Kooperationsforum Biopharmaceuticals: Jenseits des Antikörpers

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Mehr als 200 Fachleute aus Wissenschaft und Wirtschaft fanden den Weg nach Benediktbeuern, um über Trends der Biopharmazie zu diskutieren. Quelle: Manfred Neubauer/Bayern Innovativ GmbH

20.05.2010  - 

„Wissen Sie, wer derzeit der glücklichste Mensch in München ist?“, fragt Horst Domdey in die Runde, um gleich darauf selbst zu antworten. „FC Bayern-Trainer Louis van Gaal. Aber gleich danach komme ich.“ Im Januar hatte das Münchner Biotech-Netzwerk BioM im Spitzencluster-Wettbewerbs des BMBF triumphiert (mehr...). Die 270 Experten der roten Biotechnologie, die im Kloster Benediktbeuern unweit des Starnberger Sees zusammenkamen, diskutierten aber nicht nur über vergangene Erfolge, sondern vor allem über zukünftige Aussichten. Dabei zeigte sich: Die neue Generation an biopharmazeutischen Wirkstoffen löst sich von der Antikörper-Technologie und wird immer persönlicher.


 

Eigentlich müssten die Entwickler von biopharmazeutischen Medikamenten, also biotechnologisch hergestellten Molekülen wie Antikörper oder Enzymen, sehr optimistisch in die Zukunft blicken. Seit Jahren steigt der Umsatz mit biopharmazeutischen Produkten. 2009 lag er in Deutschland nach dem aktuellen Report des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa bio) bei 4,7 Milliarden Euro (mehr...). Das ist ein Marktanteil von 16 Prozent. Viele Experten erwarten, dass sich das noch steigern wird, wenn in den nächsten Jahren auch nur ein Bruchteil der mehreren hundert Wirkstoffkandidaten, die sich derzeit in der klinischen Prüfung befinden, auf den Markt kommt. 

Mehr als 200 Experten

In Bayern ist man aufgrund der wirtschaftlichen Stärke auch in der Biotechnologie traditionell etwas zuversichtlicher als im Rest der Republik. Oft mit gutem Grund. Im Jahr 2009 sammelten die bayerischen börsennotierten Biotech-Unternehmen 104 Millionen Euro und damit fünf von sechs Euro ein, die durch Kapitalerhöhungen in Deutschland erlöst wurden. „Wir klagen auf einem hohen Niveau“, sagte Horst Domdey im Kloster Benediktbeuern im Süden des Starnberger Sees, wo sich am 18. Mai rund 270 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft trafen, um über „Biopharmaceuticals. Entwicklung – Optimierung – Produktion“ zu diskutieren. „Bayern Innovativ“, die vom Freistaat mitfinanzierte Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer, lud nach 2008 zum zweiten Mal zu dem Kooperationsforum, das einen Tag mit Fachvorträgen mit einer kompakten Ausstellung kombinierte.

Am Vorabend des Kooperationsforums konnten die Teilnehmer den Roche-Standort Penzberg besichtigen.Lightbox-Link
Am Vorabend des Kooperationsforums konnten die Teilnehmer den Roche-Standort Penzberg besichtigen.Quelle: Manfred Neubauer/Bayern Innovativ GmbH

Die Klagen, die Horst Domdey andeutete, formulierte der Vorsitzende des Vfa bio Frank Mathias in seinem Vortrag aus. Er wies auf die seit Jahren sinkenden Zuwendungen von Wagniskapitalgebern ebenso hin wie auf die Entwicklung in der aktuellen Gesundheitspolitik. „Sie zeigt in eine Richtung, die mich zweifeln lässt, ob wir auch in Zukunft eine ähnlich positive Bilanz wie bislang ziehen können.“

Penzberg ist der wichtigste Biotech-Standort Deutschlands

Eine positive Bilanz konnte zumindest Ralf Schumacher präsentieren, der Leiter der biotechnologischen Forschung der Roche Diagnostics Sparte in Penzberg. 2009 machte das Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz rund 10 Milliarden Euro Gewinn. Seit der Übernahme von Boehringer Mannheim unterhält Roche im bayerischen Penzberg einen wichtigen Forschungs- und Produktionsstandort für Biopharmazeutika. Mit 4600 Beschäftigten ist Penzberg der größte Biotech-Standort in Deutschland. Nicht zuletzt deshalb organisierte Bayern innovativ das Kooperationsforum wie schon 2008 zum zweiten Mal in enger Zusammenarbeit mit Roche.

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Roche erwirtschaftet schon rund zwei Drittel des Umsatzes mit Biopharmazeutika. Nicht zuletzt deshalb sieht Schumacher das Unternehmen gut aufgestellt, um die beiden großen Entwicklungen in der Branche zu meistern: das Maßschneidern von Therapie auf einzelne Patientengruppen hin sowie die Verwendung neuartiger Biomoleküle jenseits der monoklonalen Antikörper, auf denen derzeit noch ein Großteil der biopharmazeutischen Therapien beruht. Roche will beim ersten Trend zu spezifischeren Therapien frühzeitig mitmischen und verzahnt deshalb Diagnostik und Therapie schon von Anfang an. „Bei uns muss jeder neue Wirkstoffkandidat auch einen geeigneten Biomarker vorweisen können“, sagte Schumacher. „Das fordert das Management.“ Mit dem passenden Biomarker soll im Voraus abgeklärt werden, ob der Patient aufgrund seines individuellen genetischen Profils auch auf das Medikament anspricht oder ob er vielleicht eine andere Variante der Therapie benötigt, die Roche dann möglichst auch im Portfolio haben will. Roche kennt sich mit dieser Kombination aus Diagnostik und Therapie schon besser aus als andere Pharmaunternehmen. Das Medikament Herceptin gegen Brustkrebs wird von Roche in Kombination mit einem Test angeboten, der feststellt, ob die Patientin zu den 25 Prozent gehört, deren Tumor auf den Trastuzumab-Antikörper anspricht.

136 Millionen Euro für Diangostik-Erweiterungsbau

Der spezifischere, kleinere Anwenderkreis der zukünftigen Medikamente hat einen großen Nachteil. Er lässt die zu erwartenden Umsätze pro Therapie schrumpfen. „Da müssen wir uns dann auch mal mit 100 Millionen Euro Umsatz zufriedengeben“, sagte Schumacher. Roche will der unausweichlichen Entwicklung mit einem Strauß an personalisierten Therapien begegnen. Die Vielzahl der Wirkstoff-Varianten und die begleitende Diagnostik sollen einen Teil der Einbußen ausgleichen. Um sich auf den Megatrend der Personalisierung optimal vorzubereiten, hat Roche viel investiert in den Standort Penzberg, der nach den Forschungszentren des 2009 übernommenen Biotechnologie-Riesen Genentech in den USA der konzernweit wichtigste Standort für die Biopharmazie ist. Seit Jahren gleicht das Firmengelände im Nonnenwald außerhalb von Penzberg einer Großbaustelle. Während am letzten Erweiterungsflügel des 2007 fertig gestellten Produktionsgebäudes Biologics IV noch geschraubt wird, steht schon die nächste Einweihung an. Mitte des Jahres 2010 ist der neue Diagnostics Operations Complex fertig. In das für 136 Millionen Euro erstellte Gebäude ziehen Einheiten von Roche Applied Science und von Roche Professional Diagnostics ein.

Dass der Standort Penzberg weltweit in der ersten Liga der Biotechnologie mitspielt, ist aber nicht nur an den vielen neuen Glasfronten zu sehen. Im Biologis II, einem Gebäude, dass schon Ende der 1990er-Jahre fertig gestellt wurde, gab es bei der Führung am Vortag des Kooperationsforums ein weltweites Unikum zu bestaunen. Ein Fermenter, in dem nacheinander Kulturen aus Bakterien und Säugetierzellen herangezogen werden. Zwischen dem Umschalten liegen allerdings fünf Wochen Reinigungs- und Rekalibrierungsarbeit, die sicherstellen, dass auch nicht die kleinste Spur der vorherigen Beladung übrig bleibt.

Auf der begleitenden Ausstellung präsentierten Unternehmen ihre neuesten Produkte.Lightbox-Link
Auf der begleitenden Ausstellung präsentierten Unternehmen ihre neuesten Produkte.Quelle: Manfred Neubauer/Bayern Innovativ GmbH
Der "Switch" ist aufwendig, lohnt sich aber, weil der Bedarf für Herceptin weltweit so hoch ist und alle Produktionskapazitäten willkommen sind. Eigentlich werden in dem Stahltank E.coli-Bakterien herangezogen, die Interferon produzieren. Doch die langwierigen Aufreinigungsschritte, die notwendig sind, um das Interferon aus den Bakterien herauszubringen, bedeuten, dass der Fermenter nach einem Aufzucht-Durchgang leer steht, bis die komplette Ladung an Bakterien verarbeitet ist. Deshalb produziert Roche einige E.coli-Ladungen auf Vorrat und friert diese dann ein, um einmal pro Jahr dann auf die Säugetierzellenproduktion des Herceptins umzurüsten. Da die verschiedenen Zellen so unterschiedliche Bedingungen benötigen, war lange umstritten, ob ein und der selbe Fermenter das bewältigen können. Bei Roche funktioniert es. Das ist weltweit einzigartig.

Während Roche bei der Personalisierung der Medizin auf das Know How aus dem eigenen Haus setzt, wollen die Schweizer bei der neuen Generation von Biomolekülen jenseits des Antikörpers auch auf Innovationen von kleineren Biotech-Firmen zurückgreifen. Einige Kandidaten präsentierten sich auf dem Kooperationsforum, nicht zuletzt mit einem Blick auf einen möglichen Partner Roche. Dominik Rüttinger von der Micromet, der die Bite-Antikörper vorstellte, konnte mit den Entwicklungspartnern Bayer Schering Pharma, Merck Serono, MedImmun und Sanofi-Aventis allerdings schon mehrere illustre Namen vorweisen (mehr...). So weit sind die Teilhaber der schweizerischen Molecular Partners noch nicht. CEO Christian Zahnd ist aber zuversichtlich, dass sich für seine DARPin-Technologie bald Partner finden lassen. DARPins sind Eiweiße mit sich wiederholender Struktur, die um ein Vielfaches kleiner, aber weitaus wirksamer sein sollen als klassische monoklonale Antikörper. Arne Skerra, Professor am Lehrstuhl für biologische Chemie der Technischen Universität München, entwickelt mit seinem Unternehmen XL-Protein biologische Anhängsel, die therapeutische Eiweiße größer machen und damit länger im Körper verharren lassen (mehr...). Das steigert ihre Wirkung. Nach eigenen Angaben testen bereits mehrere Pharmafirmen die Technologie. Das gleiche Ziel hat Fresenius Kabi. Das Unternehmen aus Friedberg verwendet dafür allerdings ein biologisches Molekül, das von der Maisstärke abgeleitet ist.

Wachstum um hundert Prozent im Jahr

Steffen Goletz von Glycotope erklärte, wie sein Unternehmen mit dem nachträglichen Aufbringen von Zuckerstrukturen, die sogenannte Glykosylierung, therapeutische Eiweiße wie zum Beispiel Antikörper modifizieren kann. Die Sloning Biotechnology GmbH versucht eine ähnliche Wirkung mit ganz genau definierten Eingriffen in den genetischen Code der Eiweiße zu erreichen, wie Sloning-Mitgründer Heinz Schwer erklärte. Die Technologie, mit der man etwa die von Roche anvisierte Auffächerung von Antikörpern für einzelne Patientengruppen erreichen kann, ist offenbar gefragt. „Wir schreiben seit 2009 schwarze Zahlen und wachsen derzeit mit 100 Prozent im Jahr“, sagte Schwer.

Einen launigen Abschluss des Treffens bot John-Edward Butler-Ransohoff, der bei der Bayer Tochter Bayer Innovation die Entwicklung von pflanzenbasierten Produktionsmethoden für Biopharmazeutika leitet. „Als wir 2007 mit dem Projekt begonnen, konnten wir bei Bayer noch nicht einmal Idiotyp buchstabieren“, sagte Butler-Ransohoff über die Anfänge des Projekts. Bayer verwendet eine Technologie der kleinen Biotech-Firma magnICON, um individuell passende Antikörper für einzelne Patienten in Tabakpflanzen zu produzieren. Vor kurzem konnte dabei ein Durchbruch erzielt werden (mehr...). Und auch wenn Bayer und Bayern nur den Namen gemein haben, fand Butler-Ransohoff auch beim Publikum in Benediktbeuern ehrliche Anerkennung. „Das sind ja sehr beeindruckende Daten“, sagte ein Zuhörer. Butlers Vortrag wurde mit kräftigem Applaus bedacht, obwohl die Veranstaltung eigentlich schon seit einer halben Stunde beendet war. Einen Vorteil gab es allerdings. Die Schauer, die den ganzen Tag über dem Kloster niedergingen, waren zu dieser Stunde auch vorbei.

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