Wochenrückblick KW 12

23.03.2009

Charite will mit Bio-Viagra nichts zu tun haben

In den vergangen  Tagen ging die Meldung von einem "Bio-Viagra" durch die Medien. Entwickelt in den Labors der renommierten Berliner Charite, sollte die Mischung aus verschiedenen Pflanzenstoffen Pfizers blauer Pille mühelos den Rang ablaufen und demnächst auf den Markt kommen. So einfach ist es doch nicht, wie sich bald herausstellte.

"Es handelt sich bei dieser Untersuchung um die Aktivität eines Mitarbeiters der Charite in eigener Verantwortung", erklärte das Berliner Universitätsklinikum in einer knappen Pressemitteilung vom 17. März. Anlass waren die vollmundigen Erklärungen, die der 28-jährige Medizinstudent Olaf Schröder in den Tagen zuvor zu einem Potenzpräparat auf pflanzlicher Basis abgegeben hatte. Demnach arbeitet er seit 2007 an der Entwicklung. Wie Schröder mehreren gutgläubigen Nachrichtenagenturen erzählte, habe sich die potenzsteigernde Wirkung des Mixes aus End-Burzeldorn, Maca und anderen Pflanzen in klinischen Test "hervorragend bestätigen" lassen. Das Bio-Potenzmittel wirke sogar besser als Viagra, so Schröder. Mehrere Zeitungen griffen die Nachricht auf. Da hinter der Meldung aber weder eine wissenschaftliche Veröffentlichung noch eine seriöse Untersuchung steht, musste die Charite jetzt öffentlich zurückrudern. Offenbar erhielten nur 25 Männer das Gemisch, sie sollten die Wirkung anschließend mit ihren seligen Viagra-Erinnerungen vergleichen. "Die Übereinstimmung mit den Richtlinien der Charite zur guten wissenschaftlichen Praxis wird derzeit überprüft", heißt es aus der Pressestelle. Schröder verkündete zudem, das "Gemüse-Viagra" werde schon im kommenden Jahr durch die Berliner Firma Caplab als "Plantagra" vermarktet. Das pikierte seinen Arbveitgeber besonders: "Die Nennung eines Produktnamens in Zusammenhang mit den Untersuchungen entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards der Charite". Was wirklich dran ist an den Forschungen zum pflanzlichen Potenzmittel, bleibt zunächst unklar. Das Universitätsklinikum gibt sich zugeknöpft und behält sich bis auf Weiteres vor, "geeignet zu reagieren".

Erster Nachweis für Gendoping in Köln

Beim Stichwort Gendoping läuft den schwarzen Schafen der Sportwelt das Wasser im Mund zusammen. Denn die experimentellen Substanzen, die das Leistungsvermögen steigern, gelten als sichere Investition, weil sie im Körper als nicht auffindbar gelten. Mit dem ersten direkten Nachweis eines Gendopingsmittels haben Kölner Forscher diese Träume jetzt zerschlagen.

Unter Gendoping wird im engeren Sinne das Einschleusen von Erbmaterial in Zellen, Organe oder den Körper verstanden. Im weiteren Sinne zählt aber jegliche Beeinflussung der Genaktivität mit anderen Methoden – also beispielsweise Eingriffe auf der Ebene der Eiweißherstellung und damit ein Großteil derjenigen Therapien, die von vielen Biotechnologie-Unternehmen im Kampf gegen Krankheiten entwickelt werden - zum Bereich des Gendopings.

Zentrum für präventive Dopingforschung

Am interdisziplinären ZePräDo an der Sporthochschule Köln werden möglichst früh Tests für potenzielle Dopingmittel entwickelt.

www.zepraedo.de

In der Zeitschrift Rapid Communications in Mass Spectrometry (Online-Veröffentlichung, 11. März 2009) beschreiben Mario Thevis und Professor Wilhelm Schänzer vom Zentrum für Präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln eine massenspektrometrische Methode zum Nachweis des potenziellen Dopingpräparats GW1516. Bei GW1516 handelt es sich um einen sogenannten PPAR delta Agonisten, der erst seit 2009 als Gendopingmittel auf der Dopingliste steht (aber schon im März 2008 in einem Expertenbericht als potenzielles Dopingmittel erkannt wurde) .

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News: Experten-Bericht zu Gendoping: Die Gefahr ist da

News: Wenn Sportler zu Dopingmitteln greifen

GW1516 befindet sich zur Zeit in klinischen Studien und wird zur Behandlung von Fettleibigkeit und metabolischem Syndrom entwickelt. Die Substanz führt aber auch zur vermehrten Bildung sogenannter Typ I Muskelfasern, die für die Ausdauerleistung wichtig sind, sowie von Enzymen für die Energiegewinnung aus Fetten - dies konnten amerikanische Forscher zumindest in Tierversuchen nachweisen (Cell, 2008, Vol 134, S. 405-415). Im Sport könnte diese Substanz zur Steigerung der Ausdauerleistungsfähigkeit missbraucht werden. Damit haben die Kölner Wissenschaftler die in Fachkreisen vorherrschende Meinung widerlegt, dass der Nachweis von Gendoping noch auf Jahre hinaus zu kompliziert und zu teuer sei. Der jetzt vorgestellte Test sei schon heute mit den in den Dopinglaboratorien gängigen Methoden möglich, sagen die Forscher.

Grüne Gentechnik in schwerem Gewässer

Im Wahlkampfjahr 2009 wird wieder heftig um die Grüne Gentechnik gerungen. Die Meinungen unterscheiden sich dabei nicht nur von Partei zu Partei, sondern auch zwischen nationaler und europäischer Ebene. Deutlich wurde das, als sich nun EU-Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel und Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner jeweils zu Wort meldeten.

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Wochenrückblick: Grüne Gentechnik: Zwischen Einfuhrerlaubnis und Feldbesetzung

Wochenrückblick: Bundeslandwirtschaftsministerin will gv-Anbau prüfen

Boel sagte auf einer Konferenz, der Umgang mit gentechnisch verändere Organismen (GVO) in der EU solle "wissenschaftsbasiert" ablaufen. Damit stärkt sie die Rolle der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die im bisherigen Zulassungsverfahren die für ganz Europa bindende Sicherheitseinschätzung vornimmt. Aigner dagegen möchte die Entscheidung über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen künftig den Regionen überlassen. "Die Bundesländer und auch die Landkreise sollten selbst entscheiden können, ob sie auf grüne Gentechnik verzichten wollen oder nicht", sagte die CSU-Politikerin in einem Reuters-Interview vom Freitag. Damit distanziert sich die CSU-Politikerin weiter von ihrer Schwesterpartei CDU, in der es prominente Befürworter wie Kanzlerin Angela Merkel und Forschungsministerin Annette Schavan gibt.
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat währenddessen in einer neuen Studie nicht die politischen, sondern die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gentechnik unter die Lupe genommen. Demzufolge sei der Einsatz von Gentechnik insgesamt unrentabel. Er verursache indirekt so hohe Kosten, dass die Nutzung dieser Technik "keinen gesamtwirtschaftlichen Nutzen bringt." Die Kosten in weltweiter Höhe von "einigen Milliarden" US-Dollar fallen in Gestalt von überdurchschnittlich steigenden Saatgutpreisen sowohl auf der Seite der Bauern an, die Gentechnik einsetzen, als auch auf der Seite der ökologischen Hersteller, die mit erhöhtem Kontrollaufwand und der aufwendigen Trennung von Warenströmen sicherstellen müssten, dass ihre Ware keine Anteile gentechnisch veränderter Pflanzen enthält. In der EU und in Japan zahlen Firmen nach Schätzung des BÖLW insgesamt 75 Millionen Euro, um ihre Ware als gentechnikfrei deklarieren zu können. Der Verband fordert deshalb eine Reform des EU-Zulassungsverfahrens und die "Verankerung einer umfassenden Verursacherhaftung."

Der "Schadensbericht Gentechnik" des BÖLW als pdf: Download

Biomarker für Erbitux-Einsatz bei Lungenkrebs

Heidelberger Forscher haben einen Biomarker identifiziert, mit dem der Therapieerfolg eines Krebs-Antikörpers der Darmstädter Unternehmens Merck beim Einsatz von Lungenkrebs angezeigt weden kann.

Das Krebsmedikament Erbitux, das auf dem Antikörper Cetuximab basiert, ist bisher für die Behandlung von Darmkrebs zugelassen. Die Anwendung bei Lungenkrebs lässt Merck derzeit prüfen. Die letzte Phase der klinischen Prüfung (Phase III) ist Ende 2008 abgeschlossen worden. Als Ergänzung einer platin-basierten Chemotherapie wurden dabei positive Auswirkungen auf das Gesamtüberleben der Patienten festgestellt.

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Dossier: Mit Biotechnologie gegen Krebs

Jetzt haben Wissenschaftler der Universitätsklinik Heidelberg und des benachbarten Krebsforschungszentrums (DKFZ) herausgefunden, dass eine Behandlung mit Cetuximab bei Lungenkrebs nur schlecht anschlägt, wenn die Krebszellen besonders viel von einem bestimmten Eiweiß ausbilden. Das Eiweiß u-PAR dient dem Tumor als molekulare Schere, die ihm das Eindringen in gesundes Gewebe erlaubt, wie die Forscher in der Fachzeitschrift Cancer Research (2009, Ausg. 69, Nr. 6, S. 2461–70) berichten. „Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass u-PAR beim nicht kleinzelligen Lungenkrebs ein Indikator für den Erfolg einer Cetuximab-Behandlung sein könnte“, sagt Heike Allgayer von der Universität Heidelberg. "Je mehr u-PAR die Zellen bildeten, desto weniger sprechen sie auf das Medikament an."

Förderung für verdiente Forscher und vielversprechende Doktoranden

Das europaweit größte Doktorandenprogramm zur industriellen Biotechnologie startet am 1. April.Lightbox-Link
Das europaweit größte Doktorandenprogramm zur industriellen Biotechnologie startet am 1. April.Quelle: TU Dortmund

Die biotechnologische Bildungslandschaft in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geht gestärkt aus der Woche hervor. So können verdiente Forscher und vielversprechende Doktoranden von neuen Fördermitteln profitieren.

In Niedersachsen erhalten herausragende Professoren nun eine Möglichkeit, auch über die Pensionsgrenze von 65 Jahren hinaus weiter zu forschen. Dafür sorgt das Programm "Die Niedersachsenprofessur - Forschung 65+", das von der Volkswagenstiftung mit insgesamt 1,2 Millionen Euro gefördert wird. Wie die Stiftung  mitteilte, wurden nun in der ersten Ausschreibungsrunde sieben Wissenschaftler ausgewählt. Drei davon stammen aus dem Bereich der Biowissenschaften: Reinhard Papst von der Medizinischen Hochschule Hannover sowie Wolfgang Junge und Karlheinz Altendorf, beide von der Universität Osnabrück. Sie können mit der Unterstützung jetzt an Immunreaktionen der Lunge, Membranproteinen und Escherichia coli weiter forschen. Der nächste Stichtag zum Einreichen von Bewerbungen ist der 1. April 2009.

Mehr Infos bei der Volkswagenstiftunghier klicken

BioIndustrie 2021

Der Cluster Industrielle Biotechnologie war einer der Sieger, der 2007 aus dem BMBF-Wettbewerb für die "BioIndustrie2021" hervorging.
Zu CLIB2021 und BioIndustrie2021: hier klicken

In Nordrhein-Westfalen haben sich derweil die Universitäten Düsseldorf, Dortmund und Bielefeld zusammengeschlossen, um ab dem 1. April eine gemeinsame Doktorandenausbildung anzubieten - unter dem Dach des Netzwerks "CLIB 2021 - Cluster der industriellen Biotechnologie", das seit 2007 mit 20 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wird (mehr...). Das bis Dezember 2012 laufende Promotionsprogramm soll insgesamt 84 Nachwuchsforschern zugute kommen und hat ein Budget von 7,2 Millionen Euro. 4,1 Millionen Euro werden dabei vom nordrhein-westfälischen Innovationsministerium fließen. Im Rahmen der Initiative sollen Doktoranden der industriellen mit Wissenschaftlern von allen drei Standorten zusammenarbeiten können und ein monatliches Stipendium von 1500 Euro erhalten. Eine Kooperation mit Großunternehmen der Region ist ebenfalls  möglich - Forschungsschwerpunkte können unter anderem die Nutzung nachwachsender Rohstoffe und umweltschonende Alternativen für industrielle Produktion sein. Interessenten wenden sich für das Graduiertencluster "Industrielle Biotechnologie" direkt an die Universitäten.
Mehr Infos beim Forschungsministerium NRW: hier klicken

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Darmbakterien lassen sich Surfbretter bauen

Ein rot eingefärbtes EHEC-Bakterium sitzt auf einem Podest, das ihm die unter ihm befindliche Darmzelle unfreiwilligerweise zur Verfügung stellt.Lightbox-Link
Ein rot eingefärbtes EHEC-Bakterium sitzt auf einem Podest, das ihm die unter ihm befindliche Darmzelle unfreiwilligerweise zur Verfügung stellt.Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Das Bakterium Escherichia coli gehört zur gesunden menschlichen Darmflora. Aber E. coli hat auch krankheitserregende Verwandte, die beim Menschen gefährliche, blutige Durchfallerkrankungen auslösen können. Während einer Infektion besiedeln diese sogenannten enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHECs) die Darmschleimhaut und verursachen dabei Verletzungen.

Die EHECs haften sich fest an die Oberfläche der Schleimhautzellen an und verändern deren Inneres: Ein Teil des zellulären Stützskeletts – das Aktin-Skelett – wird derart umgebaut, dass die Zelloberfläche unter den Bakterien sockelförmige Auswüchse bildet, sogenannte Pedestals. Die Bakterien sind auf diesen Sockeln fest verankert; die Pedestals dagegen sind beweglich. So können die Bakterien auf ihnen sitzend über die Zelloberfläche surfen und sich darauf vermehren, ohne aus dem Darm gespült zu werden. Wie aber bringen die Bakterien die Wirtszelle zum Umbau des Aktin-Zellskeletts? Forscher am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben jetzt den Signalweg aufgeklärt, der zur Bildung dieser Sockel führt. Demnach werden für den Bau des Sockels zwei Faktoren aus dem Bakterium in die Wirtszelle eingebracht, Tir und EspFU. Anschließend präsentiert die Wirtszelle Tir auf ihrer Oberfläche; das Bakterium erkennt „sein“ Molekül Tir, und haftet sich an die Wirtszelle an. EspFU löst dann das Signal zum lokalen Aktinumbau aus. Unklar war bisher, wie die beiden bakteriellen Faktoren Tir und EspFU in der Wirtszelle miteinander in Kontakt treten. "Das Molekül kommt aus der Wirtszelle, heißt IRSp53 und sammelt sich an der Zelloberfläche, direkt unterhalb der aufsitzenden Bakterien“, erläutert der am Projekt beteiligte Zellbiologe Markus Ladwein. IRSp53 stellt also die Verbindung zwischen Tir und EspFU her. Es sorgt dafür, dass der Aktinumbau lokal konzentriert wird. Der von den Braunschweiger Wissenschaftlern aufgeklärte Signalweg – den sie in der Zeitschrift Cell Host & Microbe (2009, Ausg. 5, Nr. 3, S. 244-258) veröffentlichen – ist ein Beispiel dafür, wie krankheitserregende Bakterien mithilfe bakterieller Faktoren Signale vorzutäuschen und komplexe Prozesse im Wirt in Gang zu setzen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen.