Forscher diskutieren Einsatz von 3D-Test-Organen

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In der Kulturschale gezüchtete menschliche Haut soll Medikamententests zuverlässiger machen. Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft

25.09.2009  - 

Biomediziner träumen davon, ganze Organe im Labor zu züchten. Doch der Weg zu einem kompletten biokünstlichen Organ aus dem Reagenzglas ist noch weit. Gewebeforscher erzielen immerhin kleine Fortschritte: in ihren Labors gelingt es ihnen immer besser, Zellen so heranzuzüchten, dass sie Aufbau und Eigenschaften menschlicher Organe nachahmen können. Solche „organotypischen Gewebekulturen“ gelten als Hoffnungsträger für Wirkstofftests. Tierversuche sollen mit ihrer Hilfe drastisch gesenkt  und Arzneitests aussagekräftiger werden. Beflügelt durch die moderne Stammzellforschung und neue EU-Verordnungen sehen die Wissenschaftler ihre Zunft deutlich im Aufwind, wie sich bei einem Symposium vom 22. bis zum 25. September in Potsdam zeigte.

Die Forschung zu organähnlichen Gewebekulturen mit menschlichen Zellen steckt noch in den Kinderschuhen. Doch hat es in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gegeben. Neue Ansätze im Forschungsgebiet diskutierten internationale Vertreter aus Wissenschaft und Industrie vom 22. bis 25. September bei einem von der Fachgesellschaft Dechema veranstalteten Symposium in Potsdam. Eine wichtige Erkenntnis: im Labor kultivierte Zellen funktionieren nur dann nahezu wie ein echtes Organ, wenn sie in einer möglichst natürlichen Umgebung aufwachsen. Lange Zeit wurden Zellen nur in einfachen Schichten gezüchtet. In solchen Kulturen büßen die Zellen aber schnell ihre gewebetypischen Eigenschaften ein, was sie unbrauchbar für zuverlässige Wirkstofftests macht. Es zeigte sich: Im Trend sind dreidimensionale Kulturen, die die natürliche mechanische und chemische Umgebung der Zellen deutlich besser nachahmen können.Forscher um Heike Walles vom Fraunhofer IGB haben eine künstliche Leber im Labor entwickelt.Quelle: Fraunhofer Gesellschaft

Künstliche Leber mit simuliertem Blutkreislauf

Bereits heute können einfach aufgebaute Gewebe hergestellt und kommerziell erworben werden: Körperteile wie Knorpel, Knochen oder Oberhautschichten werden in Medizin und Industrie für Wirkstoff-Tests eingesetzt. Knackpunkt für die Herstellung komplexerer Organe bleibt die Durchblutung von künstlichem Gewebe. Erst bei wenigen Systemen ist es überhaupt gelungen, ein funktionsfähiges Blutgefäßsystem zu entwickeln, das die Zellen in der Kulturschale mit Nährstoffen versorgt. Am weitesten fortgeschritten ist das System einer künstlichen Leber, das Heike Mertsching vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart bei der Tagung vorstellte: Eine Gerüststruktur aus Schweinedärmen wurde mit menschlichen Leberzellen und Blutgefäßzellen besiedelt. In einem so genannten Bioreaktor konnten die Stuttgarter Forscher mit Hilfe von Pumpsystemen nun einen Blutkreislauf nachahmen, und tatsächlich: die Leberzellen funktionierten ähnlich wie im menschlichen Körper.

Bauchspeicheldrüsenkrebs in der Kulturschale

Auch andere Forschungen sind schon weit gediehen:  Regensburger Forscher um Will Minuth erläuterten ihre Entwicklungen zum Aufbau einer biokünstlichen Niere, die aus patienteneigenen Zellen besteht. Der in London forschende Mediziner Hemant Kocher stellte ein organotypisches Krankheitsmodell vor, das den Verlauf von Bauchspeicheldrüsenkrebs in der Zellkulturschale weitgehend naturgetreu nachahmen kann. Pankreastumoren gehören zu den aggressivsten und tödlichsten Krebserkrankungen weltweit, es fehlt bis heute an einer effektiven Therapie. Modelle für Bauchspeicheldrüsenkrebs im Labor sind daher sehr begehrt, um hieran neue Behandlungsstrategien zu erforschen. „Die Pharmazeutische Industrie ist sehr an unserem Modell interessiert“, betonte Kocher bei seinem Vortrag.

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Schwindende Vorbehalte bei Biotech-Unternehmen und Pharmaindustrie

Trotzdem sind bei den meisten bisher entwickelten Organmodellen noch eine Menge Fragen offen. Die Pharmaindustrie wünscht sich so genanntes „in vitro-Gewebe“, das zuverlässig funktioniert, also standardisiert ist, damit es tatsächlich für toxikologische und pharmakologische Untersuchungen eingesetzt werden kann.  Uwe Marx vom Berliner Biotechnologie-Unternehmen Probiogen sagte auf der Tagung, die Gewebekultur sei durch neuere Entwicklungen für deutsche Biotechnologen deutlich attraktiver geworden. Bisher hätten es bezüglich der „Organe aus dem Reagenzglas“ in Deutschland zwei wirtschaftliche K.O.-Argumente gegeben: Erstens seien sie zu komplex und somit nicht angemessen medizinisch prüfbar. Zweitens müssten die nötige Menge an Zellen aus ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen hergestellt werden. „Beide Argumente sind mittlerweile überholt“, sagte Marx. „Mittlerweile gibt es ein in Europa zum Beispiel ein erfolgreich geprüftes und zugelassenes Hautmodell für Wirkstofftests. Und durch die Forschungen an künstlich induzierten pluripotenten Stammzellen entfällt auch die Notwenigkeit, embryonale Stammzellen einzusetzen“, so Marx.

EU-Verordnung REACH und weitere Förderungen erhöhen Marktdruck

Einen Innovationsschub im Bereich „organotypische Gewebekultur“ erhofften sich die Wissenschaftler beim Potsdamer Symposium auch durch veränderte EU-weite Regelungen. Im Rahmen der europäischen Chemikalienverordnung REACH sollen bis zum Jahr 2018 zehntausende chemische Substanzen in Europa auf ihre Giftigkeit überprüft werden, und das möglichst mit Alternativen zum Tierversuch. „Dadurch entsteht in Europa ein Marktdruck, der eine Flut von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nach sich ziehen wird“, sagte Steven Dickman von CBT Advisors, einem Biotech-Beratungsunternehmen in Boston.  Hinzu kommt ein 50 Millionen-Euro schweres Förderprogramm, das die EU Kommission gemeinsam mit einem Konsortium aus Firmen der Kosmetikbranche kürzlich aufgelegt hat. Die Förderung zielt auf die Entwicklung tierversuchsfreier Arzneimittel- und Kosmetiktests ab. „Die deutsche Industrie hat dadurch eine große Chance, eine Vorreiterrolle zu spielen, in dem sie neue Methoden entwickelt und validiert“, sagte Dickman.

 

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