Flüssiges Protein funktioniert auch ohne Wasser

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Ummantelt man das Protein Myoglobin mit einem Tensid (links), so wird es flüssig-ohne das Wasser hierzu nötig ist. So fließt das Eiweiß bei Raumtemperatur (rechts). Quelle: Stephen Mann/Universität Bristol

02.07.2010  - 

Biochemikern aus Bristol und Konstanz ist es erstmals gelungen, ein Protein ohne das Lösungsmittel Wasser in einen flüssigen Zustand zu versetzen, ohne dass es dabei seine 3D-Struktur und seine Eigenschaften verloren hat. Wie die Forscher im Fachjournal Nature Chemistry (Juni 2010, Online-Veröffentlichung) berichten, markiert ihre Entdeckung einen Umbruch der Proteinbiochemie. Denn bislang galt Wasser als unverzichtbares Lösungsmittel, damit Proteine ihre Struktur aufbauen und ihre biologische Funktion ausüben können. Die Ergebnisse eröffnen nun völlig neue  Anwendungen für Nanobiotechnologie und Medizin, wie sie auch im Strategieprozess "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+" angestoßen werden sollen, er am 8. Juli in Berlin gestartet wird. 

Proteine sind Helfer in biologischen Prozessen: Als Enzyme ermöglichen sie chemische Reaktionen oder sie dienen als Transportvehikel - wie etwa das Myoglobin, das in Herz- und Skelettmuskelzellen Sauerstoff an sich binden und bei Bedarf wieder abgeben kann. Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass Proteine eine wässrige Umgebung brauchen, um ihre funktionelle Gestalt anzunehmen. Das Myoglobin besteht beispielsweise aus 153 Aminosäure-Bausteinen, die sich zu dreidimensionalen Knäueln zusammenfalten. In lebenden Organismen sind die Proteine immer von Wasser umgeben. So galt die Wechselwirkung mit diesem wässrigen Milieu bislang als unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass die Eiweißmoleküle ihre biologische Funktion erfüllen können.
Erstes flüssiges Eiweiß, das funktioniert

Chemiker um Stephen Mann von der Universität von Bristol in Großbritannien und Helmut Cölfen vom Institut für Physikalische Chemie an der Universität Konstanz,  haben jetzt erstmals ein „flüssiges Myoglobin“ hergestellt - ohne den Einsatz von Wasser als Lösungsmittel. Außerdem konnten sie nachweisen, dass ihr flüssiges Myoglobin auch seine biologische Funktion erfüllt: Das Protein kann also weiterhin Sauerstoff aufnehmen und abgeben. Helmut Cölfen war bis vor kurzem Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm bei Potsdam.

Strategieprozess Biotechnologie 2020+
Wie sieht die Biotechnologie der Zukunft aus? Um diese Fragen geht es im Strategieprozess „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren – Biotechnologie 2020+“, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit Forschungsorganisationen und Hochschulen am 8. Juli bei einem Auftaktkongress starten wird.

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Dort haben seine Mitarbeiter bewiesen, dass die entstandene Proteinflüssigkeit keine weiteren Bestandteile außer dem eigens hergestellten Myoglobin-Molekül enthält.

Mantel aus Tensid-Ketten

Für das Experiment hatten die britischen Forscherkollegen die Myoglobin-Oberfläche zunächst mit chemischen Anhängseln gespickt: Dazu wurden sogenannte Sulfonsäure-Tenside angehängt, wie sie auch in herkömmlichen Reinigungsmitteln verwendet werden. Sie umhüllen das Protein mit einem Mantel aus Tensid-Ketten. Nachdem die Forscher sämtliches noch vorhandene Wasser durch Gefriertrocknung entfernt hatten, bildete das Myoglobin ein Pulver. Danach erwärmten die Forscher das Material, bis sich bei Zimmertemperatur eine viskose Flüssigkeit bildete. So entstand ein flüssiges Protein ohne Wasser.

Mit Hilfe der analytischen Ultrazentrifugation untersuchten die Forscher die Struktur und die Qualität der Moleküle in der Flüssigkeit. Ergebnis: Das flüssige Myoglobin besteht aus modifizierten Molekülen und ist völlig frei von Rückständen des natürlichen Proteins.

Damit war gezeigt, dass es in der Tat das modifizierte Molekül ist, das die Fähigkeit hat, Sauerstoff reversibel an sich zu binden - ganz wie das Original in wässriger Lösung. „Der flüssige Charakter des Myoglobins wird nur durch die Tenside an seiner Oberfläche erzeugt“, sagt Helmut Cölfen. Verblüfft waren die Wissenschaftler bei einem genauen Blick auf die dreidimensionale Struktur der einzelnen Myoglobine in der Flüssigkeit. Denn diese stimmt völlig unverändert mit der Strukur der natürlichen Myoglobine überein.

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Veränderter Blick auf grundlegende Lebensprozesse

Das Ergebnis rüttelt nach Angaben des Wissenschaftlers an Grundüberzeugungen der Biologie: „Hier stellt sich natürlich sofort die Frage, welche Rolle die Wasserschicht um die Proteine für deren biologische Funktion spielt“, betont Helmut Cölfen. „Das könnte Konsequenzen für unseren Blick auf grundlegende Lebensprozesse haben.“ Das neuen Erkenntnisse sind nicht nur für die Grundlagenforschung, etwa für die Proteinbiochemie und die Nanobiotechnologie wichtig - die Forscher haben auch medizinische Anwendungen im Blick: Das hoch konzentrierte flüssige Myoglobin könnte als eine Art künstliches Blut zum Speichern und zur Abgabe von Sauerstoff eingesetzt werden - etwa in speziellen Verbänden bei der Wundversorgung. Proteine, die ohne Wasser verflüssigt werden können und trotzdem funktionieren, sind auch interessant für mögliche industrielle Anwendungen.

Biotechnologie der Zukunft

Biotechnologen denken zum Beispiel über künftige Produktionsverfahren nach, die nicht länger von Reaktionen in wässrigen Lösungen abhängig sind. Denn schließlich läuft die Produktion der meisten Chemikalien in nichtwässrigen Lösungen. Wie die Biotechnologie der Zukunft aussehen wird und welche Visionen künftig möglich sein werden, darum geht es auch beim Auftaktkongress zum Strategieprozess "Nächste Genereration biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+", der am 8. Juli in Berlin stattfinden wird. Wissenschaftler und Unternehmer sind hier herzlich eingeladen, über die Produktion von morgen zu diskutieren.

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