Antikörper in Rekordzeit herstellen

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Die Zellen herauszufinden, die den richtigen Antikörper produzieren, ist bisher eine Fleißarbeit. Bald könnte alles wie am Schnürchen laufen. Quelle: BMBF/Unternehmen Region

23.02.2010  - 

Antikörper sind die Tausendsassas der Biowissenschaften: Weil sie ganz gezielt an andere Moleküle binden können, werden sie nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Diagnostik eingesetzt. Ihre Herstellung ist derzeit jedoch noch vergleichsweise aufwändig. Ein Forscherteam an der Universität Potsdam arbeitet nun an einer radikalen Vereinfachung dieses Prozesses und wird dabei durch Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderinitiative "InnoProfile" unterstützt.


 

So mancher Besucher der Nachwuchsforschungsgruppe am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam hat wohl unwillkürlich an Friedrich Schiller gedacht, wenn Katrin  Messerschmidt mit dicken Handschuhen die Behälter mit ihren Forschungsobjekten aus dem auf fast minus 200 Grad Celsiius gekühlten Lager holt: In dichten weißen Wolken quillt flüssiger Stickstoff über den Rand der  stählernen Tonne und sinkt langsam auf den Linoleumboden. Die Biochemikerin stellt das  dampfende Rack ab, nimmt eine der mit einer dünnen Eisschicht überzogenen Kunststoffboxen heraus und öffnet sie. „Das sind unsere Schätze – Antikörper-bildende Zellen“, sagt die Forscherin lächelnd, und erklärt weiter: „Ganz neu haben wir hier Zellen von Lizzy, einem Lama, das uns ganz spezielle, leicht zu klonende Antikörper liefern wird.“

Katrin Messsrschmidt holt Antikörper-produzierende Zellen des Lamas Lizzy aus einem Behälter, der auf minus 200 Grad abgekühlt worden ist.Lightbox-Link
Katrin Messsrschmidt holt Antikörper-produzierende Zellen des Lamas Lizzy aus einem Behälter, der auf minus 200 Grad abgekühlt worden ist.Quelle: BMBF/Unternehmen Region

Antikörper: die neuen Tausendsassas

Antikörper werden in der Medizin schon seit über hundert Jahren verwendet, und seit einigen Jahren sind sie die neuenTausendsassas der Biowissenschaften: Neben dem „klassischen“ Einsatz als Impfstoff zur passiven Immunisierung beim Menschen dienen Antikörper heute vor allem als sogenannte Bindemoleküle zur Identifizierung und Isolierung von Substanzen – als Nachweisverfahren in Diagnostik und Analyse; etwa um eine Infektion durch Viren oder andere Krankheitserreger zu entdecken, Allergien zu bestimmen oder Hormonwerte im Blut zu messen, aber auch, um Verunreinigungen bei Lebensmitteln oder Schadstoffbelastungen in der Umwelt nachzuweisen. Spezifische Antikörper sind in der Lage, nahezu jedes Molekül (Zielmolekül oder Antigen genannt), mit großer Genauigkeit zu finden und nachzuweisen. Sie sind daher ideale „Suchmaschinen“, um winzige Mengen bestimmter Moleküle aufzuspüren, und sie dienen so tagtäglich in den Forschungslaboratorien der Welt als nützliche Werkzeuge für vielfältige Aufgaben. Diesen neuen Werkzeugen widmet sich die siebenköpfige Nachwuchsforschungsgruppe um die promovierten Biowissenschaftlerinnen Katja Heilmann und Katrin Messerschmidt in einem Projekt, das durch die BMBF-Förderinitiative "Innoprofile"von 2007 bis 2012 mit rund 4,3 Millionen Euro unterstützt wird. Ziel ist es, neue Methoden zur Gewinnung und Selektion Antikörper-produzierender Zellen zu entwickeln.

InnoProfile

Mit "InnoProfile" soll die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft in den neuen Bundesländern durch die Kooperation von regionaler Nachwuchsforschung und regionalen wirtschaftlichen Kompetenzträgern systematisch gestärkt werden. Insgesamt fördert das BMBF derzeit 42 "InnoProfile".

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„Jedes Antikörper-Molekül besitzt eine einzigartige Struktur, die die Erkennung eines bestimmten Antigens ermöglicht“, erläutert Projektleiterin Heilmann: „In ihrer Gesamtstruktur sind sich die verschiedenen Antikörper jedoch  sehr ähnlich und daher eigentlich leicht herzustellen.“ Eigentlich. Denn die Gewinnung spezifischer Antikörper für bestimmte Anwendungen sei bis heute nicht automatisierbar, so die Forscherin: „Die Antikörper produzierenden Zellen, die B-Zellen oder Lymphozyten, müssen jedes Mal in einem sehr zeit- und kostenaufwendigen Screening-Prozess selektiert werden.“ Die Potsdamer Forscher wollen nun Verfahren finden, die die Aktivierung bestimmter seltener Antikörper ermöglichen und das mühsame manuelle Screening durch eine schnellere Selektion ersetzen. „Es gibt seit einigen Jahren einen enormen, stetig steigenden Bedarf an monoklonalen Antikörpern“, so Heilmann: „Aufgrund dieser wachsenden Nachfrage nach Antikörpern in Wissenschaft und Medizin glauben wir, dass unsere neuen Technologien enorm gefragt sein werden.“

Vereinfachte Herstellung

Die Biochemikerin Katrin Messerschmidt erklärt, warum das so sein wird: „Unsere neuen Verfahren führen zu einer radikalen Vereinfachung in der Antikörper-Herstellung und verbessern das Auffinden seltener Bindemoleküle“, sagt die Spezialistin für Antikörper-Strukturen. „Durch eine bessere Aktivierung im Spender-Organismus stehen die B-Zellen nicht erst nach drei Monaten wie bisher, sondern bereits nach zwei Wochen zur Verfügung“, so Messerschmidt. Hier kommt nun Labor-Lama Lizzy wieder ins Spiel, das bei der besseren Antikörper-Produktion helfen soll. Lamas haben Antikörper, die zwei Proteinketten weniger besitzen als andere Säuger. „Die sind stabiler und leichter zu klonen“, sagt die Biochemikerin: „Auch das wird die Herstellung der Antikörper vereinfachen und beschleunigen.“

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Aber wie werden Antikörper eigentlich produziert? „Der erste Schritt ist die Immunisierung des Spender-Organismus, um geeignete B-Zellen zu bekommen“, erklärt Katja Heilmann. Dafür würden meist spezielle gentechnisch veränderte Mäuse verwendet. Bei der Immunisierung werden dem Spender meist mehrmals geringe Dosen eines Antigens, die sogenannte Vakzine verabreicht. „Das Immunsystem des Organismus reagiert darauf und bildet vermehrt B-Zellen, die Antikörper gegen dieses Antigen produzieren“, so Katja Heilmann weiter: „Die B-Zellen reichern sich  in der Milz an, die dann entnommen wird.“ Dazu muss die immunisierte Maus getötet werden. Katja Heilmann, Katrin Messerschmidt und ihre Nachwuchsforschungsgruppe arbeiten nun an einem neuen Immunisierungsverfahren, das die B-Zellen in vitro, also im Reagenzglas aktiviert. „Dann müssen keine Tiere mehr für die Antikörper-Herstellung getötet werden“, erläutert Katrin Messerschmidt den Vorteil ihrer neuen Methode.

Und wie geht es dann weiter in der Antikörper-Produktion? Die B-Zellen werden isoliert und mit quasi unsterblichen Krebszellen chemisch oder elektrisch zu einem „Hybridom“ fusioniert, das dann identische, sogenannte monoklonale Antikörper herstellt. Dieses Verfahren wurde 1975 von dem argentinischen Chemiker und Molekularbiologen César Milstein und dem deutschen Biologen Georges Köhler entwickelt, wofür sie 1984 den Medizin-Nobelpreis erhielten. „Leider können bei diesem Verfahren alle Zellen zu Hybridom-Zellen fusioniert werden, es ist kein spezifischer Prozess“, sagt Katja Heilmann: „Ein Organismus enthält ja sehr viele verschiedene Antikörper produzierende Zellen – nicht nur die, die wir gerne hätten“. Die Selektion der „richtigen“ Zellen sei mühsame Handarbeit, die oft Monate in Anspruch nehme. 

Zeitraubende Selektion automatisieren

Um diesen zeitraubenden Sortierprozess zu automatisieren, hat die „InnoProfile“-Nachwuchsforschungsgruppe ein Verfahren weiterentwickelt, das bereits zum Patent angemeldet wurde: die Selektion mithilfe sogenannter Toxin-Konjugate. „Im Prinzip töten wir einfach alle B-Zellen ab, die nicht die gewünschten Antikörper produzieren“, erklärt Katrin Messerschmidt. Der Knackpunkt sei, das „richtige“ Toxin (Gift) zu finden, das die entsprechenden B-Zellen abtötet, so die Biochemikerin: „Da knabbern wir derzeit dran – das ist nicht trivial.“ An das Toxin wird ein Antigen gekoppelt, das das Gift bei den „richtigen“ B-Zellen durch die gebundenen Antikörper unwirksam macht. Die zweite Methode, um die Selektion zu automatisieren, ist die Kennzeichnung der „richtigen“ B-Zellen mit bestimmten Markern, die fluoreszieren oder magnetisch sind. „Dieses Verfahren prüfen wir derzeit“, sagt Projektleiterin Heilmann. Der nächste Meilenstein ist die Patentanmeldung im Mai 2010. „Wenn wir das Marker-Verfahren serienreif hinbekommen, werden wir damit wohl eine Ausgründung  starten“, so die Forscherin. Mit der langen, fünf Jahre laufenden Förderung durch „InnoProfile“ sei das eine realisierbare Option, so Heilmann: „Da haben wir Zeit, wirklich was auf die Beine zu stellen.“

 

Text entnommen aus:  Magazin "Unternehmen Region", Ausgabe 1/2010

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