Auf alles gefasst: Bakterien sorgen vor

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Bakterien bringen beim "Bet-hedging" Nachkommen vor, die unterschiedliche Eigenschaften haben, genetisch aber identisch sind. Quelle: Hubertus Beaumont/University of Auckland

17.11.2009  - 

Im Laufe der Evolution mussten sich Lebewesen immer wieder an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Manchmal geschehen Umbrüche aber so schnell, dass zu wenig Zeit bleibt, um die rettende genetische Mutation abzuwarten. Lebewesen haben auch dazu eine Strategie entwickelt. "Bet-hedging" nennen Biologen die Technik, unterschiedliche Nachkommen mit jeweils anderen Talenten zu entwickeln, ohne dabei das Erbgut zu verändern. Christian Kost vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena hat jetzt zum ersten Mal bei Bakterien die Entstehung dieses evolutionären Tricks beobachtet. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Nature (2009, Ausg. 462, S. 90-93) veröffentlicht.



Dass es riskant ist, alles auf eine Karte zu setzen, weiß der Volksmund schon lange. Noch länger allerdings ist das Prinzip der Risikostreuung in der Natur bekannt. "Bet-hedging" nennen Biologen die Methode, Nachkommen zu erzeugen, die zwar die gleiche genetische Ausstattung haben, aber unterschiedliche Anpassungen an die Umwelt aufweisen. Dieses Auffächern der Eigenschaften ist bei konstanten Bedingungen nicht unbedingt vorteilhaft: Ein Teil des Nachwuchses hat immer zu kämpfen, da er mit Eigenschaften ausgestattet wurde, die im Augenblick gar nicht gebraucht werden. Ändert sich aber die Umgebung plötzlich, etwa durch eine Naturkatastrophe, dann erweist sich diese vorauseilende Adaption als Segen. Die Chancen stehen dann nämlich nicht schlecht, dass einige Exemplare aus dem Nachwuchs-Portfolio zufällig mit den neuen Bedingungen zurechtkommen.

Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Das 1996 gegründete Institut erforscht die Rolle, Vielfalt und Eigenschaften von chemischen Signalen, die die Interaktionen zwischen Organismen und ihrer Umwelt steuern. 70 Wissenschaftler arbeiten auf dem Gelände im Süden Jenas.

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Genetische Mutationen funktioneiren nur im Nachhinein

Üblicherweise verläuft die Evolution über den Weg der genetischen Mutation. Träger vorteilhafter Mutationen setzen sich  gegen andere Individuen durch, die diese Mutation nicht aufweisen. Doch passieren derartige Veränderungen relativ langsam und im Nachhinein, denn mutiert wird nur bei einem Generationswechsel. Beim "Bet-Hedging" dagegen ist die vorteilhafte Variante schon vor der Veränderung produziert worden, die Reaktion erfolgt unmittelbar. Mediziner haben leidvolle Erfahrungen mit dieser Art der evolutionären Vorsorge. Bakterielle Krankheitserreger setzen die Mechanismen der Risikostreuung nämlich erfolgreich gegen ihre menschlichen Häscher ein: Indem genetisch identische Zellen unterschiedliche Oberflächen ausbilden, entkommen einige der Erreger dem menschlichen Immunsystem. Weitere Beispiele für Bet-hedging sind aber auch aus dem Tier- und Pflanzenreich bekannt.

Ein deutscher Wissenschaftler am "New Zealand Institute for Advanced Study" in Auckland konnte nun zum ersten Mal live beobachten, wie diese Fähigkeit bei Bakterien entsteht. "Unsere Experimente belegen, dass Risikostreuung eine sehr erfolgreiche Anpassung an sich rasch ändernde Umweltbedingungen ist. Denn wenn ein und derselbe Genotyp gleichzeitig mehrere Varianten hervorbringt, kann er schneller auf starke Änderungen der Lebensbedingungen reagieren", sagt Christian Kost vom Max-Planck-institut für chemische Ökologie in Jena, der mit Unterstützung der Alexander von Humboldt Stiftung in Neuseeland an Bakterien der Art Pseudomonas fluorescens forschen konnte. Diese Bakterien sind besonders dazu geeignet, Evolution im Reagenzglas zu beobachten: sie vermehren sich alle 52 Minuten. Außerdem können neu entstandene Mutationen in der DNA aufgrund ihres relativ kleinen Genoms vergleichsweise leicht gefunden werden.

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Ständiger Wechsel zwischen Schütteln und Ruhe

Zunächst einmal setzten die Forscher die Mikroben einem Wechselbad der Bedingungen aus. Immer wieder veränderten sie die äußeren Bedingungen ihrer Kultur. So wurden die Pseudomonas-Populationen zum Beispiel plötzlich in ein Medium gegeben, das ständig durchgeschüttelt wurde. Wie aus der Evolutionslehre zu erwarten war, bildeten die Bakterien genetische Mutationen aus, um besser mit dem Schütteln zurechtzukommen. Diese Varianten setzten sich mit der Zeit auch immer besser in der Population durch. Die Wissenschaftler entnahmen nun die evolutionären Sieger und setzten sie wieder in ein ungeschütteltes Medium. Eine für das geschüttelte Nährmedium vorteilhafte Mutation wurde dadurch zum Nachteil im ungeschüttelten Medium und umgekehrt. Deshalb mussten neue Mutationen und damit neue Varianten entstehen, die diesen Nachteil wieder kompensierten. Kaum hatten sich die Bakterien also an eine Umgebung angepasst, wurden sie gezwungen, sich erneut umzustellen.

Bet-Hedging als einer der ersten Anpassungsstrategien von Lebewesen

Nach relativ kurzer Zeit war es zwei von zwölf Bakterienstämmen zuviel: Sie nahmen nicht mehr den klassischen, aber umständlichen Weg über die nachlaufende genetische Mutation, sondern erzeugten Nachkommen mit gleicher genetischer Ausstattung, aber jeweils einer Anpassung an eine geschüttelte und eine ruhende Umgebung. Das heißt, in jeder Generation gab es Vertreter, die auf die eine oder die andere Umgebung spezialisiert waren. Diese Methode erwies sich der genetischen Mutation als überlegen und setzte sich in der Kulturschale bald durch: Die Forscher hatten beobachtet, wie Bet-hedging entsteht.

Eine Genanalyse ergab, dass beide Varianten auf genetischer Ebene absolut identisch waren. Des Weiteren unterschied sich der bet-hedging-Genotyp durch neun Mutationen vom Ursprungsstamm, mit dem das Experiment gestartet worden war. Dabei war ausschließlich die zuletzt aufgetretene Mutation für das Bet-hedging verantwortlich. Die Wissenschaftler waren erstaunt, wie schnell die Bakterien auf die Idee kamen. "Bet-hedging war möglicherweise eine der ersten Strategien von Organismen, um sich an immer wieder wandelnde Umweltbedingungen auf der Erde anzupassen. Dies lässt sich aus der Leichtigkeit schließen, mit der die Strategie in unseren Experimenten entstand", sagt Paul Rainey, Leiter der Studie an der Massey University Auckland.

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