Geteiltes Echo auf Gentechnik-Gesetznovelle und geplantes "Ohne Gentechnik"-Etikett

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Gentechnik-Aktivisten der Initiative "Gentechnik stoppen" belagern den Deutschen Bundestag mit Plakaten. Quelle: campact

18.01.2008  - 

Pünktlich zur Grünen Woche, die noch bis zum 27. Januar ihre Tore auf dem Berliner Messegelände öffnet, hat sich die Bundesregierung auf eine Neuregelung des Gentechnik-Gesetzes geeinigt und die letzten strittigen Punkte zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ausgeräumt. Einige Auflagen - insbesondere zur nachbarschaftlichen Absprache zwischen Landwirten - wurden dabei nochmals verschärft. Während Branchenvertreter dies scharf kritisieren, sehen Gentechnik-Gegner darin ein Schlupfloch, das es zu noch stopfen gilt. Auch die vom Bundeslandwirtschaftsministerium nun im Detail veröffentlichte Vorlage zur Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel stößt auf geteiltes Echo. Während sich Bundesregierung und Verbraucherverbände mehr Wahlfreiheit versprechen, bewertet die Lebens- und Futtermittelwirtschaft die Kennzeichnung als Verbrauchertäuschung.

Nachdem eine Gentechnik-Novelle bereits im vergangenen Jahr versprochen war, scheint die Neuregelung nun auch die letzte Hürde genommen zu haben und soll noch vor der neuen Anbausaison in Kraft treten. Eine abschließende Abstimmung ist im Bundestag für Ende Januar geplant.

Inhaltlich basiert die Novelle zu größten Teilen auf dem im Sommer 2007 von Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer vorgelegten Entwurf (mehr...). Die meisten Punkte wie Regelungen zur guten fachlichen Praxis und Bürokratieabbau sind nun beibehalten worden, allerdings gab es Verschärfungen hinsichtlich der nachbarschaftlichen Koexistenz-Vorschriften und nun doch keine Änderung des Standortregisters, auf die viele Forschungseinrichtungen und Unternehmen angesichts der zunehmenden Feldzerstörungen gedrängt hatten.

Mehr Informationen zu Umweltauswirkungen von gentechnisch veränderte OrganismenLightbox-Link
Sie wollen wissen, welche Auswirkungen der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen auf die Umwelt hat? Dann informieren Sie sich auf www.biosicherheit.de

Die Neuregelungen im Überblick (Beschlussvorlage als PDF-Download):

Weniger Bürokratie: Für Arbeiten in geschlossenen gentechnischen Anlagen gilt in den untersten beiden Sicherheitsstufen ein Anzeigeverfahren; der Umfang der einzureichenden Unterlagen wird gestrafft.


Entsorgung von nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen: Produkte, die Anteile von nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen aufweisen, dürfen thermisch verwertet oder industriell verarbeitet werden. Allerdings muss sichergestellt sein, dass keine schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt eintreten und sie nicht in die Lebensmittelkette gelangen.


Standortregister: Das öffentliche Register für den Anbau gentechnisch veränderter Organismen, das so genannte Standortregister, weist auch künftig das genaue Grundstück aus, auf dem gentechnisch veränderte Pflanzen zum Einsatz kommen.

Einhaltung der guten fachlichen Praxis: Die Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung führt für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen Sorgfaltspflichten ein. Sie gelten unter anderem für Anbau, Ernte, Transport, Lagerung, eingesetzte Gegenstände und Kontrolle auf Pflanzendurchwuchs und werden zu benachbaten Feldern bestimmt. Die Bestimmungen bestehen aus einem allgemeinen Teil und speziellen Vorgaben für verschiedene Pflanzenarten, wobei bisher nur für Mais Details ausgearbeitet wurden.


Standortregister

Das Bundesverbraucherschutzministerium führt eine umfrangreiche Statistik über Anbauflächen gentechnisch veränderter Pflanzen.

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Einführung von Mindestabständen: Für den Anbau von gentechnisch verändertem Mais wird gegenüber konventionellen Maiskulturen ein Mindestabstand von 150 Metern festgelegt. In der Nachbarschaft von ökologischen Maiskulturen ist ein Mindestabstand von 300 Metern vorgeschrieben. Will ein Landwirt gentechnisch verändertes Saatgut anbauen, muss er seine Nachbarn mindestens drei Monate vor der Aussaat informieren: schriftlich und mit einem Hinweis auf die Rechte des Nachbarn. Hat der Nachbar keine Einwände, gelten 150 Meter Mindestabstand, man kann sich allerdings auch auf geringere Abstände einigen. Hierfür wurden nun die Auflagen erhöht, denn eine derartige Vereinbarung muss im Standortregister festgehalten werden und sie darf keine Rechte Dritter beeinträchtigen. Ist der Nachbar dagegen nicht einverstanden, ist ein Mindestabstand von 300 Metern einzuhalten.

Landwirtschaftsminister Seehofer auf der Grünen Woche in Berlin.Lightbox-Link
Landwirtschaftsminister Seehofer auf der Grünen Woche in Berlin.Quelle: Grüne Woche

Biotech-Branche enttäuscht

Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf sind weder Industrie noch Gentechnik-Gegner einverstanden. „Das Gesetz enthält gegenüber dem bisherigen kaum Verbesserungen. Von den Koalitionsverhandlungen ist nichts mehr übrig geblieben“, kritisierte Jens Katzek von BIO Mitteldeutschland am Rande einer Pressekonferenz zur aktuellen Stimmungslage der deutschen Biotechnologie-Branche am 14. Januar (mehr...). So bleibt es nach wie vor bei der gesamtschuldnerischen Haftung: Kommt es bei einem Landwirt im ökologischen Anbau zu unkontrollierten Beimischungen und dieser erleidet Umsatzeinbußen, dann haften alle gv-Landwirte in der Nachbarschaft. Die Hürden für einen gv-Anbau seien zudem viel zu hoch, insbesondere was die Abstände betrifft. „Je größer er ist, umso mehr Nachbarn muss ein Landwirt vorab fragen. Bei 150 Metern und durchschnittlichen Flächengrößen in der deutschen Landwirtschaft sind dies ungefähr fünfzig“, rechnet Katzek vor.

Gentechnik-Gegner: Schlupflöcher stopfen

Völlig zufrieden sind aber auch Gentechnik-Gegner noch nicht. Zwar freut sich beispielsweise die Initiative „Gentechnik stoppen“, dass der Protest schon teilweise erfolgreich war. Dennoch gebe es noch zuviele Schlupflöcher, heißt es auf der Webseite: Die Haftung für Verunreinigungen sollte nach Ansicht der Initiative nicht erst ab der bislang gültigen Nachweisgrenze von 0,9% - die auch beim EU-ÖKOsiegel gilt -sondern bereits ab 0,1% erfolgen. Ein Dorn im Auge der Gentechnik-Gegner sind zudem die möglichen Absprachen zwischen Landwirten. Um ihren Argumenten Gehör zu verschaffen, laufen derzeit mehrere Protestaktionen. So wurden am 16. Januar der Deutsche Bundestag mit Plakaten belagert, auf denen Argumente wie "Mit Essen spielt man nicht" oder "Über 70% der Deutschen lehnen grüne Gentechnik ab. Sind Sie Volksvertreter" zu lesen waren. Eine ähnliche Aktion fand an derZufahrtsstraße des Berliner Messezentrums ICC zur Eröffnungsgala der Grünen Woche statt. Weitere Aktionen rund um den Bundestag sind für die kommende Woche angekündigt.

Ohne Gentechnik: künftig auch bei tierischen Produkten möglichLightbox-Link
Details zur Kennzeichnung: Sie wollen wissen, was künftig wie gekennzeichnet wird? Ausführliche Informationen erhalten Sie bei transgen.de: hier klicken

Regeln für  "ohne Gentechnik"-Etikett festgelegt

Neben dem Gentechnikgesetz wird auch die Kennzeichnungsmöglichkeit mit dem Etikett „Ohne Gentechnik“ erweitert und in das "EG-Durchführungsgesetz" eingefügt werden. Bislang war dies nur für pflanzliche Produkte möglich, wurde allerdings kaum benutzt. Die vom Bundeslandwirtschaftsministerium vorgeschlagene Neuregelung soll eine solche Kennzeichnung auch für tierische Produkte erlauben. Danach können Milch, Fleisch und Eier bereits dann mit einem "ohne Gentechnik"-Etikett werben, wenn die jeweiligen Tiere nicht mit gentechnisch veränderten Pflanzen wie Soja oder Mais gefüttert wurden. Dies muss allerdings nicht für den kompletten Lebenszeitraum garantiert sein: Bei Schweinen ist in den letzten vier Monaten vor der Schlachtung auf gv-Futterpflanzen zu verzichten, bei milchproduzierenden Tieren reichen die letzten drei Monate, bei Hühnern für die Eiererzeugung die letzten sechs Wochen.

Erlaubt: Gentechnisch hergestellte Futtermittelzusätze

Futtermittelzusätze, die mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden – beispielsweise Aminosäuren, Enzyme oder Vitamine – dürfen verwendet werden, da deren Produktion unter kontrollierten Bedingungen des geschlossenen Systems umwelt- und ressourcenschonend ist, heißt es zur Begründung. Solche Futtermittelzusätze gleichen Ernährungsmängel der pflanzlichen Futtermittel aus (etwa  die Aminosäuren Lysin oder Methionin), verbessern die Futtermittelverwertung (etwa die Enzyme Amylase oder Phytase) oder die Vitaminversorgung (etwa Vitamin B2). Diese und weitere Futterzusätze werden heutzutage mit gv-Mikroorganismen hergestellt.

Ernährungsausschuss des Bundestages

Am 16. Januar fand im Ernährungsausschuss des Deutsche Bundestages eine Expertenanhörung zum Thema Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel statt.

Stellungnahme Prof. Jany, Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik (WGG): Download PDF

Stellungnahme Dr. Then (Greenpeace): Download PDF

Alle Informationen zur Anhörung: hier klicken

Nicht erlaubt: gentechnisch hergestellte Zusätze in Lebensmitteln

Bei für den Menschen bestimmten Lebensmitteln, die das Etikett „Ohne Gentechnik“ tragen wollen, dürfen solche Zusätze (z.B. Aromen oder Enzyme) allerdings nicht enthalten sein. Ausnahmen sind nur bei solchen gentechnisch hergestellten Zusatz- und Hilfsstoffen möglich, die nach der EU-Ökoverordnung zugelassen sind und bei denen keine "gentechnikfreien" Alternativen verfügbar sind. Bisher gibt es jedoch solche Zusatzstoffe nicht, die trotz gentechnischer Herstellung mit dem "ohne Gentechnik"-Etikett vereinbar wären. Verbraucherschützer und Ökolandbauern begrüßen die neue Regelung und erhoffen sich damit mehr Transparenz. „Mit der neuen Kennzeichnung haben Verbraucher künftig die Wahl, Erzeugnisse von Tieren zu kaufen, die ohne gentechnisch veränderte Pflanzen gefüttert wurden", erklärt Gerd Billen, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband. (mehr Informationen: hier klicken) "Damit kann der einzelne Verbraucher beim Einkauf endlich eine politische Entscheidung treffen, die Gentechnik auf dem Acker nicht zu unterstützen", sagt Thilo Bode von foodwatch. "Die neue Verordnung setzt ihren Schwerpunkt richtig, nämlich bei den Futterpflanzen. Denn diese werden im Freiland angebaut und haben den größten potentiellen negativen Effekt." Der Vorschlag sei pragmatisch und sinnvoll. (Mehr Informationen: hier klicken)

Kritik kam dagegen aus der Lebens- und Futtermittelwirtschaft. Es sei "Verbrauchertäuschung", wenn sich die Verbraucher nicht sicher sein könnten, dass Produkte, die mit dem Hinweis "ohne Gentechnik" angeboten werden, tatsächlich ohne gentechnisch hergestellten Stoffe erzeugt wurden, so der BLL, Dachverband der Lebensmittelwirtschaft. Es sei dem Verbraucher nicht vermittelbar,  wenn der "bewusste und zielgerichtete Einsatz gentechnischer Verfahren" ausgerechnet bei jenen Lebensmitteln erlaubt sei, die mit dem "ohne-Gentechnik"-Etikett werben. (Mehr Informationen: hier klicken)

Video

Auf Youtube: Kurzfilm über die Arbeit von Unternehmen in der Agrobiotechnologie

Sie wollen wissen, woran in Unternehmen der Agrobiotechnologie gearbeitet wird? Ein Kurzfilm auf dem Videoportal YouTube illustriert diese Fragen am Beispiel von deutschen Firmen. Mehr


Grüne Gentechnik

Mehr Informationen zur Grünen Gentechnik auf biotechnologie.de

Sie wollen sich über Grüne Gentechnik informieren? Auf biotechnologie.de finden Sie dazu mehrere Gelegenheiten.

Gesetz: Streit um gv-Zulassung auf EU-Ebene mehr

Umfrage: Landwirte zur Nutzung der Gentechnik befragt mehr

Anbau: Daten zur weltweiten Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen mehr

In unserer Rubrik Daten und Fakten haben wir eine Übersicht an Zahlen zur Anwendung der Grünen Gentechnik in der Landwirtschaft für Sie zusammengestellt: mehr

In unserer Rubrik Förderporträt berichten wir über die Pläne des Forscherbündnis BioOK von der Ostseeküste, das das Zulassungsprozedere von gentechnisch veränderten Pflanzen verbessern und künftig aus einer Hand anbieten will: mehr


Downloads

Entwurf eines Viertes Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes

Beschlussvorlage, Stand: 14. Januar 2008 Download PDF (42,4 KB)