Wie neue Nervenzellen das Lernen ankurbeln

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Maus im Morris-Wasserlabyrinth: Die Bilder oben links zeigen die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Maus im Labyrinth. Quelle: Kempermann/Garthe

14.05.2009  - 

Dass sich Nervenzellen im Gehirn immer wieder neu aus adulten Stammzellen bilden, ist schon lange bekannt. Nun haben Wissenschaftler des Centrums für regenerative Therapien Dresden (CRTD) gemeinsam mit Kollegen der Berliner Charite gezeigt, dass sie für qualitative Aspekte des Lernens eine wichtige Rolle spielen. Darüber berichten die Forscher im Fachmagazin PLoS One (Onlineveröffentlichung am 11. Mai 2009).

Nicht nur im Embryo, auch im erwachsenen Körper finden sich das ganze Leben über Zellen, die sich selbst immer wieder erneuern und geschädigte Zellen des jeweiligen Organs ersetzen können. Solche adulten Stammzellen sind relativ gewebe- bzw. organspezifisch und können sich nicht wie die embryonalen Stammzellen in alle Zelltypen ausdifferenzieren. Auch in bestimmten Regionen des Gehirns, etwa im Hippocampus, gibt es adulte Stammzellen.  

CRTD

Das CRTD ist eines von vier Zentren der regenerativen Medizin in Deutschland und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Gerd Kempermann beschäftigt sich mit der natürlichen Regeneration im Gehirn und stellt mit seinem Team eine der 14 Hauptforschungsgruppen am CRTD. 

Mehr Infos: www.crt-dresden.de
Mehr Infos zur Arbeit von Kempermann: hier klicken

 Der effizientere Weg zum Ziel

Aus diesen Gehirnstammzellen können zeitlebens neue Nervenzellen entstehen, zum Beispiel wenige Mikrometer kleine Körnerzellen. Aufgrund mathematischer Modelle vermuten die Forscher, dass diese in einer bestimmten Region des Hippocampus (Gyrus dentatus) entstehen. Welche Funktion die aus den Stammzellen entstehenden Körnerzellen im erwachsenen Hippocampus genau haben, war bisher allerdings unbekannt. Wie ein Team um Gerd Kempermann vom CRTD gemeinsam mit Kollegen von der Charité, Berlin, in PLoS One berichtet, ist nun etwas mehr Licht ins Dunkel gebracht. Demnach kann das Hirn durch Körnerzellen eine sich verändernde Umwelt erfassen, Unterschiede zum Bekannten registrieren und in Relation zu anderen Erfahrungen abspeichern – es lernt, statt auf einem alten Erkenntnisstand zu verharren. 

Für ihre Experimente haben die Forscher ein Testszenario mit Mäusen entwickelt, um die Rolle der Körnerzellen in den qualitativen Aspekten des Lernens abzubilden. Dazu wurde die Neubildung von Körnerzellen bei einem Teil der Mäuse im Gehirn unterdrückt. Anschließend beobachteten die Forscher fünf Tage lang das Verhalten der Tiere in einem sogenannten Morris-Wasserlabyrinth. 

Zentren der Regenerativen Medizin
Neben dem CRTD gibt es noch drei weitere Zentren für Regenerative Medizin in Deutschland.

Berlin-Brandenburg Center for Regenerative Therapies
BCRT
Translational Centre for Regenerative Medicine Leipzig
TRM
Regenerative Biology and Reconstructive Therapy Hannover
REBIRTH

Das Labyrinth ist ein rundes Becken mit trübem Wasser, unter dessen Oberfläche nicht sichtbar eine Plattform versteckt ist. Einziger Anhaltspunkt sind farbige Markierungen am Beckenrand. Die Tiere müssen die Plattform finden und werden so auf räumliches Lernen trainiert. Im vorliegenden Versuch wurden die Schwimmmuster der Mäuse anschließend mit einem Algorithmus statistisch ausgewertet.

Die Forscher beobachteten dabei weniger die Geschwindigkeit, als die Suchstrategien der Mäuse. „Beide Testgruppen haben die Plattform gefunden, die behandelten Mäuse verwendeten jedoch weniger effiziente Suchstrategien“, erzählt Gerd Kempermann.  Das Muster wiederholte sich, als die Forscher die Plattform nach drei Tagen an einem anderen Ort versteckten. Die behandelten Mäuse suchten noch lange an der alten Stelle, während sich die unbehandelten Tiere wesentlich schneller auf die neue Situation einstellten. Die Wissenschaftler folgerten, dass der Mangel neugeborener Körnerzellen dafür verantwortlich war. „Die Tiere konnten auf das Auftreten einer neuen, jedoch sehr ähnlichen Situation nicht flexibel reagieren“, resümiert Kempermann.

Der Forscher ist einer von vier Professoren, die am CRTD eigene Arbeitsgruppen betreiben. Das Dresdner Zentrum ist erst 2005 entstanden und erhält von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über zwölf Jahre lang insgesamt 60 Millionen Euro. Zusätzlich dazu bekommt das CRTD als Exzellenzcluster unter dem Dach der Exzellenzinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung seit 2007 1,5 Millionen Euro jährlich, über fünf Jahre verteilt. Dresden ist damit einer von vier zentralen Standorten mit Zentren der regenerativen Medizin in Deutschland, die weiteren sind in Berlin, Leipzig und Hannover. Darüber hinaus hat erst kürzlich in Rostock ein Referenzzentrum zur Stammzelltherapie des Herzens eröffnet (mehr...)

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„Unsere Studie bestätigt, dass adulte Neurogenese wichtige Aspekte des Lernens beeinflusst“, resümmiert Alexander Garthe, Postdoktorand im Team. „Die neuen Körnerzellen werden gebraucht, um neue Informationen aus der Umwelt effizient mit zuvor gemachten Erfahrungen zu integrieren.“ Das gelte besonders, wenn der Unterschied zu vorherigen Erfahrungen nur sehr gering sei.

Die Ergebnisse der Studie helfen aber nicht nur, Lernprozesse zu verstehen. Die Forscher vermuten, dass die adulte Neurogenese auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz und Alzheimer eine Rolle spielt. „Die Ergebnisse dieser Studie erweitern also nicht nur unser Verständnis der neurobiologischen Grundlagen von Lernvorgängen, sondern sie können dazu beitragen, neue Therapien auf der Grundlage bereits im Gehirn vorhandener Stammzellen zu entwickeln“, vermutet Postdoktorand Garthe.

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