Birchmeier vom Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin anhand von Mäuse-Föten untersucht. Im Fachmagazin Proceedings of the National Academies of Science (PNAS,  13. März 2007, Vol. 104 (11), S. 4443,) berichten sie, dass ein molekularer Schalter, kurz RBP-J genannt, eine wesentliche Rolle in diesem Prozess spielt: Er ist bereits früh in der vorgeburtlichen Entwicklungsphase für den Muskelaufbau verantwortlich und sorgt offenbar dafür, dass ein Jungbrunnen an regenerationsfähigen Zellen gebildet wird, den die Muskeln im Erwachsenenalter ausschöpfen können. Die Wissenschaftler glauben, dass sich ihre Erkenntnisse auch für spätere Stammzelltherapien nutzen lassen – beispielsweise zur gezielten Wiederherstellung von verletzten Muskelzellen.

Muskelstammzellen wurden bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckt und gelten seitdem als elementar für die Muskelregeneration nach Verletzungen, indem sie die geschädigten Muskelzellen bei Bedarf ersetzen. Sie sitzen in geringer Anzahl zwischen den Muskelzellen und gehören zu einer Gruppe  von sehr speziellen Vorläuferzellen im Körper, den sogenannten gewebsspezifischen oder adulten Stammzellen. Bislang haben Wissenschaftler bereits eine Reihe solcher adulten Stammzellen in den unterschiedlichsten Geweben gefunden: im Knochenmark, im Fettgewebe oder in der Bauchspeicheldrüse. Sie werden in der Fachsprache als multipotent bezeichnet. Damit ist ihre Fähigkeit gemeint, sich in unterschiedliche Gewebezellen zu entwickeln. Anders als embryonale Stammzellen, die sich grundsätzlich in alle Gewebezellen spezialisieren können, ist ihr Entwicklungsschicksal jedoch in gewisser Weise eingeschränkt. Wissenschaftler gehen dabei davon aus, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Entwicklung zunächst angehalten werden, um sich dann später nach Bedarf in eine bestimmte Gewebezelle, z. B. eine Muskelzelle, zu spezialisieren. Über die exakten molekularen Mechanismen, die diese Entwicklungsstufen innerhalb der Zellen kontrollieren, ist bislang jedoch noch ebenso wenig bekannt wie über die Faktoren, die die Anzahl an adulten Stammzellen im Gewebe aufrechterhalten.

Welche Mechanismen regulieren Stammzellaufbau in Muskeln?
Ein Forscherteam um die Leibniz-Preisträgerin Carmen Birchmeier vom Max-Delbrück-Centrum (MDC) in Berlin hat sich nun speziell den Muskelstammzellen gewidmet, was lange Zeit sehr schwierig war. Schließlich konnten diese Zellen zunächst nur durch aufwändige elektronenmikroskopische Verfahren auf molekularer Ebene im Gewebe nachgewiesen werden. Erst vor einigen Jahren gelang es dem deutschen Wissenschaftler Ahmed Mansouri und seinem französischen Kollegen Frederic Relaix, Muskelstammzellen mithilfe von spezifischen Markermolekülen (Pax-3 und Pax-7) aufzuspüren und diese Methode machten sich nun auch Birchmeier und ihre Kolleginnnen zunutze, um die Muskelstammzellen gezielt im sich entwickelnden Muskelgewebe von Mäuse-Föten zu untersuchen – auf der Suche nach den molekularen Mechanismen, die die Stammzellentwicklung im Muskel kontrollieren.

Ohne wichtigen molekularen Schalter wird kein Stammzell-Reservoire angelegt
Dabei identifizierten die Wissenschaftlerinnen RBP-J als einen molekularen Schalter der Stammzellentwicklung, der offenbar bereits in der vorgeburtlichen Entwicklung die Entstehung von Muskelzellen aus Vorläuferzellen reguliert. Wie sie im Fachmagazin PNAS berichten, gehört RBP-J  dabei zu einem speziellen Signalweg (Notch) der zellulären Kommunikation, der bei vielen embryonalen Entwicklungsvorgängen eine Rolle spielt und schon in früheren Untersuchungen mit Muskelregenerationsprozessen bei Erwachsenen in Verbindung gebracht wurde. Die Wissenschaftlerinnen konnten mit ihren Experimenten zeigen, dass sich Muskelstammzellen unkontrolliert in Muskelzellen entwickelten und dies zu keinem funktionellen Muskelgewebe führte, wenn RBP-J in seiner Aktivität gehemmt wurde. Darüber hinaus wurden ohne RBP-J alle Muskelstammzellen aufgebraucht und auf diese Weise konnten die Tiere kein Reservoir an Muskelstammzellen entwickeln, was bereits in dieser frühen Phase zu einer Unterentwicklung der Muskulatur führte. Die MDC-Forscher schlussfolgern daher, dass RBP-J nicht  nur entscheidend für die Aufrechterhaltung der Muskelstammzellfunktion in der frühen Entwicklungsphase, sondern auch für die Bildung eines Vorrats an differenzierungsfähigen Muskelstammzellen nach der Geburt ist. Und dieses Repertoire an Stammzellen, so die Vermutung, kommt auch später im Erwachsenenalter bei der Heilung von Muskelverletzungen zum Einsatz. Tatsächlich konnten andere Forscher bereits zeigen, dass die Injektion von Muskelstammzellen in den beschädigten Muskel von erwachsenen Mäusen die Regeneration beschleunigte und den Vorrat an Muskelstammzellen im Muskel wieder aufbaute. Mit der Identifikation von RBP-J als zentralen Überträger des Notch-Signals wächst die Hoffung, dass sich auf der Basis von adulten Stammzellen Therapien zur gezielten Regeneration von Muskelverletzungen entwickeln lassen. Zudem könnten die Erkenntnisse auch zu neuen Einsichten bei anderen adulten Stammzellen führen, da der Notch-Signalweg in vielen Geweben eine Rolle im Stammzellaufbau zu spielen scheint.

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Adulte Stammzellen

Wollen Sie mehr über die Funktionen von Stammzellen im Körper erfahren? Auf dem Videoportal YouTube zeigt ein kurzer Animationsfilm die Entwicklung und Verbreitung von adulten Stammzellen beim Menschen. mehr


Stammzellen

Stammzellforschung in Deutschland

Über einige Ansätze mit adulten Stammzellen hat biotechnologie.de bereits berichtet:

Dieter Chichung Lie vom GSF Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit arbeitet mit neuronalen Stammzellen und hat im August 2006 den European Young Investigator Award erhalten. mehr

Göttinger Forscher hatten im März 2006 entdeckt, dass sich in Mäusehoden stammzellähnliche Zellen finden lassen mehr

Braunschweiger Wissenschaftler testen wiederum eine Stammzelltherapie für Achillessehnen an Ratten mehr


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