Deutsche Agrarforschungsallianz: Breites Bündnis für große Fragen

Die Gründungsvorstände der Deutschen Agrarforschungsallianz (v.l.n.r.): Folkhard Isermeyer, Gerhard Rechkemmer, Hubert Wiggering, Thomas Jungbluth, zusammen mit BMELV-Staatssekretär Robert Kloos. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Gründungsvorstände der Deutschen Agrarforschungsallianz (v.l.n.r.): Folkhard Isermeyer, Gerhard Rechkemmer, Hubert Wiggering, Thomas Jungbluth, zusammen mit BMELV-Staatssekretär Robert Kloos. Quelle: biotechnologie.de

16.11.2010  - 

Die anschwellende Weltbevölkerung, die steigende Durchschnittstemperatur, die schwindende Biodiversität: Die Agrar- und Ernährungswissenschaften stehen vor großen Herausforderungen. Nur gemeinsam können sie angegangen werden. Davon ist Hubert Wiggering überzeugt, einer der Gründungsvorstände der Deutschen Agrarforschungsallianz. Die Dafa ist ein strategisches Netzwerk, das am 12. November in Berlin aus der Taufe gehoben wurde. "In Zukunft werden wir eine Adresse haben", sagte Wiggering. Das Neue an dem Ansatz: In der Dafa sollen Wissenschaftler von öffentlichen Forschungseinrichtungen – nur diese können sich beteiligen – selbst Themen bestimmen und diese dann in großen interdisziplinären Netzwerken über Jahre hinweg bearbeiten. "Wir versprechen uns hier erhebliche Effekte", sagte Christian Grugel vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das BMELV unterstützt die Dafa mit einer Anschubfinanzierung von 500.000 Euro.



 

Der Vorschuss wird verwendet, um eine Geschäftsstelle der Dafa einzurichten und damit nicht nur Hubert Wiggerings Forderung nach einer gemeinsamen Adresse und Telefonnummer zu erfüllen. Mit der dauerhaften Präsenz will die Agrarforschung auch als Disziplin sichtbarer werden – auf europäischer und nationaler Ebene. Man wolle Themen setzen und diese in die Gesellschaft hineintragen, sagte Wiggering. Außerdem, und das schwingt implizit immer mit, ist es gerade bei europäischen Forschungsprojekten fast schon eine Voraussetzung, ein breites Bündnis an verschiedenen Forschungspartnern mitzubringen. 

Dafa

Die Deutsche Agrarforschungsallianz soll die Disziplin sichtbarer machen. Beitreten können Institute aus der Landwirtschaft, Ernährung und Lebensmitteln, dem Gartenbau, Weinbau, der Forst- und Holzwirtschaft, der Fischerei und der Veterinärmedizin sowie in Teilen aus den Umwelt- und Geowissenschaften.

www.dafa.de

Zunächst sind es zwei Mitarbeiter, die mit einem Büro in Braunschweig der deutschen Agrar- und Ernährungsforschung eine nachhaltige Präsenz im deutschen Forschungsgeschehen verschaffen sollen. Nachhaltigkeit, das war überhaupt das Wort des Tages auf der zweitägigen Auftaktveranstaltung für die Dafa, die vom 11. bis 12. November in Berlin stattfand. Nachhaltigkeit nicht nur in dem Sinne, dass die Forschungsergebnisse zu einer zukunftssicheren Agrarproduktion und Ernährung führen sollen. Auch die Beschäftigung mit Forschungsfragen soll innerhalb der Dafa mit langem Atem betrieben werden. "Wir wollen Themen systematisch und aus allen Blickwinkeln angehen", sagte Wiggering. Der Agrarwissenschaftler Folkhard Isermeyer, ebenfalls im Dafa-Vorstand, wählte ein poetischeres Bild, um zu erklären, wie die Fixierung auf einzelne Forschungsprojekte aufgebrochen und ein Prozess in seiner ganzen Länge in den Blick genommen werden soll. „Bisher haben wir nur einzelne Forschungsperlen geschaffen. Jetzt wollen wir daraus eine Perlenkette knüpfen“, sagte Isermeyer auf der Pressekonferenz.

Alle Disziplinen sollen eine Heimat finden

Für BMELV-Staatssekretär Robert Kloos, der die wegen der Haushaltsdebatte verhinderte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner vertrat, könnte einer der ersten großen Fragestellungen der Dafa der Entwurf einer "Eiweißstrategie" sein. "Eine wachsende Weltbevölkerung wird in Zukunft immer mehr auf pflanzliche Eiweiße angewiesen sein." Die deutsche Agrar- und Ernährungsforschung könne gemeinsam untersuchen, wie diese am effektivsten und sichersten bereitgestellt werden könnten.

Rund 130 Agrar- und Ernährungsexperten kamen zur Auftaktveranstaltung der DAFA in das Auditorium Friedrichstraße in Berlin. Auch inhaltlich wurden schon erste Diskussionen geführt.Lightbox-Link
Rund 130 Agrar- und Ernährungsexperten kamen zur Auftaktveranstaltung der DAFA in das Auditorium Friedrichstraße in Berlin. Auch inhaltlich wurden schon erste Diskussionen geführt.Quelle: Katja Seifert

In der Dafa sollen Forscher zusammenarbeiten, die vorher nur wenig miteinander zu tun hatten. Geologen und Chemiker kooperieren nach dieser Vorstellung eng mit Pflanzenbiotechnologen und Stoffwechselexperten. "Alle relevanten Disziplinen sollen in der Dafa eine Heimat finden", sagte der Ernährungswissenschaftler Gerhard Rechkemmer, ein weiterer Dafa-Vorstand. "Eine methodische Begrenzung gibt es nicht." Experten für ökologischen Landbau könnten laut Rechkemmer mit Biotechnologen an einem Problem arbeiten. Ebenso wichtig sei neben der horizontalen Einbindung aller beteiligten Disziplinen die vertikale Integration entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Beim Beispiel Eiweiß solle es dann eben nicht nur um die Bereitstellung und Produktion gehen, sagte Rechkemmer. "Auch die Lebensmittelverarbeitung und die Verwertung im Körper müssen wir uns ansehen." Für die Enährungsforschung könnte die Dafa eine Chance sein, sich stärker zu vernetzen. Die fehlende Verknüpfung der zersplitterten Forschungsstandorte war einer der Kritikpunkte einer Studie über den Sektor, die das BMBF in Auftrag gegeben hatte und die kürzlich erschienen ist (mehr...).

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Noch befindet sich die Dafa in der Gründungsphase

Noch ist die Dafa stark agrarisch geprägt. Die Mehrheit der 130 Teilnehmer beim zweitägigen Auftaktkongress in Berlin und der Großteil der bisher 16 Mitgliedsanträge und neun Absichtserklärungen kommen aus dieser Fachrichtung. Das ist kein Wunder. Schließlich wurde die Idee auf dem Jahrestreffen der Agrarwissenschaftler der deutschen Universitäten geboren. Fahrt gewann das Projekt dann, als auch die Leibniz-Gemeinschaft und der Senat der Bundesforschungsinstitute des BMELV an Bord kamen. Im Augenblick allerdings befindet sich die Dafa noch in der Gründungsphase. Offiziell gegründet wird die Dafa mit der ersten Mitgliederversammlung, die am 26. Januar 2011 im Rahmen der Grünen Woche in Berlin stattfinden wird. Mitglied werden können alle öffentlichen Forschungseinrichtungen oder deren Teilinstitute, die im weitesten Sinne in der Agrar- und Ernährungsforschung aktiv sind. Zunächst einmal ist die Mitgliedschaft kostenlos. Ab 2012 werden dann 500 bis 2000 Euro im Jahr fällig, je nach der Größe des Instituts.

Koordiniert werden die Tätigkeiten zunächst von einem vierköpfigen Vorstand, der sich aus Vertretern der verschiedenen Institutsformen zusammensetzt und die  wissenschaftliche Bandbreite der Dafa verdeutlicht. Hubert Wiggering ist Diplomgeologe und Direktor des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung. Folkhard Isermeyer ist Agrarwissenschaftler und Präsident des Johann-Heinrich von Thünen-Instituts, das als eines von vier Bundesforschungsinstituten unter dem Dach des BMELV für Ländliche Räume, Wald und Fischerei zuständig ist. Gerhard Rechkemmer ist ebenfalls im Vorstand der Dafa vertreten, er ist Präsident des Max Rubner-Instituts. Johann Jungbluth schließlich vertritt als Professor für Verfahrenstechnik und Tierhaltungsysteme an der Universität Hohenheim die Seite der Universitäten und Hochschulen.

Ein wichtiger Teil der Bioökonomie

Die Dafa-Gründer sind nicht die einzigen, die glauben, dass es gemeinsamen Forschungsanstrengungen bedarf, um die großen Zukunftsaufgaben zu lösen. Am 15. November stellte das BMBF die "Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ vor (mehr...). Der hier anvisierte und in den nächsten sechs Jahren von BMBF, BMELV, dem Umwelt- und Entwicklungshilfeministerium mit insgesamt 2,4 Milliarden Euro unterstützte Strukturwandel hin zu einer biobasierten Industrie solle ebenfalls verschiedene Wissenschaftsdisziplinen ansprechen und berührt damit auch einige Forschungsfelder der Dafa. "Die Dafa könnte ein wichtiger Teil der Bioökonomie werden", sagte Staatssekretär Kloos.

Auch wenn es inhaltliche Gemeinsamkeiten geben könnte, in einem Punkt ist die Dafa einzigartig: Hier bestimmen alleine die Wissenschaftler, wo es langgeht. Die zu bearbeitenden Schwerpunkte werden in großen interdisziplinären Gesprächsrunden, den sogenannten Fachforen, festgelegt. Dieser "Bottom-up"-Ansatz sei die größte Stärke der Dafa, sagte Folkhard Isermeyer. "Immer wenn die deutsche Agrarforschung von oben herab zu etwas verpflichtet werden sollte, haben sich schnell einzelne Bremser gefunden, die das ganze Projekt aufhielten." In der Dafa seien nur Institutionen vertreten, die etwas bewegen wollten. "Die Begeisterung für nachhaltige Forschungsstrategien kommt von den Wissenschaftlern selbst." Allerdings verbirgt sich hier auch die größte Schwäche der neuen Allianz, sagte Isermeyer. Denn ohne Druck von oben wird die Dafa nur ein Erfolg werden, wenn die Forscher von sich heraus Arbeit und Energie in das Netzwerk stecken. Das wird sich in den nächsten Jahren zeigen. 

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