Max Löhning: Dem Gedächtnis des Immunsystems auf der Spur

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Prof. Max Löhning, Experimentelle Immunologie an der Charité, Berlin, zuvor am Universitätsspital Zürich. Quelle: privat

31.01.2008  - 

Max Löhning verfolgt seine Ziele ruhig und durchdacht. Stück für Stück dringt er ins unübersichtliche Dickicht der körpereigenen Immunabwehr vor. Der Immunologe steigt dafür tief in die molekulare Ebene der Zellen hinab. Nur dort kann der 38-Jährige - derzeit Professor an der Charité-Universitätsmedizin - Antworten auf die Fragen finden, die ihn brennend interessieren. Die wesentlichste lautet: Wie kann sich das menschliche Immunsystem eigentlich an die Krankheitserreger erinnern, mit denen es einmal zu tun hatte? Und wie lässt sich dieses Wissen therapeutisch nutzen?

Schon seit Jahrzehnten nutzen Mediziner das immunologische Gedächtnis zur Prävention von Krankheiten – jede Impfung beruht darauf, dass der Körper auf bestimmte Fremdkörper vorbereitet wird und im Fall der Fälle die richtigen Waffen parat hat. Manchmal jedoch wird kein solches schützendes Gedächtnis ausgebildet, etwa bei chronischen Virus-Infektionen wie HIV. Oder das Immunsystem schießt über das Ziel hinaus. Bei rheumatischen Erkrankungen produziert ein fehlgeleitetes Gedächtnis beispielsweise zu viele entzündungsfördernde Botenstoffe, die das körpereigene Gewebe angreifen.

Chronische Entzündungsprozesse sind noch unverstanden

Immunologen wie Löhning wollen die Mechanismen des immunologischen Gedächtnisses verstehen lernen, um langfristig Ansätze für neue Therapien zu entwickeln. „Vor allem chronische Entzündungsprozesse sind noch reichlich unverstanden", sagt er. Am Beispiel von Virusinfektionen ist Löhning nun bestimmten Zellen auf der Spur, die durch den Kontakt mit Krankheitserregern gebildet werden: den Gedächtniszellen. Gezielt durchgeführte Veränderungen an ihrem Erbgut liefern die Basis dafür, dass bestimmte Immunreaktionen gespeichert werden und im Notfall abrufbar sind. „Interessanterweise können Gedächtniszellen lernen, nur bestimmte Botenstoffe zu generieren und andere nicht – je nachdem, in welchem Umfeld sie aktiviert werden", erläutert Löhning. „So können sie programmiert werden, Entzündungsprozesse zu fördern oder auch zu hemmen."

Andreas Radbruch ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums (DRFZ) in Berlin. Lightbox-Link

Andreas Radbruch: Der Immunologe und Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums (DRFZ) in Berlin hat sich ebenfalls der Aufklärung des körpereigenen Abwehrsystems verschrieben. Mit Löhning arbeitet er an gemeinsamen Projekten.

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In einer ganzen Reihe von Experimenten konnte der gebürtige Koblenzer bereits diverse Signale identifizieren, die in den Gedächtniszellen zur Produktion bestimmter Botenstoffe führen. Die genaue Kenntnis dieser winzigen Moleküle, in der Fachsprache Zytokine genannt, soll ihm helfen, die Zellen irgendwann nach Belieben programmieren zu können. Hierbei erweist sich gerade das Umprogrammieren fehlgeleiteter Gedächtniszellen als besondere Herausforderung. Bislang ist es nur gelungen, die Ausschüttung von bestimmten Botenstoffen abzuschwächen – der Schlüssel zum kompletten Aus-, Um- und wieder Anschalten ist noch unentdeckt.

Dennoch ist dem ehrgeizigen Forscher gerade erst wieder ein entscheidender Schritt gelungen. "Wir wollten wissen, ob sich die Immunzellen, die bereits Abwehrstoffe (Effektor-Zytokine) produziert haben, zu Gedächtniszellen entwickeln können", erklärt Löhning. "Bisher ging man davon aus, dass diese Zellen sehr schnell absterben". Damit ist eine therapeutische Nutzung solcher Zellen jedoch schwierig. Wie Löhning nun gemeinsam mit Kollegen im Fachmagazin Journal of Experimental Medicine (2008, 21. Januar) berichtet, lassen sich offenbar langlebige Gedächtniszellen tatsächlich aus Immunzellen gewinnen, die Effektor-Zytokine ausgeschüttet haben. Erstmals gelang es den Forschern, sie zu isolieren, in neue Organismen umzusetzen und ihr Verhalten dort über längere Zeit zu beobachten. Das überraschende Ergebnis: Viele lebten noch Jahre nach der ersten Infektion und hatten sich tatsächlich in Gedächtniszellen verwandelt. Sie hatten sich die optimale Antwort auf ein ganz bestimmtes Virus gemerkt."Damit sind wir dem Ziel, maßgeschneiderte Gedächtnis-T-Zellen zu erzeugen, einen großen Schritt näher gekommen", sagt Löhning. Das ist wichtig für Menschen mit langwierigen Infektionskrankheiten, die auf Immunzelltherapien angewiesen sind. Ihnen werden Abwehrzellen entnommen, auf eine Immunantwort hin trainiert und wieder eingesetzt. "Wir wissen jetzt, dass diese Therapien auch langfristig wirken können, weil Gedächtniszellen entstehen", erläutert Löhning.

Ebenso bedeutsam könnte das Verfahren seiner Ansicht nach für die Entwicklung alternativer Impfstrategien in den Fällen sein, bei denen die herkömmliche Impfung mit Antikörpern versagt. Dazu könnte eines Tages auch der AIDS-Erreger HIV gehören. Es verändert ständig seine Oberflächenstruktur und ist daher für Antikörper schlecht erkennbar. "Maßgeschneidert erzeugte Gedächtnis-T-Zellen könnten in der Lage sein, das Virus trotz dieser Verkleidungen wirkungsvoll zu bekämpfen", hofft Löhning. "Doch bis es vielleicht so weit ist, stehen uns noch arbeitsreiche Jahre bevor."
Ein Experiment dauert mitunter mehrere Monate

Löhning hat sich daran gewöhnt, dass die immunologische Forschung oft nur in kleinen Schritten vorankommt – mitunter dauert ein einziges Experiment mehrere Monate. Was andere nervenaufreibend fänden, ist für ihn jedoch eine Herausforderung. Akribisch auf ein Ziel hinarbeiten, sich intensiv mit einer Fragestellung beschäftigen – das ist seine Welt. Zudem lässt die junge Wissenschaft der molekularen Immunologie noch reichlich Raum für neue Entdeckungen und ist auf die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen angewiesen. So arbeitet Löhning daran, gemeinsam mit Neurologen, Mathematikern und Biophysikern theoretische Modelle von Gedächtnismechanismen im Immun- und Nervensystem zu entwickeln, um deren Wirkungsweisen besser aufzuklären.

Das Interesse an Medizin wurde bei Löhning schon ganz früh geweckt – beide Eltern sind praktizierende Ärzte. Mehr als die direkte Behandlung von Patienten haben ihn jedoch die zugrunde liegenden Mechanismen gereizt. „Ich würde mir oft wünschen, die Ursachen der Krankheit besser zu verstehen, um gezielter eingreifen zu können", gesteht er. So entschloss sich Löhning schon in der Schule, Biologie zu studieren und sich medizinischen Fragen lieber über den molekularbiologischen Weg anzunähern.

T-Zellen (hier rechts im Bild) sind Teil der körpereigenen Immunabwehr und schützen uns vor Krankheiten.Lightbox-Link
T-Zellen (hier rechts im Bild) sind Teil der körpereigenen Immunabwehr und schützen uns vor Krankheiten.Quelle: Dr. Volker Brinkmann/ Berlin, Charité

Von Zürich nach Berlin

Eine gute Entscheidung, die inzwischen mit etlichen Preisen und Stipendien belohnt wurde. Anfang 2006 hat Löhning zudem eine von der Volkswagenstiftung unterstützte Professur für Experimentelle Immunologie an der Charité-Universitätsmedizin in Berlin angetreten und wechselte vom Universitätsspital Zürich in die deutsche Hauptstadt. Über seinen neuen Arbeitgeber kann er nur Schwärmen: „In Berlin treffen klinische Anwendung und tiefste Grundlagenforschung aufeinander, das ist ein exzellentes Umfeld für meine Arbeit."

Nicht nur beruflich kann Löhning seinem neuen Arbeitsort, wie auch Zürich zuvor, viel abgewinnen. Der Liebhaber von alten Möbeln und kuriosen Glaserzeugnissen freut sich bereits auf diverse Flohmarktbesuche. Diese Welt des Feilschens und Stöberns empfindet der Forscher als wohltuenden Gegenpol zum Laboralltag. Ob alte Mostflaschen, Lampen oder ein Silberlöffel, er lässt sich für einiges begeistern. „Ich muss aber auch gar nichts kaufen", sagt er, „meistens reicht es schon, sich dort mit den Menschen zu unterhalten, um einen Eindruck von der Stadt zu bekommen und die Atmosphäre zu genießen." Aber auch das moderne Tanz- und Sprechtheater fasziniert den Wissenschaftler sehr. Sei es Sasha Waltz oder Sarah Kane, beim Kunstgenuss ist Löhning ganz anders als im Labor. Am liebsten lässt er sich einfach überraschen.

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