Impfstofftechnologie: Mit Crossbeta auf Verstärker verzichten lernen

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Wenn es nach den EuroTransBio-Partnern geht, dann werden die Impfstoffe der Zukunft ohne Verstärkersubstanzen auskommen.

09.12.2009  - 

Die meisten Impfstoffe müssen mit Zusatzstoffen verstärkt werden. Nur wenige dieser Adjuvanzien sind aber für den Menschen zugelassen. Ein Nadelöhr für die Entwicklung neuer Impfungen. Zusammen mit dem niederländischen Unternehmen Crossbeta und dem deutschen Partner Davids Biotechnologie GmbH forscht das Regensburger Unternehmen Geneart AG an Impfstoffen, die ohne Adjuvanzien auskommen. Sie bestehen nur aus einem Eiweißmolekül, das zuvor speziell gefaltet worden ist, um das Immunsystem besser zu stimulieren. Das zweijährige Projekt, das im Frühjahr 2010 endet, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des ERA-Nets EuroTransBio unterstützt.


 

Schon seit langem versucht die Menschheit, sich gegen Krankheiten zu immunisieren. Experimente mit rudimentären Pockenimpfungen sind bereits aus vorchristlicher Zeit bekannt. Ärzte in Indien und China entnahmen dabei Patienten mit leichtem Krankheitsverlauf die Pockenkruste, zerrieben sie zu einem Pulver und ließen es die Versuchspersonen durch die Nase schnupfen. In der westlichen Welt beginnt die Geschichte der Impfung spätestens im Jahr 1796, als der englischen Landarzt Edward Jenner einen achtjährigen Jungen mit einem Sekret aus einer Kuhpockennarbe impfte und damit immun gegen die menschlichen Pocken machte.

EuroTransBio

EuroTransBio ist ein Förderinstrument der Europäischen Union unter dem Dach des ERA-NET-Programms. Die Initiative unterstützt KMUs, die sich zusammen mit europäischen Partnern an biotechnologischen Projekten forschen. Mittlerweile ist die fünfte Ausschreibungsrunde gestartet.

www.eurotransbio.net

Adjuvanzien gaukeln dem Immunsystem einen ganzen Virus vor

Die Idee, die hinter einer Impfung steckt, ist heute immer noch dieselbe wie vor 200 Jahren. Dem Immunsystem des Körpers wird ein Befall durch Erreger vorgegaukelt. Allerdings werden dazu keine wirklichen Keime, Viren oder Bakterien verabreicht, sondern – im Fall der aktiven Impfung – nur abgeschwächte oder abgetötete Erreger. Bei der passiven Impfung sind es sogar nur gänzlich ungefährliche Erreger-Bruchstücke oder Eiweiß-Moleküle, die so ähnlich aussehen wie die Erreger. Zweck der Übung ist es, dass die Zellen des Immunsystems lernen, wie die Krankheitsverursacher aussehen, um sie später bei einer eventuellen Infektion schneller identifizieren und effektiv bekämpfen zu können. Zentral sind dabei ganz spezifische Strukturen, die bei jedem Erreger anders aussehen. Auf diese Strukturen, die sogenannten Antigene, stürzen sich die Zellen des Immunsystems.

Die lange Tradition des Impfens bedeutet nicht, dass die Technologie nicht zu verbessern wäre. Denn derzeit benötigen viele Impfstoffe noch Zusatzstoffe. Ohne diese Adjuvanzien erkennt das Immunsystem nämlich in vielen Fällen, dass hinter dem verabreichten Antigen der Impfung kein echter Virus steckt und reagiert nicht. Adjuvanzien verstärken die Immunantwort, indem sie dem Immunsystem genau das vorgaukeln. Doch aus Sicht der Impfstoffhersteller sind sie problematisch, nur wenige sind ohne Einschränkungen für den Menschen verträglich und deshalb zugelassen. Bei der Entwicklung neuer Impfstoffe kann sich die Frage der Adjuvanzien deshalb zum Nadelöhr entwickeln.

Fehlfaltungen von Eiweißen könnten Impfwirkung verstärken

Ein Verbund aus einem niederländischen und zwei deutschen Biotechnologie-Unternehmen will das ändern und die verabreichten Antigene so präparieren, dass sie alleine eine ausreichende Immunantwort provozieren. Falls das klappt, könnte die Wirkung und Verträglichkeit von Impfstoffen einen Sprung nach vorne machen, hoffen die beteiligten Firmen. Die Zusammenarbeit von Crossbeta Biosciences aus Utrecht und den Regensburger Biotech-Firmen Geneart AG und Davids Biotechnologie GmbH ist ein Verbundprojekt unter dem Dach des ERA-Nets EuroTransBio. Als nationaler Projektträger fördert das BMBF die Grundlagenforschung seit April 2008 für zwei Jahre mit rund 200.000 Euro.

Der englische Landarzt Edward Jenner überprüfte seine experimentelle Impfmethode 1796 an einem Achtjährigen, wie hier 1884 von Eugene-Ernest Hillemacher nachempfunden. Lightbox-Link
Der englische Landarzt Edward Jenner überprüfte seine experimentelle Impfmethode 1796 an einem Achtjährigen, wie hier 1884 von Eugene-Ernest Hillemacher nachempfunden.

Die Verbundpartner wollen eine Beobachtung ausnützen, die Immunologen vor einigen Jahren gemacht haben. Manchmal kommt es vor, dass Eiweiße, die aus langen Aminosäurenketten bestehen, an einer Stelle falsch zusammengefaltet worden sind. Diese sogenannten Crossbeta-Strukturen provozieren nun offenbar das Immunsystem, wie Untersuchungen in der Vergangenheit ergaben. Sie machen Viruseiweiße für das Immunsystem leichter erkennbar und verstärken damit die Immunantwort. Bei der Verabreichung von Biotech-Medikamenten, die ebenfalls aus Eiweißen bestehen, kann eine solche Fehlfaltung zum Problem werden, denn eine Immunantwort stört die Heilungswirkung. Bei Impfstoffen allerdings ist sie hochwillkommen, weshalb die Forscher bei Crossbeta Biosciences solche Fehlfaltungen in die Antigen-Eiweiße bewusst einführen. Die Crossbeta-Strukturen sollen dort die Verstärkeraufgabe der Adjuvanzien übernehmen. Das Versuchsobjekt im EuroTransBio-Projekt ist H5N1, der Erreger der sogenannten Vogelgrippe.

Hier kommt die Geneart AG ins Spiel. Das Unternehmen, das sich auf die maßgeschneiderte Herstellung synthetischer Gene spezialisiert hat und damit mittlerweile weltweit erfolgreich ist, pflegt seit jeher enge Verbindungen zur Impfstoffforschung. Gegründet wurde die Firma 1999 vom HIV-Experten Ralf Wagner, der damals als Leiter des Bereichs HIV-Impfstoffentwicklung & Gentherapie am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg arbeitete und Geneart immer noch leitet. In dem aktuellen EuroTransBio-Verbund fiel Geneart die Aufgabe zu, DNA-Sequenzen zu erstellen, die als Bauplan für Antigene dienten, an denen die neue Technologie erprobt wird.

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Kombination von DNA-Synthese und Crossbeta-Technik könnte zu neuen Impfstoffen führen

Bei H5N1 ist Hemagluttinin (H5) das entscheidende Antigen. In der Natur kommt H5 in verschiedenen Varianten vor, die sich jeweils in kleinsten Details unterscheiden. Um alle Möglichkeiten abzudecken, stellte Geneart dementsprechend die Baupläne für verschiedene H5-Varianten bereit. Darauf ist das Unternehmen spezialisiert. "Mit unserer Technologie können wir sehr schnell jede gewünschte DNA-Sequenz herstellen", sagt Frank Notka, der bei Geneart in der HIV-Impfstoffforschung tätig ist und das EuroTransBio-Projekt betreut.

Die verschiedenen H5-Varianten, die aus dem von Geneart bereitgestellten DNA-Code entstanden, wurden nach Utrecht verschickt. Dort statteten die niederländischen Kollegen der Crossbeta Biosciences die H5-Antigene zusätzlich mit Crossbeta-Strukturen aus. "Dabei wurden systematisch verschiedene Möglichkeiten durchprobiert," erklärt Notka. "Die Crossbeta-Strukturen wurde an unterschiedlichen Stellen des H5-Eiweißes eingesetzt sowie ihre Anzahl variiert." Die so präparierten Antigen-Prototypen untersuchte der dritte Projektpartner, die ebenfalls in Regensburg ansässige Davids Biotechnologie, schließlich an Mäusen auf ihre immunologische Wirkung.

"Endgültige Ergebnisse werden wir erst in den nächsten Monaten haben", sagt Notka. Bis zu einer eventuellen Zulassung eines Impfstoffs, der mit der neuen Technologie entwickelt wurde, wird es auch bei positivem Ergebnis sicherlich noch Jahre dauern. Dabei ist Crossbeta nicht auf Vogelgrippe beschränkt. "Falls sich die Technologie bewährt, dann könnten wir uns eine weitere Zusammenarbeit mit Crossbeta durchaus vorstellen", sagt Notka. Dabei denkt er an ein altes Steckenpferd von Geneart. "Die Kombination aus DNA-Synthese und Crossbeta-Strukturen könnte zu verbesserten Impfstoffen in ganz verschiedenen Indikationen führen, zum Beispiel bei HIV." Als Partner des Eurovacc-Konsortiums ist Geneart an der Entwicklung eines HIV-Impfstofffes beteiligt (mehr...). Die fruchtbare deutsch-niederländische Zusammenarbeit wäre ohne EuroTransBio nicht zustandegekommen, sagt Notka. Auch Notkas Vorgesetzter Ralf Wagner ist zufrieden mit dem Projekt. "Es unterstützt unsere Aktivitäten zur systematischen Erweiterung des Angebots im Bereich des gezielten Proteindesigns. Denn mittelfristig planen wir nicht nur Gene anwenderspezifisch zu designen, sondern auch deren Produkte - die Proteine."

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