Experten warnen vor Stammzell-Therapie gegen Parkinson

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In Köln wird die Injektion mit Stammzellen aus dem Knochenmark angeboten - so soll Parkinson geheilt werden.

17.07.2009  - 

Hunderttausende von Menschen leiden in Deutschland an Parkinson. Die Erkrankung tritt in fortgeschrittenenm Alter auf und lässt Nervenzellen absterben. Was lieg da näher, als diese Nervenzellen zu ersetzen? Am besten mit Stammzellen, die sich dann im Gehirn zu neuen Nervenzellen entwickeln. Das jedenfalls stellt das Xcell Center seinen Kunden in Aussicht. Die private Klinik in Köln bietet die Injektion von aus dem eigenen Knochenmark gewonnenen Stammzellen auf ihrer Internetseite als neue Therapie an. Zwei Parkinson-Verbände haben in einer Stellungnahme jetzt vor der Behandlung gewarnt. Es fehle die wissenschaftliche Grundlage. Erlaubt ist die Behandlung trotzdem - noch.

Um die Preise macht man am Kölner XCell-Center kein Geheimnis. 26 000 Euro kostet die Transplantation adulter Stammzellen ins Gehirn. So steht es unter dem Angebot auf der Internetseite des privaten Instituts für regenerative Medizin. Der Eingriff wird dort als eine neuartige Therapie gegen Parkinson angepriesen.
Die Hoffnung, die damit bei Betroffenen geschürt wird, ist gewaltig. Doch nach Auskunft von Experten fehlt dafür die wissenschaftliche Grundlage. In einer gemeinsamen Erklärung warnen die Deutsche Parkinson-Gesellschaft (DPG) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) eindringlich vor der Stammzell-Injektion. "Dem fehlenden Nutzen stehen mögliche erhebliche Gesundheitsrisiken gegenüber", heißt es in einer kürzlich erschienenen Presseerklärung. Die Deutsche Parkinson-Vereinigung, mit 23 000 Mitgliedern die größte Parkinson-Selbsthilfegruppe Deutschlands, schließt sich der Kritik der Fachgesellschaften an.

Erklärung der Deutschen Parkinson-Gesellschaft

"Dem fehlenden Nutzen der angebotenen Stammzelltherapie stehen allerdings mögliche erhebliche Gesundheitsrisiken gegenüber." In einer gemeinsamen Erklärung warnen die Deutsche Parkinson-Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie vor Stammzell-Injektionen, wie sie zum Beispiel in Köln angeboten werden.

Vollständiger Text der Erklärung: hier klicken

Stammzellen sollen in Gehirn Dopamin produzieren
In Deutschland ist das XCell-Center zurzeit der einzige Anbieter der Methode; weltweit arbeiten auch andere Institute damit. Verwendet werden adulte mesenchymale Stammzellen, die den Patienten zuvor aus dem Knochenmark entnommen worden sind. Anders als die blutbildenden Stammzellen, die ebenfalls im Knochenmark vorkommen, entwickeln sich mesenchymale Stammzellen zu unterschiedlichen Gewebetypen, zum Beispiel zu Knorpel oder Muskel.
Bei einer Therapie mit diesen Stammzellen hofft man, dass sie im Gehirn die sogenannten dopaminergen Nervenzellen reparieren oder ersetzen. Diese Zellen befinden sich in einer Region im Stammhirn, der Substantia nigra, und produzieren dort den Neurotransmitter Dopamin. Bei Parkinson gehen die Zellen zugrunde, wodurch im Gehirn der Patienten ein Dopaminmangel entsteht.

Stammzellforscher fragen: "Dürfen die das?"
Was die transplantierten Zellen im Gehirn wirklich tun, weiß allerdings niemand. Möglich ist durchaus, dass sie das machen, was sie am besten können: Knochenmark bilden. Das zumindest passierte bei Experimenten mit Mäusen, in denen adulte Stammzellen aus dem Knochenmark in die Herzkranzgefäße der Tiere injiziert wurden. Im Gehirn hätte eine vergleichbare Entwicklung vermutlich katastrophale Folgen.
Selbst erfahrenen Stammzellforschern wie Hartmut Geiger vom Universitätsklinikum Ulm (sein Porträt: hier klicken) stellt sich da spontan die Frage: "Dürfen die das?" Die Antwort darauf ist kompliziert. Über entsprechende Zulassungsanträge entscheidet nach dem aktuellen Arzneimittelgesetz (AMG) die Europäische Kommission. Unterstützt wird diese unter anderem von den Experten des Paul-Ehrlich-Instituts. Nach Auskunft des Vizepräsidenten des Instituts, Klaus Cichutek, hat das XCell-Center für das Stammzellverfahren bisher keine Zulassung erhalten.

Im Labor entwickeln mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark unter bestimmten Bedingungen tatsächlich einige Eigenschaften von Nervenzellen - was sie im Gehirn anstellen, ist allerdings ungewiss.Lightbox-Link
Im Labor entwickeln mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark unter bestimmten Bedingungen tatsächlich einige Eigenschaften von Nervenzellen - was sie im Gehirn anstellen, ist allerdings ungewiss.

Sonderregelung erlaubt Behandlung mit eigenen Stammzellen
Im Augenblick ist dies allerdings auch gar nicht nötig. Denn das AMG sieht eine Ausnahme für Präparate vor, die Zellen enthalten und autolog, also im Körper des Spenders, angewendet werden. Dann ist nur eine Herstellungserlaubnis für das Präparat nötig, in diesem Fall für die Entnahme und Aufbereitung der adulten Stammzellen aus dem Knochenmark. Für den letzten Schritt der Herstellung liegt die Erlaubnis vor; erteilt hat sie die Bezirksregierung Köln. Die anderen Schritte werden in einem externen Labor vorgenommen - das ebenfalls im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis ist.
Die Ärzte am Kölner Institut machen sich noch eine weitere Sonderregelung zunutze: Sie betrifft den individuellen Heilversuch. Wenn die Stammzell-Injektion so definiert werde, könne sie nach einem aufklärenden Gespräch mit dem Patienten vorgenommen werden, sagt Rechtsanwalt Frank Schramm aus Kiel. Er hat die Fachgesellschaften bei der Formulierung ihrer Stellungnahme juristisch betreut. Die Auflagen beim individuellen Heilversuch sind übersichtlich: Der behandelnde Arzt muss eine Approbation haben und den Patienten aufklären, dieser muss in die Therapie einwilligen.

Wirkmechanismus noch nicht verstanden
Zu den Risiken, die die Patienten mit einem solchen Heilversuch eingehen, hat der Direktor des XCell-Centers, Cornelis Kleinbloesem, wenig zu sagen: Am Telefon verweigerte er die Stellungnahme. Aufschlussreicher ist die Internetseite. Dort ist zu lesen, dass der Wirkmechanismus noch nicht verstanden und Heilung nicht garantiert ist und Risiken nicht ausgeschlossen sind. Im Internet kursieren einige Therapieangebote für Stammzellen, wie eine internationale Studie kanadischer Wissenschaftler vor einigen Monaten zeigte (mehr...).
Dass manche Parkinson-Patienten die Risiken in Kauf nehmen und von der Therapie womöglich sogar profitieren, zeigt das Beispiel des 73-jährigen Johannes Wolf aus Saarbrücken. Als angeblich erster erfolgreich behandelter Patient in Deutschland soll Wolf inzwischen wieder Motorrad fahren und zudem eine Initiative gestartet haben, die die neuartige Therapie gegen Parkinson propagiert. Gegenüber Anfragen zeigt er sich verschlossen. Er hat aber eine Webseite eingerichtet (hier klicken), auf der er sich über die Verebsserung seines Gesundheitszustands freut.

Sehr seltenes Ereignis
Die Fachgesellschaften bezweifeln, dass die transplantierten Stammzellen als Ersatz für die geschädigten Nervenzellen von Parkinson-Patienten dienen können. Denn im Körper entwickeln sich die Stammzellen vermutlich gar nicht zu Nervenzellen. Im Labor ist dieses Kunststück zwar schon einmal gelungen - "aber das ist ein sehr seltenes Ereignis", sagt Alexander Storch, Professor an der Klinik für Neurologie der Technischen Universität Dresden und Sprecher der Arbeitsgruppe Zellersatztherapien der DPG. Und in dopaminproduzierende Nervenzellen hätten sich adulte mesenchymale Stammzellen noch nie verwandelt, fügt Storch hinzu.

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Die Erfolge der Therapie - falls es sie gibt - könnten aber auf einen anderen Effekt zurückzuführen sein: "Stammzellen erzeugen bestimmte Substanzen, zum Beispiel Wachstums- und sogenannte trophische Faktoren, die den Tod der umliegenden Zellen womöglich verhindern", sagt Storch. Das hätten einige jüngere Studien gezeigt.

Ausnahmeregelung erlischt am 1. August 2009

Trotz solcher Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit der Therapie steht fest: Weder im Reagenzglas noch im Tierversuch wurde die Methode bisher ausreichend erprobt. Klinische Studien hat es gar keine gegeben. Dürfen Ärzte in Deutschland also unbehelligt teure und riskante Therapien anbieten, deren Nutzen nicht belegt ist?
Gegen die Vorgehensweisen von Instituten wie dem XCell-Center gebe es durchaus eine rechtliche Handhabe, sagt Rechtsanwalt Schramm. Denn eindeutig ist die Rechtslage seiner Einschätzung nach nicht. "Die Frage, ob man bei vielen hintereinander geschalteten Heilversuchen überhaupt von einem individuellen Heilversuch sprechen kann, ist strittig", sagt er. "Insofern könnten die Ärztekammern durchaus tätig werden." Hinzu kommt, dass die Ausnahmeregelung im Arzneimittelgesetz mit der Novelle zum 1. August fallen wird.

"Holland ist wie eine Bananenrepublik"
Den Leiter des XCell-Centers, Cornelis Kleinbloesem, dürfte das kalt lassen. Die von ihm mitgegründete Firma Cells4Health bot in den Niederlanden bis vor zwei Jahren Stammzelltherapien unter anderem gegen Multiple Sklerose an - bei ähnlich dubioser Datenlage. "Holland ist wie eine Bananenrepublik", zitierte das Fachblatt British Medical Journal 2007 den Leiter des MS-Zentrums Rotterdam, Rogier Hintzen. Wenig später wurden Stammzelltherapien von privaten Anbietern in den Niederlanden verboten. Kleinbloesem eröffnete daraufhin das XCell-Center in Köln. Sollte man ihm in Deutschland das Handwerk legen, wird er sich vermutlich eine neue Bananenrepublik suchen.


Autorin: Miriam Ruhenstroth

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