Stanislav Gorb: Bodenhaftung war gestern
18.01.2012 -
Sein Lieblingstier ist die Libelle. Dr. Stanislav Gorb mag sie als Wissenschaftler und als Künstler. Der heute 42-jährige Biologe wurde in der Ukraine geboren und war als Kind am liebsten in der Natur unterwegs, um Planzen und Käfer zu sammeln und zu zeichnen. Wenn es nach seinen Eltern gegangen wäre, wäre Gorb heute Maler oder Zeichner – doch er entschied sich für die Biologie. Sein Kalkül: „Werde ich Künstler, muss ich die Biologie vergessen. Wenn ich aber Biologe werde, kann ich trotzdem Künstler sein.“ So zieht es Gorb noch heute in seiner Freizeit bei jedem Wetter mit Pinsel und Staffelei hinaus in die Landschaft. Wissenschaftlich machte Gorb seine ersten Schritte mit seinem Lieblingsinsekt: In seiner Doktorarbeit erforschte er in Kiew, wie bei Libellen der Kopf am Körper befestigt ist. Während dieser Zeit lernte Gorb seine Frau Elena kennen, und seitdem arbeitet das ukrainische Biologenpaar Seite an Seite.
Wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zog es Stanislav Gorb in den Westen, wo er Auslandserfahrung sammeln wollte. Mit einem österreichischen Stipendium erforschte er zunächst an der Universität Wien Spinnen und entwickelte eine Idee: Die Mechanismen, die er im Tierreich etwa an der Mechanik der Insektengelenke beobachtet hatte, sollten sich für die Verbesserung von technischen Geräten nutzen lassen. Mit einer Projektidee, die Funktionweise eines Käfer-Flügelgelenks zu untersuchen, gewann er 1995 ein zweijähriges Schloeßmann-Stipendium der Max-Planck-Gesellschaft. Der Zoologe war glücklich, denn „heute ist Bionik in aller Munde. Aber damals hat dieses Thema fast niemanden interessiert.“
Entscheidend für die Karriere: der BioFuture-Wettbewerb
Das erste Jahr des Stipendiums verbrachte er am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Dann wechselte er an das Institut für spezielle Zoologie der Universität Jena, wo das Muskelbindegewebe von Wirbeltieren analysiert wurde. Das habe ihn zwar auch interessiert, erzählt Gorb. Aber seine Leidenschaft galt den Insekten und der Bionik. Er war innerlich der festen Überzeugung: „Mein Thema ist besser!“ und bewarb sich beim BioFuture-Wettbewerb, um unabhängig und mit eigenen Mitteln forschen zu können. Mit wenig Hoffnung, denn sein Thema passte nicht recht in die Ausschreibungsbedingungen. „Ich wurde eingeladen, habe ‚vorgesungen’ – und habe eine Zusage bekommen!“, ist Gorb immer noch begeistert: „In einer Karriere gibt es sicherlich mehrere Punkte, die eine entscheidende Rolle spielen. Aber BioFuture war für mich der wichtigste.“
Gorb untersucht und analysiert Strukturen und Funktionen der Natur, und wenn er dabei auf für den Menschen interessante Mechanismen stößt, entwickelt er Methoden, sie nachzubauen. Weil die Industrie sich von diesem Forschungsansatz viel verspricht, können sich Stanislav Gorb und seine Arbeitsgruppe am Max-PlanckInstitut für Metallforschung in Stuttgart vor Anfragen kaum retten. Ob rafinierte Putzlappen oder geschmeidige Armaturenbretter – in Gorbs Schreibtisch warten viele Ideen darauf, in Angriff genommen zu werden
Gecko-Folie für Kletterroboter, CD-Spieler und Linsenhalterungen
Aus den ersten Ideen sind mittlerweile anwendungsreife Produkte entwickelt worden: Etwa eine Folie, die einen Kletterroboter senkrecht die Wand hinauf laufen lässt. Die neue Folie haftet ohne Klebemittel und funktioniert auch noch, nachdem sie tausendmal abgezogen wurde. Das Geheimnis liegt in ihrer Oberflächenstruktur, die sich Gorb und seine Mitarbeiter von Gecko- und Insektenfüßen abgeschaut haben: Die Reptilien und Insekten machen Wand und Decke zum Fußboden, weil sie an den Sohlen winzig kleine, spachtelförmig zulaufende Stäbchenstrukturen haben. Je größer ein Tier ist, umso feiner sind die Oberflächenstrukturen an den Füßen. Eine weitere raffinierte Eigenschaft der Gecko-Folie ist, dass sie bei Verschmutzung nur abgewaschen werden
muss, um danach wieder voll funktionstüchtig zu sein. Außer für Kletterroboter soll die Haftfolie zum Beispiel auch für Greifer von CD-Spielern oder für Halterungen von Linsen in Fotoapparaten eingesetzt werden. Mittlerweile wurde die Folie unter dem Namen Gecko®-Haftband schon von einem Industriepartner auf den Markt gebracht (mehr...).
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In der Forschung des ukrainischen Biologen geht es neuerdings aber nicht mehr nur um Haftung, sondern auch um „Antihaftung“. Nachdem er verstanden hat, warum Tiere an glasglatten Oberlächen laufen können, will er nun wissen, wie Oberflächen beschaffen sind, an denen sie nicht haften bleiben. Für solche Fliegen und Schmutz abweisenden Strukturen interessieren sich nicht nur geplagte Hausfrauen, sondern auch die Industrie. Deswegen nimmt Stanislav Gorb nun immer öfter Pflanzenoberflächen unter die Lupe. „Die antagonistischen, also die gegensätzlichen Strukturen an Insektenfuß und Pflanzenoberfläche sind das Ergebnis eines Millionen Jahre währenden Kampfes zwischen Tier und Pflanze“, beschreibt Gorb diesen Vorgang der Evolution.
Das Gorb-Prinzip
Um dem Geheimnis der „Antihaftung“ auf die Spur zu kommen, folgt Stanislav Gorb seinem bewährten Grundsatz: Zuerst die Struktur analysieren, dann die Funktion verstehen und schließlich durch den Vergleich verschiedener Arten ein Prinzip daraus ableiten. Und wenn alles nach Plan läuft, wird er den Trick der Natur nachbauen und für den Menschen nutzbar machen. Stanislav Gorb fühlt sich in Deutschland sehr wohl. Er träumt von einer Professur für Bionik, um „richtig frei forschen“ zu können. Aber der Zoologe hat auch einen anderen Traum: Er möchte ein wissenschaftliches Austauschprogramm mit der Ukraine initiieren oder sogar ein Forschungsinstitut in seiner Heimat gründen
Entnommen aus "Wege in die Biotechnologie". Die vollständige Broschüre können sie gern über uns beziehen (Bestellservice).