Das Geheimnis der Klebstoffe aus der Natur lüften

Viele Tiere in der Natur nutzen natürliche Klebstoffe. Nur so gelingt es zum Beispiel den Muscheln, sich zu Zehntausenden in Muschelbänken zusammenzulagern. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Viele Tiere in der Natur nutzen natürliche Klebstoffe. Nur so gelingt es zum Beispiel den Muscheln, sich zu Zehntausenden in Muschelbänken zusammenzulagern. Quelle: Till Luckenbach/UFZ

22.09.2010  - 

Ob bei Miesmuscheln, Seepocken oder an Spinnenweben – wenn es um Klebstoffe geht, hält die Natur gleich eine ganze Palette an Superklebern bereit. Ihr Vorteil: Sie haften an allen möglichen Orten. Diese Eigenschaft macht die Naturkleber begehrt – auch in der Industrie. Grund genug, für Wissenschaftler von der Henkel AG & Co. KGaA gemeinsam mit weiteren Partnern neue Klebstoffe nach dem Vorbild der Natur zu entwickeln. Die Arbeiten finden unter dem Dach von „CLIB 2021 – Cluster industrielle Biotechnologie“ statt und werden bis zum Jahr 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,4 Millionen Euro gefördert.




Im Gegensatz zu bisher industriell hergestellten Klebern haben die natürlichen Vorbilder deutlich stärkere Hafteigenschaften. Zum Beispiel die Miesmuschel: Sie bleibt fest in der Muschelbank verankert, auch wenn es in der Nordsee stürmt. Von ihrem Ursprung her sind natürliche Kleber nichts anderes als kurze Eiweißstücke, die auch Peptide genannt werden und aus einer Abfolge verschiedener Aminosäuren bestehen. Auf diese Peptide haben es die Forscher bei Henkel nun abgesehen. „Wir wollen die Peptide der Natur gezielt optimieren und nutzen, um in Kombination mit bewährten und neuen chemischen Prinzipien neuartige Klebstoffe zu entwickeln“, erläutert Karl-Heinz Maurer, Leiter der Biotechnologie-Forschung bei Henkel. Als Ausgangspunkt ihrer Arbeit wird ein ganz spezielles Peptid genutzt, das so starke Hafteigenschaften besitzt, dass es auch an Stahl kleben bleibt. Gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Forschungszentrum Jülich, der Universität Düsseldorf sowie der Artes Biotechnology GmbH in Langenfeld sollen Veränderungen in der Abfolge der Aminosäuren dieses Ausgangspeptides  zu neuen Klebstoffkandidaten mit ganz besonders guten Klebe-Eigenschaften führen. Ziel des Forschungsprojektes ist es, eine ganze Bibliothek an Varianten des Ausgangspeptids zu entwickeln. Hunderttausend Klebstoffkandidaten könnten auf diese Weise zusammengetragen werden, hoffen die Forscher. Die Analyse der Peptide gleicht also der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Das Kleben auf feuchten Oberflächen, wie sie zum Beispiel im Gewächshaus zu finden sind, ist für viele herkömmlich Klebstoffe ein Problem. Optimierte Klebstoff-Peptide nach dem Vorbild der Natur sollen zu besseren Ergebnissen führen, hoffen die Forscher.Lightbox-Link
Das Kleben auf feuchten Oberflächen, wie sie zum Beispiel im Gewächshaus zu finden sind, ist für viele herkömmlich Klebstoffe ein Problem. Optimierte Klebstoff-Peptide nach dem Vorbild der Natur sollen zu besseren Ergebnissen führen, hoffen die Forscher.Quelle: Thomas M. Müller / pixelio.de

Die Klebstoffkandidaten reisen als blinder Passagier

Um nicht unzählige Muscheln und Spinnen auf vorhandene Klebeproteine testen zu müssen, haben sich die Forscher ein neues Arbeitspferd gesucht. Eine bestimmte Bakterienart soll ihnen die Arbeit leichter machen. Der Vorteil: Bakterien produzieren von Natur aus zahlreiche Proteine und lassen sich besonders einfach auf genetischer Ebene verändern. Je nach Aufgabe schickt das Bakterium jedes Protein an den richtigen Arbeitsplatz. Soll das Protein das Erbgut schützen, so wird es in den Zellkern geschickt, soll es dabei helfen Nahrung aufzunehmen, wird es in die Zellmembran eingebaut. Die Forscher haben nun einen eleganten Weg gefunden, sich diese natürliche Synthese- und Sortiermaschine des Bakteriums zu Nutze zu machen – und zwar mit der so genannten Autodisplay-Technik. Den Bakterien wird dabei gezielt der Bauplan mit der neuen Aminosäuren-Abfolge für einen der potenziellen neuen Klebekandidaten untergeschoben. In der Bakterien-DNA wird das Erbgut für ein natürliches Protein, welches ohnehin an die Zelloberfläche transportiert werden sollte, gegen die Information von einem der neuen Peptide ausgetauscht. Auf diese Weise reist das Klebepeptid als blinder Passagier huckepack zur Zelloberfläche und wird dort in die Membran eingebaut. Hier angelangt, ist es für die Forscher einfacher für alle weiteren Untersuchungen zugänglich. Die Bakterien übernehmen damit nicht nur die Herstellung, sondern auch die Auslieferung der gewünschten Peptide nach draußen  –  die dann leichter weiterverwendet werden können. Im Projekt wollen die Forscher diese Technik für ihre Zwecke optimieren und damit eine große Palette von unterschiedlichen Peptiden erzeugen, aus denen dann diejenigen mit besonders guten Hafteigenschaften herausgefiltert werden können. „Nach anfänglichen Schwierigkeiten beim Screening, haben wir die Technik inzwischen gut im Griff,“ sagt Maurer.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt darin, die einmal gefundenen besonders geeigneten Klebekandidaten auch im industriellen Maßstab herzustellen. Dies soll – ähnlich wie bei industriellen Enzymen – mithilfe von Mikroorganismen geschehen, die mithilfe biotechnologischer Verfahren auf die Produktion der Peptide getrimmt werden. So arbeiten die Partner am Forschungszentrum Jülich an Mikroorganismen der Art Corynebacterium glutamicum, während sich die Kollegen von der Artes Biotechnology aufHansenula polymorpha konzentrieren.

Mehr auf biotechnologie.de

Wochenrückblick: Superklebstoff aus Meereskrebsen

Wissenschaft: Vorbild Muschel – Innen Gummi, außen Stahl

Im Profil: Timo Grunwald – Muschelklebstoff und Frostschutz-Lack

Video: Muschelklebstoff und Enzyme gegen Flecken

Der Superkleber ist noch in weiter Ferne

Das mögliche Einsatzspektrum der neuen Klebstoffe ist denkbar weit gefasst. Je nachdem, welche besonderen Stärken das jeweilige Peptid mitbringt, ist sein Einsatz im Haushalt oder der Industrie denkbar. Kommt jetzt also endlich der Superkleber? Nein, betont Maurer: „Uns geht es nicht um den absoluten Superkleber.“ Stattdessen sollen zum Beispiel Klebstoffe gefunden werden, die auch dann noch funktionieren, wenn die meisten herkömmlichen Kleber versagen – zum Beispiel unter widrigen Bedingungen wie salzigem Wasser oder großer Kälte, die bei industriellen Prozessen häufiger vorkommen.

Achillesferse von herkömmlichen Klebern: feuchte und fettige Oberflächen

Zunächst will das Konsortium, das sich durch den BMBF-Wettbewerb BioIndustrie2021 unter dem Dach von  „CLIB 2021 – Cluster industrielle Biotechnologie“ gebildet hat, solche Peptide finden, die besser auf feuchten oder fettigen Oberflächen haften können. „Das ist die Achillesferse vieler herkömmlicher Klebstoffe“, erläutert Maurer. Wenn alles gut läuft, könnten erste Kandidaten also zunächst für spezielle Anwendungen zum Einsatz kommen. „Wir würden uns freuen, neue Kandidaten zu entdecken, die zuverlässig dafür sorgen, dass Befestigungshaken auch bei hoher Feuchtigkeit in einem Gewächshaus oder unter Wasser geklebt werden können“, so der Biotechnologie-Experte.

BioIndustrie2021

Das Cluster CLIB2021 ist eines von fünf Konsortien der industriellen Biotechnologie, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2007 im Rahmen der Initiative BioIndustrie2021 fördert.

Mehr Informationen: hier klicken
Zur Webseite von CLIB2021: www.clib2021.com

Aber nicht nur Haushalt oder Industrie haben die Wissenschaftler im Blick. „Vorstellbar wäre auch, dass die Kosmetikhersteller zukünftig Peptide nach dem Vorbild der Natur nutzen, damit ein Haarpflegeprodukt, z.B. ein Conditioner der Frisur elastischen und trotzdem dauerhaften Halt verleiht“, sagt Maurer. Aber auch bei Waschmitteln – wo Henkel derzeit schon auf die katalytische Kraft biotechnologisch hergestellter Enzyme setzt – könnten neue Peptide genutzt werden, so Maurer, um einen besseren Kontakt zwischen den Waschmittel-Inhaltsstoffen und der Kleidung herzustellen.

Unabhängig vom aktuellen Projekt wären langfristig auch Klebstoffe denkbar, die für künftige Herausforderungen im Flug- oder Fahrzeugbau interessant sind, so Maurer. So gehe es dort derzeit immer mehr darum, verschiedene Teile durch Kleben statt durch Schweißen miteinander zu verbinden, um beispielsweise das Gewicht zu reduzieren. Bis die Forscher derartige Kandidaten gefunden haben, wird jedoch noch viel Zeit vergehen. „Die Entwicklung eines High-Tech-Industrieklebstoffs kann leicht zehn oder zwölf Jahre dauern,“ gibt der Biochemiker Maurer zu Bedenken.


Autor: Bernd Kaltwaßer

Förderbeispiele

glowing cells in a test tube

Sie möchten erfahren, in welche Forschungsprojekte öffentliche Gelder fließen? Unter der Rubrik Förderbeispiele stellen wir regelmäßig öffentlich geförderte Forschungsvorhaben inhaltlich vor.


Zur Rubrik Erfindergeist

Fördermöglichkeiten

Abbildung von Geldscheinen

Sie suchen nach Finanzierungsmöglichkeiten für ein Forschungsvorhaben? Unter der Rubrik Förderung/ Fördermöglichkeiten geben wir Ihnen einen Überblick über nationale, europäische und internationale Geldgeber, die biotechnologische Projekte unterstützen.


Menschen

Forscherprofile

Sie wollen wissen, wie ein Wissenschaftler tickt und was ihn antreibt? Dann schauen Sie in unserer Rubrik Aktuelles/Menschen vorbei. Hier werden regelmäßig neue Persönlichkeiten aus der biotechnologischen Forschung porträtiert.


Zur Rubrik Menschen

Rohstoff Pflanze

Junges Mädchen hält Pflanze in den Händen

Ob Biokraftstoff, Arzneimittel oder Biokunststoff - Pflanzen liefern wichtige Rohstoffe für die biobasierte Wirtschaft. Eine allgemein-verständliche Broschüre gibt einen Überblick über die verschiedensten Anwendungen moderner Pflanzenforschung in Landwirtschaft, Ernährung, Industrie, Medizin und Energie.


Zur Rubrik Publikationen