Würde in der Gentechnik

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Diskussionen in die Mitte der Gesellschaft tragen. Auch das ist eine Aufgabe der Bioethiker vom Ethikzentrum Jena Quelle: biotechnologie.de

23.11.2010  - 

Beim Gedanken an gentechnische Forschung sind die Bilder schon gesetzt: Forscher in Laborkitteln führen in Reinräumen komplizierte Versuche durch, Petrischalen werden mit Nährlösung beträufelt, DNA wird angefärbt. Die Arbeitsgruppe von Peter Kunzmann an der Universität Jena forscht ebenfalls im Bereich Gentechnik. Doch ihre Forschung sieht ganz anders aus: Statt Labor- ist Kopfarbeit gefragt. Die Nachwuchsgruppe „Würde in der Gentechnologie“ konzentriert sich nicht auf naturwissenschaftliche Herausforderungen der Gentechnik, sondern überlegt, wie die Gesellschaft mit den Ergebnissen der Forschung umgehen kann.

Die Veränderung der Gene ist eine Frage, die den Menschen im Innersten berührt. Durch die Präimplantationsdiagnostik wird die Frage aufgeworfen, ob das Erbgut von künstlich gezeugten Embryonen auf Erbkrankheiten untersucht werden darf (mehr…). Im Hochleistungssport wird immer wieder vor dem Beginn eines Zeitalters des Gendopings gewarnt (mehr…). Umweltverbände wie Greenpeace oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)  warnen vor der „Grünen“ Gentechnik. Knapp 30.000 Landwirte in Deutschland  haben sich nach Recherchen des BUND verpflichtet, auf Gentechnik bei Pflanzenanbau und Tierhaltung zu verzichten (mehr…).

Wenn es um ethische Fragen geht, sucht die Politik in Deutschland schon seit längerem die Hilfe von Experten. Seit 2001 nimmt der Deutsche Ethikrat und seine Vorgängerorganisation, der Nationale Ethikrat, immer wieder Stellung zu bioethischen Fragen. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit 2010 bildeten Fragen zum Umgang mit Proben und Datenmaterial in Biobanken (mehr…). 2004 veröffentlichte er eine Stellungnahme zum Klonen für Fortpflanzungs- oder Forschungszwecke (mehr...).

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Dürfen wir alles machen, was wir können?

Jenseits der kurz aufflackernden Diskussionen in den Medien forschen die Wissenschaftler um Peter Kunzmann vom Ethikzentrum Jena bereits seit 2005 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zu diesem Thema. Zusammen mit seinen Mitarbeitern und Kollegen will der Bioethiker Kunzmann eine langfristige Orientierungshilfe geben. Seine Ausgangsfrage: „Dürfen wir an Pflanzen und Tieren alles machen, was wir können? Oder haben auch sie etwas wie eine eigene Würde, die bei technischen Zugriffen zu achten und zu beachten ist?“

Den Begriff der Würde des Menschen können viele mit einer konkreten Vorstellung verbinden. Spätestens mit der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen wurde deutlich: Mit der Menschenwürde wird jedem Menschen ein eigener, unmittelbarer Wert zuerkannt, der unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder Wohlstand besteht. „Sie ist nicht gradualisierbar, es gibt also keine Menschen mit mehr oder weniger Würde, alle sind prinzipiell gleich“, sagt Nikolaus Knoepffler, Chef des Ethikzentrums Jena. Die Würde verbiete es dann auch, einen Menschen vollständig zu instrumentalisieren, ihn also beispielsweise zum Wohle vieler zu opfern. Die Bioethiker wie Knoepffler umschreiben das als „Prinzip einer grundsätzlichen Subjektstellung“.

 

In der Diskussion mit Kollegen werden Fachbegriffe manchmal auf die Goldwaage gelegt. Das ist nötig, damit keine Missverständnisse aufkommen.Lightbox-Link
In der Diskussion mit Kollegen werden Fachbegriffe manchmal auf die Goldwaage gelegt. Das ist nötig, damit keine Missverständnisse aufkommen.Quelle: biotechnologie.de

Für nichtmenschliche Lebewesen kann der Menschenwürdegedanke allerdings nicht eins zu eins übertragen werden. „Die Unähnlichkeit ist viel größer als die Ähnlichkeit“, sagt Knoepffler. Denn während die Menschenwürde von einer prinzipiellen Gleichheit und einer absoluten Subjektstellung ausgehe, sei es bei nichtmenschlichen Lebewesen durchaus vorstellbar, Abstufungen vorzunehmen. Allgemein werde angenommen, dass die Würdebedeutung ausgehend von niederen Lebewesen wie Bakterien über Pflanzen bis zu den Tieren zunehme, so Knoepffler. Schon deswegen ist der Begriff der Tierwürde umstritten. „Mir fällt es immer noch schwerer von Tierwürde zu sprechen, als davon, dass wir Tiere würdigen können und sollen. Das finde ich treffender", sagt Kunzmann.

Debatten über Tierwürde ist typisch deutschsprachig

Diskussionen um die Rechte der Tiere werden derzeit in allen Teilen der Welt geführt. Aber auch wenn die Ziele sich ähneln, so gibt es anscheinend unterschiedliche Beweggründe, weshalb Tieren bestimmte Rechte zugebilligt werden sollen. „Der Würdebegriff ist typisch für Deutschland und den deutschsprachigen Raum, andere Länder kommen ohne diesen Begriff aus“, stellt Kunzmann fest. In Deutschland werden zahlreiche Themen der Bioethik ganz allgemein mit dem Begriff der „Würde“ verbunden. Für die Menschenwürde liegt der Grund wohl in der starken Stellung des Begriffs im Grundgesetz. Ausgehend von Artikel 1 werden alle weiteren Grundrechte abgeleitet. In den Vereinigten Staaten ist in die Freiheit des Menschen meist Dreh- und Angelpunkt. Dort wird auch eine ähnliche Diskussion über die Stellung der Tiere geführt, aber meist unter der Perspektive der Rechte von Tieren. Der erweiterte Wortgebrauch von „Würde“ in der deutschen Sprache machte es andererseits möglich, die Fragen nach den Eingriffen an Tieren unter diesem Begriff zu verhandeln.

ELSA

Seit 1997 fördert das BMBF die Forschung im Bereich der ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte (ELSA) der molekularen Medizin. Im Jahr 2010 betrug die Gesamtfördersumme 3,8 Millionen Euro.

Mehr zu ELSA auf den Seiten des BMBF: hier klicken

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Mehr zur Nachwuchsgruppe "Würde in der Gentechnik": hier klicken

Interessant ist für die Ethiker auch ein Blick in die Schweiz: 1992 wurde dort die Verfassung modifiziert, in der deutschsprachigen Ausgabe der Verfassung findet sich seitdem ein Passus zur „Würde der Kreatur“. In der aktuellen französischen Fassung ist dann aber nicht mehr von der „dignité de la créature“ die Rede, sondern dort findet sich die „intégrité des organismes vivantes“, also etwa die Integrität lebender Organismen. Auch das erklärt sich durch die Verschiebungen der Wortbedeutung in den unterschiedlichen Sprachen. Die französische „créature“ entspricht gemeinhin einem bedauernswerten, unterlegenen Geschöpf und eben nicht einer würdevollen Kreatur. Auch „dignité“ und Würde  sind nicht bedeutungsgleich. Während Würde einen inneren, unmittelbaren Wert beschreibt, versteht sich das französische „dignité“ eher als eine stark von außen geprägte Zuschreibung. Im Deutschen hält sich diese Bedeutung noch in Sprachbildern wie „jemanden in Amt und Würden einsetzen“.

 

Haben Mikroorganismen Würde? Was ist mit krankmachenden Keimen wie Listerien?Lightbox-Link
Haben Mikroorganismen Würde? Was ist mit krankmachenden Keimen wie Listerien?Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Haben Mikroorganismen Würde?

Die Förderung der Nachwuchsgruppe „Würde in der Gentechnik“  durch das BMBF- Förderprogramm „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der modernen Lebenswissenschaften und der Biotechnologie“ (ELSA) Ende des Jahres auslaufen. Die Arbeitsgruppe wird dann bis 2013 von der Universität weitergetragen.

Endgültig wahre Antworten werden die Ethiker auch dann nicht geben können. Erste neue Einsichten gibt es aber bereits: So wird beispielsweise deutlich, dass es aus ethischer Sicht keinen Grund gibt,. Pflanzen keinen moralischen Status zuzusprechen, sie also von der „Würde“-Diskussion auszuschließen. Daraus ergibt sich die Frage, ob denn auch Kleinstlebewesen über Würde verfügen. Es falle den Menschen schwer, den Kleinstlebewesen einen fassbaren Eigenwert zuzuschreiben, so Kunzmann: „In der internationalen Diskussion spielen Mikroorganismen keine Rolle“. Damit weist die Funktion aber einen kapitalen blinden Fleck auf. Immerhin schätzen die Naturwissenschaftler, dass Mikroorganismen fast die Hälfte der weltweiten Biomasse stellen.

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

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Rohstoff Pflanze

Junges Mädchen hält Pflanze in den Händen

Ob Biokraftstoff, Arzneimittel oder Biokunststoff - Pflanzen liefern wichtige Rohstoffe für die biobasierte Wirtschaft. Eine allgemein-verständliche Broschüre gibt einen Überblick über die verschiedensten Anwendungen moderner Pflanzenforschung in Landwirtschaft, Ernährung, Industrie, Medizin und Energie.


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