Klumpen-Killer für sichere Arzneien
17.04.2012 -
Therapeutische Proteine als Arzneimittel spielen eine Schlüsselrolle in der modernen Medizin. Die Herstellung im Großmaßstab jedoch ist eine echte Herausforderung für Ingenieure und Wissenschaftler. Kritisch wird es, wenn die Proteine verklumpen, denn dies kann zu gefährlichen Immunreaktionen beim Patienten führen. Die Hochschule Biberach und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gehen den unerwünschten Protein-Aggregaten an den Kragen: Im BMBF-Projekt „Proteinaggregation bei der Herstellung moderner Biopharmazeutika“ werden beide Einrichtungen für die Dauer von drei Jahren mit rund zwei Millionen Euro gefördert.
Medikamente auf Proteinbasis haben längst Erfolgsgeschichte geschrieben: Humanes Insulin, der monoklonale Antikörper Herceptin gegen Brustkrebs und der Wachstumsfaktor EPO sind bekannte Vertreter. Diese Biopharmazeutika werden nicht chemisch, sondern biotechnologisch mit Hilfe von gentechnisch veränderten Zellen im Großmaßstab hergestellt und anschließend im Downstream Processing – so der Fachausdruck – aufgereinigt. Eine unzureichende Isolierung der therapeutisch wirksamen Proteine oder gar der Verlust der dreidimensionalen Struktur dieser intravenös – also direkt ins Blut – gespritzten Medikamente führt zu Verklumpungen, so genannten Aggregationen. Solche Klümpchen können starke Immunreaktionen beim Patienten auslösen. Im schlimmsten Fall kann es sogar dazu kommen, dass der Patient die Therapie abbrechen muss, wenn das Immunsystem durch die Eiweißklümpchen zu stark beansprucht wird.
Den Prozess der Klumpenbildung verstehen
„Die Hersteller von Biopharmazeutika haben großes Interesse daran, die unerwünschte Verklumpung zu vermeiden. Bislang werden teure Zwischenschritte bei der Proteinreinigung eingebaut, um die Aggregate abzutrennen," erklärt Hans Kiefer, Projektleiter und Professor am Institut für Pharmazeutische Biotechnologie an der Hochschule Biberach. „Zudem führen die unerwünschten Klümpchen auch zu einer stark begrenzten Lagerdauer von Biopharmazeutika."
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Wissenschaftliche Arbeiten, die den molekularen Mechanismus der Aggregatbildung aufklären gibt es bislang kaum. Die Forscher fangen tatsächlich bei Adam und Eva an: „Zunächst wollen wir verstehen, wie es zur Aggregatbildung kommt", so der studierte Biochemiker Kiefer. Im ersten Schritt müssen die Wissenschaftler die Proteine gezielt dazu bringen, sich zu unerwünschten Knäuel zusammen zu rotten. „Danach wollen wir untersuchen, wie man diese Aggregate wieder auflösen kann." Als mögliche Klumpen-Killer hat Kiefer schon einige Substanzen im Visier: Substanzen, die man von vielen stressresistenten Organismen wie beispielsweise Bakterien und Bärtierchen kennt und die es den Kleinstlebewesen ermöglichen, einen Trockenzustand zu überleben. „Hier wird die Aggregatbildung unter anderem durch den Zucker Trehalose verhindert", so der 50-jährige Wissenschaftler. „Noch wissen wir nicht wie das funktioniert, doch ein Teil unseres Projektes beschäftigt sich mit dieser Aufklärung." Sein Kollege Friedemann Hesse hilft dabei. Er ist der Spezialist für das Upstream Processing – die Fermentation – und spürt die Proteinkomplexe in der Fermentationsbrühe mit Hilfe von optischen Detektoren auf.
Hightech liefert Lösungsansätze
Das KIT forscht parallel zur Hochschule Biberach an anderen Lösungen: Matthias Kind vom Institut für Thermische Verfahrenstechnik und Hermann Nirschl vom Institut für Mechanische Verfahrenstechnik und Mechanik planen, eine gezielte und schonende Form der Proteinaggregation als Aufreinigungsschritt zu etablieren. Jürgen Hubbuch, Professor am Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik im Bereich Molekulare Aufarbeitung von Bioprodukten ist Experte für die automatisierte Optimierung von Verfahrensschritten. Er verbessert die „Hydrophobe Interaktionschromatografie" und die Ultrafiltration, um die Bildung störender Aggregate von vornherein zu vermeiden.
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Die Industrie klopft an
Die Industrie beäugt das Projekt mit großem Interesse. „Wie auch in unseren bisherigen Kooperationen versorgt uns die pharmazeutische Industrie mit Proteinen. Nach der Halbzeit des Projektes ist ein Kolloquium geplant, in dem wir die Industrie über unsere Fortschritte informieren werden", erläutert Kiefer, der seit 2007 seine Professur in Biberach inne hat.
Nicht nur in Biberach und Karlsruhe wird nach Wegen gesucht, neue Produktionsverfahren zu entwickeln oder bestehende Methoden ressourceneffizienter, kostengünstiger und umweltschonender zu gestalten. Das BMBF führt in dem Strategieprozess "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren" Experten unterschiedlichster Disziplinen zusammen. Gemeinsam loten die Fachleute aus, wie die Kombination aus Ingenieurskönnen und biowissenschaftlichem Know-how die Biotechnik der Zukunft verändern kann.
Autorin: Andrea van Bergen