Schwangerschaft: Gewalt hinterlässt epigenetische Spuren

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Stehen werdende Mütter unter einer ständigen Bedrohung, so führt der damit verbundene Stress zu Änderungen im Erbgut der Kinder. Quelle: Harry Hautmann/pixelio.de

06.09.2011  - 

Die Schwangerschaft ist eine sensible Phase. Seit langer Zeit ist bekannt, dass besondere Belastungen der werdenden Mutter Auswirkungen auf das ungeborene Kind haben. Forscher am Genomics Center (GeCKo) der Universität Konstanz haben jetzt herausgefunden, dass durch Stresserfahrungen in der Schwangerschaft sogar die Genetik der Kinder beeinflusst wird. Eine Arbeitsgruppe um den Psychologieprofessor Thomas Elbert und Axel Meyer, Professor für Verhaltensbiologie an der Universität Konstanz zeigt, dass die Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft häuslicher Gewalt ausgesetzt waren, eine höhere genetische Veranlagung für Verhaltensauffälligkeiten und seelische Erkrankungen haben. Das GeCKo wird im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert. Die Ergebnisse wurden im Wissenschaftsjournal Translational Psychiatry (2011, Onlineveröffentlichung) publiziert.

Betroffen ist das Glucocorticoid-Rezeptor-Gen, eine Erbanlage, die Wissenschaftler mit Verhaltensauffälligkeiten und Stressresistenz in Verbindung bringen. Die Wissenschaftler um Elbert und Meyer haben nachgewiesen, dass eine anhaltende Bedrohungssituation und dadurch bedingter Stress der werdenden Mutter eine epigenetische Veränderung in den Methylisierungsmustern dieses Gens auslöst. Die Methylisierungsmuster gestalten die Ausprägung der Erbanlagen, ohne die DNA an sich zu verändern. Es handelt sich dabei also nicht um eine Mutation der kindlichen Gene. Mit Hilfe bestimmter Enzyme werden einzelne Gene an- oder ausgeschaltet. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch in der Krebsforschung, wo regelmäßiges Trinken von Grünem Tee nachweislich das genetisch vererbte Krebsrisiko senkt – ein Stoff in dem Getränk verändert die Expression des entsprechenden Gens. Ist eine werdende Mutter einer ständigen Bedrohung ausgesetzt, wird die genetische Veranlagung zur Stressresistenz des Kindes chemisch beeinflusst.

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„Die Zyklen der Gewalt werden epigenetisch weitertransportiert“, sagt Elbert. Der Professor für klinische Psychologie arbeitet mit traumatisierten Menschen, die häusliche Gewalt erlebt haben, viele seiner Patienten kommen aber auch aus Kriegs- und Krisenregionen. Elbert hat die Auswirkungen der Gewalt an Gruppen von zehn- und 19-jährigen Kindern und Jugendlichen analysiert. „An Kindern von Frauen, die von unterschiedlichen Stressoren während der Schwangerschaft berichten, ist die Stressachse anfälliger“, erklärt er. Der Körper der Mutter bereitet die Kinder darauf vor, in einer bedrohlichen Situation aufzuwachsen: Die Kinder verhalten sich später unter Umständen ängstlich und weniger neugierig. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Mutter das Ungeborene über den epigenetischen Code auf sein späteres Leben vorbereitet“, resümiert der Psychologieprofessor. Ähnliche Zusammenhänge hätten sich auch bei Kindern von Frauen gezeigt, die den Hungerwinter nach dem zweiten Weltkrieg erlebt hätten. „Viele Kinder dieser Mütter, die in der Schwangerschaft nicht genug zu essen hatten, neigen zu Übergewicht“, sagt Elbert.In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, was sich hinter dem Begriff Epigenetik verbirgt.Quelle: biotechnologie.tv

Bisher waren derartige Veränderungen nur im Immunsystem bekannt – Kinder gestresster Mütter sind anfälliger für Krankheiten, auch zum neuronalen Gedächtnis gibt es Forschungen. Untersuchungen an Rhesusaffen hätten jedoch gezeigt, dass durch Stress die Lesbarkeit der Gene erheblich verändert würde. „Wenn man in jungen Jahren die Affen-Mütter von den Kindern trennt, werden ein Fünftel der Gene anders methyliert, die Jungen sind nicht stressresistent“, sagt Elbert. Für seine jungen Patienten lässt sich damit auch eine mögliche Veranlagung zu späteren Verhaltensauffälligkeiten vorhersagen.

Ein unbedingter kausaler Zusammenhang sei jedoch nicht bewiesen, betonen die Wissenschaftler. In der Forschung zu den epigenetischen Veränderungen stehen die Wissenschaftler noch am Anfang. Inzwischen lassen sich diese Auffälligkeiten auch durch Blutuntersuchungen nachweisen. „Es ist neu, dass man den epigenetischen Code im Blut lesen kann“, sagt Elbert. „Beim Menschen wissen wir bisher sehr wenig.“ Deshalb wollen die Konstanzer Arbeitsgruppen ihre Untersuchungen von dem Cortisol-Rezeptor-Gen jetzt auf das gesamte menschliche Genom ausweiten, und die genauen Auswirkungen charakterisieren. Mit dem Wissen um die biologischen Mechanismen kann in Zukunft vielleicht einmal aufgrund eines Bluttests die Disposition zu Krankheiten vorhergesagt oder sogar entsprechend manipuliert werden. „Das sind dann Fragen, die an die Grundlagen einer Gesellschaft gehen“, meint Elbert. Wobei das einfachste Gegenmittel auch in diesem Fall die Prävention sei: „Das Beste ist natürlich, werdende Mütter vor Gewalt zu schützen.“

© biotechnologie.de/ck 

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