Bitterer Geschmack ist Teamsache: Zusammenspiel der Rezeptoren geklärt

Chinin, ein Bitterstoff aus der Chinarinde, verleiht Gin Tonic seinen Charme. Welche Rezeptor-Cluster etwa am Chinin-Schmecken beteiligt sind, haben Potsdamer Forscher mit einer künstlichen Zunge herausgefunden. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Chinin, ein Bitterstoff aus der Chinarinde, verleiht Gin Tonic seinen Charme. Welche Rezeptor-Cluster etwa am Chinin-Schmecken beteiligt sind, haben Potsdamer Forscher mit einer künstlichen Zunge herausgefunden. Quelle: cyclonebill/flickr.com

12.01.2010  - 

Nur 25 verschiedene Bittergeschmacksrezeptoren reichen aus, um zehntausende von Bitterstoffen wahrzunehmen. Wie dies möglich ist, können nun Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) erklären. „Wir wissen jetzt, dass die Bindungseigenschaften der Bittersensoren sehr unterschiedlich sind und dass nur die Kombination dieser Eigenschaften es ermöglicht, eine so überaus breite Palette von Bitterstoffen zu erfassen“, so Wolfgang Meyerhof, der die Studie mitverfasste, die im Fachblatt Chemical Senses (Online-Vorabveröffentlichung, 18. Dezember 2009) erschien. Demnach bündeln die Rezeptoren ihre unterschiedlichen Fähigkeiten in wechselnden Teams, damit die Zunge den Bitterstoff eindeutig erkennen kann.


 

Die Fähigkeit, Bitteres zu schmecken, ist angeboren. Gibt man einem Kleinkind etwas Bitteres, so versucht es das Bittere so schnell wie möglich wieder auszuspucken. Obwohl nicht generell ein Zusammenhang zwischen Bitterkeit und Giftigkeit besteht, gehen Wissenschaftler im Allgemeinen davon aus, dass der Sinn für Bitteres uns vor dem Verzehr giftiger Nahrung bewahren soll. Bitter ist dabei jedoch nicht gleich bitter. Die unterschiedlichen Bitterstoffe variieren in ihrer molekularen Gestalt erheblich. Viele dieser Substanzen finden sich in Pflanzen, andere werden von Tieren produziert und wieder andere entstehen bei der Verarbeitung von Nahrungsmitteln oder bei Alterungs- und Zerfallsprozessen. Doch wie ist es möglich, all diese heterogenen Bitterstoffe mit nur 25 verschiedenen Sensortypen wahrzunehmen?

Eine Geschmacksknospe der menschlichen Zunge enthält jeweils 30-80 Rezeptorzellen. Die Bandbreite des menschlichen Geschmacks entsteht durch die Kombination von 25 unterschiedlichen Rezeptortypen.Lightbox-Link
Eine Geschmacksknospe der menschlichen Zunge enthält jeweils 30-80 Rezeptorzellen. Die Bandbreite des menschlichen Geschmacks entsteht durch die Kombination von 25 unterschiedlichen Rezeptortypen.Quelle: NEUROtiker/Wikepedia

Mit der künstlichen Zunge 104 Bitterstoffe schmecken

Wolfgang Meyerhof ist bestens geeignet, dieses Puzzle zu lösen. Er leitet am DIfE eine der führenden Arbeitsgruppen, die sich mit Geschmacksforschung in Deutschland beschäftigen. Sein Team sorgte schon in der Vergangenheit für eine ganze Reihe von neuen Erkenntnissen. So gelang es Meyerhof 2002, die Gene für die 25 menschlichen Geschmacksrezeptoren zu identifizieren. Im Jahr 2007 zeigte die Gruppe um Meyerhof, dass Geschmackszellen über unterschiedliche Bitterrezeptoren-Sets verfügen. Im Sommer 2009 konnten die Forscher gemeinsam mit Kollegen der TU München die drei Rezeptoren dingfest machen, mit denen Menschen die Bitterstoffe im Bier wahrnehmen können (mehr...). Kurz darauf gelang es ihnen zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Piemont in Italien die vier Rezeptoren auszumachen, mit denen Menschen die bitterste natürliche Substanz der Welt wahrnehmen (mehr...). In einem von Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderinitiative "funktionelle Ernährungsforschung"  unterstützten Projekt suchen die Wissenschaftler gerade nach einem Stoff, der salziger als Salz schmeckt (mehr...)

Wie die 25 Rezeptoren nun zusammenspielen, dieser Frage ging die Gruppe um Meyerhof und Maik Behrens mit Hilfe eines Zellkultursystems nach. Mit der „künstlichen Zunge“ testeten sie die Wirkung von 104 natürlichen und synthetischen Bitterstoffen auf die 25 verschiedenen menschlichen Bittergeschmacksrezeptoren. Dabei konnten sie für fünf der zehn noch als „verwaist" geltenden Sensoren erstmals Bindungspartner identifizieren sowie 64 Bitterstoffen, für die noch kein Rezeptor bekannt war, einen oder mehrere passende Rezeptoren zuordnen. Unter diesen Bitterstoffen befinden sich zahlreiche Substanzen, die uns das Leben täglich „bitter“ machen, wie zum Beispiel Koffein aus Kaffee, Limonin aus Zitrusfrüchten, Chinin aus Bitterlemon, Ethylpyrazin, das bei Röstprozessen entsteht, Sinigrin aus verschiedenen Kohlsorten, aber auch medizinische Inhaltsstoffe.

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Nur drei Rezeptortypen reichen für mehr als die Hälfte der Bitterstoffe

Während einige der Rezeptoren nur auf wenige bestimmte Substanzen reagieren, waren andere Sensortypen in der Lage, eine breite Palette der unterschiedlichsten Bitterstoffe zu erkennen. So reichten nur drei der Rezeptortypen aus, um etwa die Hälfte der 104 getesteten Bitterstoffe zu erkennen. Generell erkannten die Geschmackssensoren sowohl natürliche als auch synthetische Stoffe. Allerdings reagierten einige der Rezeptoren bevorzugt auf natürliche Substanzen, während andere eine deutliche „Vorliebe“ für synthetische Bitterstoffe aufwiesen. Aber auch die untersuchten Bitterstoffe verhielten sich unterschiedlich: 63 der getesteten Substanzen aktivierten jeweils nur ein bis drei der Rezeptortypen. Dagegen stimulierten 19 der Substanzen bis zu 15 Sensortypen gleichzeitig. Die Schwellenwertkonzentrationen der einzelnen Stoffe, die überschritten werden müssen, um ein Bittersignal auszulösen, waren dabei sehr unterschiedlich.

„Die ungleichen Schwellenwerte für die verschiedenen Bittersubstanzen könnten sich aus unterschiedlichen Gründen entwickelt haben“, sagt Maik Behrens. „Beispielsweise könnte die Giftigkeit der Substanzen eine Rolle gespielt haben.“ Strychnin und Brucin etwa sind zwei strukturell eng verwandte, bittere Pflanzenalkaloide. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Giftigkeit. Während die tödliche Dosis für Strychnin in einem Bereich von 5 bis 10 mg liegt, ist der Wert für die letale Brucin-Dosis bei 1000 mg anzusiedeln. Dies spiegelt sich auch in den Schwellenwerten beider Substanzen für den Bitterrezeptor 46 wider. Strychnin aktiviert den Rezeptor bei einer hundertfach geringeren Konzentration als Brucin. Interessanterweise entspricht die Schwellenwertkonzentration, bei der Strychnin wahrgenommen wird, in etwa der natürlichen Konzentration, in der dieses Gift im Samen der Brechnuss vorkommt.

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