Diabetes: Die Insulinproduktion im Körper anknipsen

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Wird Pax4 angeschaltet, dann steigt die Anzahl der insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse stark an. Quelle: MPI Göttingen

13.08.2009  - 

Diabetes mellitus bedeutet "honigsüßer Durchfluss". Die Aufnahme von Zucker im Körper ist gestört, zu viel davon verbleibt im Blut und wird schließlich über das Urin abgegeben. Bei Diabetes Typ I stellt der Körper zu wenig Insulin her. Das Hormon ist für die Zuckerverwertung zuständig. Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen ist es nun gelungen, mit dem Anschalten eines Gens Zellen in der Bauchspeicheldrüse weider dazu zu bringen, sich in Insulin produzierende Zellen zu verwandeln, wie sie im Fachblatt Cell (Vol. 138, Ausg. 3, S. 449-462) berichten. Noch funktioniert das nur bei zuckerkranken Mäusen, doch die Forscher hoffen, dass der Schalter auch beim Menschen wirkt. Dann müssten sich Diabetes-Kranke nicht mehr regelmäßig die Spritze geben.


 

Diabetes entwickelt sich zur Volkskrankheit. Im Jahr 2006 gab es nach Angaben der WHO in Deutschland acht Millionen Menschen, deren Körper nichzt mehr in der Lage ist, einen gesunden Blutzuckerspiegel zu gewährleisten. Die Diabetes-Union (DU) erwartet in ihrem Gesundheitsbericht Diabetes 2007 bis 2010 sogar zehn Millionen Erkrankte. Der Anteil der Zuckerkranken in Deutschland steigt seit den 60er Jahren stetig an. Nicht nur in Deutschland, auf der ganzen Welt ist die Zuckerkrankheit auf dem Vormarsch. Die Internationale Diabetes-Föderation befürchtet, dass die Zahl der Diabetiker weltweit von derzeit rund 250 Millionen bis 2025 auf 380 Millionen ansteigen wird. Einige bezeichnen Zuckerkrankheit schon als die "Epidemie des 21. Jahrhunderts".

Die Diabetes-Rate in einzelnen Ländern im Jahr 2007, aus Hochrechnungen der International Diabetes Federation (IDF).Lightbox-Link
Die Diabetes-Rate in einzelnen Ländern im Jahr 2007, aus Hochrechnungen der International Diabetes Federation (IDF).Quelle: IDF / Diabetes Atlas 2006

Insulin und Glukagon als Gegenspieler

 Diabetes ist eine Störung des Stoffwechsels. Der Zucker im Blut kommt nicht in ausreichendem Maße in den Zellen an. Neun von zehn Diabetikern leiden unter dem Typ 1 Diabetes. Die Erkrankung ist durch einen Verlust der insulinproduzierenden Zellen bedingt. Damit steht dem Körper nur noch wenig bis gar kein eigenes Insulin zur Verfügung. Die Folge: Der Transport von Zucker (Glukose) aus dem Blutplasma und aus der Gewebsflüssigkeit in das Zellinnere ist beeinträchtigt. Diabetiker müssen sich deshalb das fehlende Insulin von außen zuführen. Im gesunden Körper obliegt es bestimmten Zellen in der Bauchspeicheldrüse, den sogenannten Inselzellen, das Insulin bereitzustellen.

Die Bauspeicheldrüse gilt als eines der empfindlichsten Organe unseres Körpers. Neben den Verdauungssäften produziert sie Insulin und auch Glukagon - Spieler und Gegenspieler bei der Regulation unseres Zuckerstoffwechsels. Während Insulin dafür sorgt, dass im Stoffwechsel vorhandener Zucker in Depots gespeichert wird, holt Glukagon den Zucker wieder aus dem Speicher heraus und speist ihn ins Blut ein.

Damit sich ein Gleichgewicht beim Zuckerstoffwechsel entwickelt, treten bereits während der Embryonalentwicklung wichtige Regulatoren - die Transkriptionsfaktoren - in Aktion. Sie werfen gezielt genetische Programme an oder unterdrücken diese und verwandeln so Vorläuferzellen der Bauchspeicheldrüse in Zellen mit ganz bestimmten Eigenschaften. Andere Faktoren veranlassen Vorläuferzellen der Bauchspeicheldrüse, zu Glukagon-Produzenten zu werden. Damit die spezialisierten Zellen im richtigen Verhältnis entstehen, interagieren die Transkriptionsfaktoren miteinander in einem komplizierten "Räderwerk".

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Schalter für die Insulinproduktion

Forscher des Göttinger Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie um Ahmed Mansouri und Patrick Collombat konnten jetzt nachweisen, dass Pax4 in diesem komplexen Räderwerk der entscheidende "Schalter" ist, mit dem sich Vorläuferzellen der Bauchspeicheldrüse anregen lassen, Insulin zu produzieren. Schalteten die Göttinger Wissenschaftler in jungen zuckerkranken Mäusen gezielt das Pax4-Gen an, so hatten sich nach nur wenigen Tagen neue Insulin produzierende Zellen in der Bauchspeicheldrüse angesiedelt. Das berichten sie im Fachmagazin Cell (Vol. 138, Ausg. 3, S. 449-462). "Wir waren völlig überrascht, dass es ausreichte, nur diesen einen Faktor in den Vorläuferzellen ‚anzuschalten’, nicht zwei oder gar mehr Faktoren", erklärt Ahmed Mansouri, Leiter der Forschungsgruppe "Molekulare Zelldifferenzierung".

Dass diese tatsächlich aus Vorläuferzellen in der Bauchspeicheldrüse abstammten konnten die Forscher mithilfe spezieller Untersuchungsmethoden nachweisen. Zudem stellte sich heraus, dass die neuen Zellen in der Tat ausreichend Insulin erzeugten, um in den kranken Mäusen den Blutzucker auf das Normalmaß zu senken. Auch die Lebensdauer der Mäuse ließ sich damit deutlich verlängern.

Flexibler als gedacht

Aber das Anknipsen von Pax4 stößt nicht nur in Vorläuferzellen die Produktion von Insulin an, wie die Ergebnisse der Göttinger Forscher zeigen. Auch ausgereifte Zellen, die bisher Glukagon herstellten, ließen sich durch die Aktivierung von Pax4 reprogrammieren und in Insulin produzierende Zellen umwandeln. "Damit bestätigen wir erstmals experimentell, was viele Ergebnisse anderer Wissenschaftler bereits vermuten lassen: Die Bauchspeicheldrüse ist viel flexibler als bisher angenommen. Ihre Entwicklung ist auch im erwachsenen Körper noch nicht abgeschlossen", sagt Patrick Collombat. 

Das macht den Forschern Hoffnung, dass Diabetikern eines Tages durch eine breite Aktivierung des Pax4-Gens geholfen werden könnte. Aus den Vorläuferzellen, die jede Bauchspeicheldrüse bereithält, könnte sich auf diese Weise eine Armee von Insulin-Produzenten rekrutieren lassen, die ausreichend Insulin erzeugen und abgestorbene Inselzellen ersetzen könnten. 

Doch zunächst müssen weitere Untersuchungen zeigen, ob der Ansatz auch auf den Menschen übertragbar ist. Ein weiterer Punkt, der noch nicht gelöst ist, betrifft die empfindliche Balance zwischen Insulin- und Glukagon-Herstellung. "Aktives Pax4-Gen veranlasst frühe Zellen der Bauchspeicheldrüse zwar, Insulin zu erzeugen, doch resultiert daraus ein steter Mangel an Glukagon", sagt Collombat. "Die fortlaufend neu gebildeten Glukagon produzierenden Zellen werden durch aktives Pax4 sofort in Insulin erzeugende Zellen umgewandelt." Ein Mechanismus, den die Wissenschaftler rechtzeitig unterbrechen müssen, denn sonst besteht die Gefahr, dass sich in der Bauchspeicheldrüse am Ende vor allem Insulin-produzierende Zellen ansiedeln. "Unser Ziel ist es, Medikamente zu finden, mit denen wir Pax4 oder eines seiner Zielmoleküle kurzzeitig aktivieren und damit die Umwandlung anstoßen, aber auch wieder anhalten können", erklärt Mansouri.

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