Süß und gesund: Alternativen zum Zucker
18.12.2009 -
Ob nun reife Früchte, Pflanzensaft oder Bienenhonig: Süße Speisen waren schon immer beliebt. Seit Zucker im Übermaß zur Verfügung steht, werden allerdings auch die gewichtigen Nachteile des kristallinen Kohlenhydrats deutlich. Nicht zuletzt aus diesem Grund sucht die Lebensmittelindustrie schon seit Jahren nach Alternativen zu Rübenzucker und Rohrzucker - inzwischen auch mithilfe der Biotechnologie. So geht das Biotech-Unternehmen Brain AG im hessischen Zwingenberg die süße Herausforderung von zwei Seiten an. Einerseits suchen die Forscher im eigenen Bioarchiv nach bislang unbekannten natürlichen Süßstoffen und Süßkraftverstärkern. Andererseits arbeiten sie mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) daran, die Produktion von modernen Zuckerstoffen effizienter und nachhaltiger zu machen.
Zucker ist aus der modernen Ernährung nicht mehr wegzudenken. Mehr als hundert Millionen Tonnen werden im Jahr produziert. Gewonnen wird er nach wie vor zumeist aus Zuckerrüben und Zuckerrohr. Doch die weißen Kristalle haben gewichtige Nachteile. Zum einen liefern sie dem Körper sehr viel Energie, vulgo Kalorien. Im Übermaß genossen, kann das zum Problem werden. Andererseits lieben die Kariesbakterien im Mund den Stoff beinahe noch mehr als ihre Wirte. Die Zahnärzte leben davon.
Neue Neue Substanzen mit deutlich höherer Süßkraft
Aufgrund dieser Nachteile suchen Lebensmitteltechnologen schon seit Jahren nach Alternativen, um dem Joghurt oder dem Getränk eine angenehme Süße zu verleihen. Denn längst ist der Zucker aus Rüben oder Rohr nicht die einzige Möglichkeit, Speisen für die Geschmacksknospen auf der Zunge süß erscheinen zu lassen. So prüft die Europäische Union gerade, ob sie den kalorienarmen Natursüßstoff Steviol zulassen soll - in den USA ist dieser Super-Zucker bereits auf dem Markt. Steviol wird aus einer in Südamerika beheimateten Pflanze gewonnen, Stevia rebaudiana, und klingt fast wie ein Wundermittel. Er ist 300 mal süßer als Zucker, greift aber die Zähne nicht an, ist für Diabetiker leicht verträglich und hat fast keine Kalorien. Der Nachteil: Er ist ein Agrarrohstoff, kann also nur über den Anbau der Pflanze gewonnen werden. Zudem ist bislang nicht klar, ob Nebenprodukte, die bei der Herstellung des Pulvers aus den Blättern der Pflanze entstehen, nicht womöglich krebserregend sind.
Palatinose - neue süße Generation
Der größte Zuckerproduzent Europas, die Südzucker AG mit Sitz in Mannheim, geht inzwischen einen anderen Weg. Seit 2005 hat das Unternehmen den Stoff Palatinose auf dem Markt, eine neue Zuckergeneration, die zwar süß und nahrhaft ist, aber nicht dick macht. Palatinose wird mit Hilfe von Enzymen aus normalem Rübenzucker gewonnen und sieht als kristallines Pulver auch genauso aus wie dieser. In der Natur kommt Palatinose, die chemisch eigentlich Isomaltulose heißt, zum Beispiel in Honig und Zuckerrohr vor. Chemiker bezeichnen Palatinose als Isomaltulose. Das bedeutet, dass es sich um ein Zwischenprodukt im Herstellungsprozess von Isomalt handelt. Isomalt ist ein Zuckeraustauschstoff, den Südzucker schon seit längerem im Angebot hat. Als Zwischenschritt auf dem Weg zur Isomalt-Herstellung wurde Palatinose bereits 1957 von der Zentralabteilung für Forschung & Entwicklung bei Südzucker im rheinland-pfälzischen Offstein entdeckt. Benannt wurde es nach dem "Fundort", der Pfalz (lat. Palatina). Schon damals wurden die ungewöhnlichen Eigenschaften des Stoffes erkannt. Kommerziell genutzt werden konnten sie aber erst in den 1990er Jahren.
Funktionelle Lebensmittel |
Nahrungsprodukte mit gesundheitsfördernden Eigenschaften werden immer beliebter. Es dominieren vor allem probiotische Milchprodukte. Experten rechnen für Deutschland langfristig mit einem Marktpotenzial von 2,5 Milliarden Euro. |
Für Ausdauersportler ist eine gleichmäige Kohlenhydratzufuhr wichtig
Auf den ersten Blick ist der Stoff dem Klassiker Rübenzucker deutlich unterlegen, schmeckt er doch nur halb so süß. Doch wird Palatinose wegen der im Vergleich zu herkömmlichem Zucker besonders stabilen Bindung zwischen dem Fruktose- und dem Glukosemolekül auch viel langsamer verdaut und vom Körper aufgenommen. Insgesamt liefert er genausoviel Energie, nur dauert es eben länger. Diese Behäbigkeit hat Vorteile. So hat Palatinose einen besonders niedrigen glykämischen Index von 32. Dieses Maß beziffert die Energiezufuhr aus Lebensmitteln. Je höher er ist, desto höher steigt auch der Blutzuckerspiegel in Folge der Einnahme. Ist er indes niedrig, wie bei Palatinose, bedeutet dies, dass Muskulatur und Gehirn sehr gleichmäßig mit Energie versorgt werden. Damit wird das Kohlenhydrat Palatinose für Ausdauersportler interessant – in Wasser aufgelöst etwa als durstlöschender Treibstoff.
Zudem hat Palatinose noch einen weiteren Vorteil, der vor allem Eltern bonbonliebender Kinder aufhorchen lässt. Die Bakterien im Mund können den Zuckerstoff schlechter verwerten, was die Bildung von Karies deutlich hemmt. Zahnfreundlichen Zucker nennen das die Marketing-Strategen von Südzucker und die Physiologie gibt ihnen Recht. Mit seinen zusätzlichen Eigenschaften hat Palatinose inzwischen zur Entwicklung neuartiger funktioneller Lebensmittel wie Sport- und Wellness-Drinks beigetragen - einer Sparte, die innerhalb von Südzucker immer größer geworden und mittlerweile für ein Viertel des Umsatzes verantwortlich ist. Der Markt wächst auch international. So vertreibt die eigens dafür zuständige Beneo-Gruppe ihre Zusatzstoffe mit ernährungsphysiologischen und technologischen Vorteilen derzeit in weltweit über 70 Ländern.
Genetische Schätze aus dem Bioarchiv
Seit einigen Jahren wird am Unternehmensstandort in Offstein Palatinose im Tonnenmaßstab hergestellt. Um den dazu notwendigen Enzymen optimale Bedingungen zu bieten, sind große Fermenter installiert. "Wir haben eine imposante Anlage hier stehen", sagt Wolfgang Wach, Leiter der Biotechnologie bei der Südzucker AG. Die Herstellung des Zuckerstoffs bietet jedoch hinsichtlich des Energieeinsatzes und der Rohstoffnutzung noch Optimierungspotenzial. Mit Ideen, wie sich der Prozess verbessern lässt, wandte sich Wach schließlich an die Fachleute der Brain AG.
Das Biotechnologieunternehmen, dessen Gründer Holger Zinke 2008 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurde (mehr...), ist drauf spezialisiert, industrielle Prozesse mit Hilfe der Biologie effizienter zu gestalten. So besitzt die Firma ein Bioarchiv, das fast 20.000 Mikrobenspezies umfasst. Darin können die Biotechnologen auf molekularer Ebene nach Belieben suchen - zum Beispiel nach neuen Enzymen, die sich für industrielle Verfahren eignen. Das Besondere: Brain kann auch die genetischen Schätze von Mikroorganismen heben, die nicht im Labor kultiviert werden können. Im Rahmen der BMBF-Förderinitiative "Funktionelle Ernährungsforschung" konnte nun auch die Südzucker AG auf das mikrobiologische Know-How der Brain zugreifen. In dem Förderprojekt, das unter dem Motto „Verdopplung der Effizienz“ mit anderen Projekten innerhalb des Industrieverbundes Weiße Biotechnologie (IWBio e.V.) gestartet war, konnten durch klassische Stammentwicklungsverfahren große Fortschritte erzielt werden. Laut Wach kann somit die Effizienz des Herstellungsprozesses "deutlich" gesteigert werden. Südzucker ist so zufrieden, dass es die Zusammenarbeit mit der Brain AG nun ausweitet und die Biotechnologen mit der Entwicklung neuer Produkte beauftragt hat. Welche das sind, verraten die Partner aber nicht.
Mehr zum Thema auf biotechnologie.de |
Förderbeispiel: Molekülen mit Salzgeschmack auf der Spur |
Molekulare Sonden auf der Suche nach Süße
In Sachen Zucker arbeiten die Biotechnologen bei Brain jedoch nicht nur im Auftrag von Südzucker. Gemeinsam mit dem Süßstoffhersteller Nutrinova haben die Zwingenberger molekulare Geschmacksknospen entwickelt, die Süßes erkennen können. Nutrinova gehört zur Celanese-Gruppe, die Lebensmittelzusatzstoffe für die Ernährungs- und Getränkeindustrie anbietet. Seit 2004 besteht die Zusammenarbeit, und auch hier wurden bereits erste Erfolge vermeldet. So konnten die molekularen Sonden nicht nur neue Süßstoffe, sondern auch Süßkraftverstärker aufspüren. Dafür wurden ihnen die Stoffwechselprodukte der Mikroben aus dem Brain-Bioarchiv gereicht. "Diese mikrobiellen Produkte sind bislang wenig erforscht", erläutert Brain-Entwicklungsleiter Michael Krohn. Nun konnte diese unendliche Vielfalt nach möglichen neuen Kandidaten abgesucht werden. Die Geschmackssonden bestehen aus Schleimhautzellen, in die mit gentechnischen Verfahren das menschliche Geschmacksrezeptorpaar für Süße eingepflanzt wurde. Alles, was süß ist, bindet dieses Paar und wird in diesem Fall durch ein Leuchten signalisiert. Mit den Sonden konnten die Biotechnologen aber auch süßkraftverstärkende Substanzen aufspüren. "Der Mensch kann solche Substanzen gar nicht finden, weil sie selbst gar nicht süß schmecken", erläutert Krohn das Potenzial seiner molekularen Helfer.
Derzeit durchlaufen die vielversprechendsten Kandidaten für neue Süßstoffe und Süßkraftverstärker mehrjährige intensive Tests bei Nutrinova. Hier müssen sie nicht nur zeigen, dass sie für den Menschen unbedenklich sind, sondern auch, ob sie für die hohen Anforderungen der Lebensmittelindustrie tatsächlich taugen. Dabei schmecken sich eigens dafür ausgebildete Experten - die Sommeliers der Süße - durch die Palette der von den molekularen Sonden entdeckten neuen Stoffe. Und entscheiden, welcher der Kandidaten es schließlich bis zum Markt schafft.