EU-Parlament: Weg frei für zentrale Zulassung neuartiger Therapien

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Bevor die neue Verordnung in Kraft treten kann, müssen die EU-Gesundheitsminister noch zustimmen. Quelle: www.eu2007.de

22.05.2007  - 

Für Unternehmen, die sich im Feld der regenerativen Medizin bewegen, konnte die europäische Vielfalt in der Vergangenheit mitunter zum Hindernis werden. So herrschte bisher ein Flickenteppich an 25 nationalen Regelungen zur Zulassung von Arzneimitteln oder Therapien, die auf der Basis von menschlichen Zellen, einzelnen Genen oder menschlichem Gewebe entwickelt werden. Nach monatelangem zähem Ringen hat das Europäische Parlament nun einer zentralen Herangehensweise den Weg geebnet und Ende April dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu einer Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien zugestimmt. Demnach soll künftig für alle Hersteller in Europa (Unternehmen wie Krankenhäuser), die solche Arzneimittel serienmäßig als Produkt anbieten wollen, eine zentrale Zulassung nach einheitlichen Standards verpflichtend sein. Ende Mai wollen die nationalen Gesundheitsminister der EU-Mitgliedstaaten über den Vorschlag befinden. Bei einem positiven Ausgang könnte die Verordnung bereits Ende des Jahres inkrafttreten.

Die von der EU-Verordnung betroffenen Arzneimittel für neuartige Therapien beziehen sich insbesondere auf Produkte der Regnerativen Medizin. Darunter werden Behandlungsstrategien oder Produkte verstanden, die sich im menschlichen Körper einsetzen lassen oder verletztes Gewebe oder Zellen dazu anregen, sich selbst zu heilen oder wiederherzustellen. Dies umfasst sowohl Therapien auf der Basis von menschlichen Zellen (somatische Zelltherapien), als auch Gentherapien oder Gewebezüchtungen (Tissue Engineering).

Während einige dieser Verfahren noch in der Grundlagenforschung und Entwicklungsphase sind, gibt es andere bereits auf dem Markt. Schon seit einigen Jahren wird beispielsweise die Autologe Chondrozyten-Transplantation (ACT) bei der Behandlung von Knorpeldefekten im Knie eingesetzt. Dieses Verfahren nutzt Knorpelzellen des jeweiligen Patienten, vermehrt sie künstlich im Labor und setzt sie dem Betroffenen wieder ein, meist eingebunden mit einer speziellen Matrix. Künftig werden Produkte dieser Art unter die neue EU-Verordnung fallen.

Harmonisierung in der EU vorantreiben

In rechtlicher Hinsicht hatten Unternehmen, die im Feld der Regenerativen Medizin arbeiten, bisher mit einem Flickenteppich an 25 verschiedenen Rahmenbedingungen zu kämpfen. So mussten sie individuell für jedes Land und jedes Produkt bestimmen, welches Gesetz bei der Zulassung ihres Produktes beachtet werden muss. Für Firmen, die Knorpelersatz angeboten haben, galten in manchen Mitgliedstaaten andere Gesetze als für solche, die gentherapeutische Verfahren oder  somatische Zelltherapeutika entwickeln. Insbesondere Produkte auf dem Feld des Gewebeersatzes (Tissue Engineering) unterlagen in den einzelnen EU-Ländern ganz verschiedenen Bestimmungen. Experten forderten deshalb schon seit langem eine Harmonisierung, um die europaweite Vermarktung von Produkten der Regenerativen Medizin zu erleichtern. Gleiches ergab auch eine vom Bundesforschungsministerium initiierte Studie der Unternehmensberatung Capgemini, die im April diesen Jahres veröffentlicht wurde. Mehr Informationen hierzu finden Sie hier

Nun scheint auf EU-Ebene eine solche Harmonisierung auf den Weg gebracht: Ende April hat das Europäische Parlament den Vorschlag der Europäische Kommission zu einer neuen EU-Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien zugestimmt. Unter dem Begriff „Neuartige Therapien“ (Advanced Therapies) werden dabei erstmals all jene Produkte zusammengefasst, die auf der Basis menschlicher Zellen (somatische Zelltherapie), einzelner Gene (Gentherapien) oder menschlichem Gewebe (Tissue Engineering) hergestellt werden. Für all diese Behandlungsverfahren sollen künftig einheitliche Zulassungsstandards gelten. Die Verordnung gilt dabei sofort bei Infkraftreten in allen EU-Mitgliedstaaten, ohne dass eine Umsetzung in nationales Recht erfolgen muss.

Zähes Ringen um Wortlaut der Verordnung

Über den genauen Wortlaut dieser Verordnung wurde schon seit langem ziemlich heftig diskutiert: Bereits im November 2005 hatte die EU-Kommission dem Parlament einen ersten Vorschlag unterbreitet und bereits im vergangenen Jahr wurde dem federführenden Umweltausschusses ein Bericht mit Änderungsvorschlägen präsentiert. Damals konnten sich die Abgeordneten jedoch nicht auf gemeinsame Formulierungen einigen. Strittig waren insbesondere ethisch begründete Änderungsvorschläge, die sich mit der Nutzung von bestimmten menschlichen Zellen (wie embryonale Stammzellen und Keimzellen) beschäftigten. Nach monatelangen Diskussionen wurde schließlich am 30. Januar diesen Jahres ein Änderungspaket im Umweltausschuss angenommen. Dieses beinhaltete auch ethische Bedenken, wonach Produkte auf der Basis von embryonalen Stammzellen und Keimzellen von der neuen Verordnung ausgenommen werden sollten. Dieses Paket diente dem Parlament wiederum Ende April als Diskussionsgrundlage für den Vorschlag der Europäischen Kommission.

Wie bereits im Umweltausschuss trafen die verschiedenen Lager erneut heftigst aufeinander: So unterstützten etwa die Sozialdemokraten und die Liberalen die Haltung der Kommission und der ganz überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten, wonach ethische Bedenken nicht zentral über die Verordnung, sondern auf nationaler Ebene geregelt werden sollten – einfach, weil es hierzu keine einheitliche Haltung in allen Staaten Europas gibt. Auf der anderen Seite setzten sich Teile der Christdemokraten und Grünen, unter anderem viele Abgeordnete aus Deutschland, vehement für einen Ausschluss von Produkten ein, die auf der Basis von embryonalen Stammzellen entwickelt werden.

EU-Parlament: Ethische Bedenken sind Sache der Mitgliedstaaten

Mit einer deutlichen Mehrheit von 403 zu 246 Stimmen konnten sich schließlich die pragmatischen Kräfte im Parlament durchsetzen, die ethische Erwägungen auf die Ebene der Mitgliedstaaten verweisen. „Die Abstimmung ebnet den Weg für eine baldige Verabschiedung der dringend notwendigen Verordnung, die von Patienten und Industrie mit Ungeduld erwartet wird“, erklärte der Vizepräsident der Kommission, Günther Verheugen, und auch der Generalsekretär des europäischen Bioindustrieverbandes Europabio begrüßte die Entscheidung der Parlamentarier: „Damit wurde der Wildwuchs nationaler Regelungen endlich beendet.“

Die Verordnung, die Ende Mai noch von den EU-Gesundheitsministern verabschiedet werden muss und womöglich bereits Ende des Jahres inkrafttreten kann, schreibt künftig ein einheitliches zentrales Zulassungsverfahren für alle neuartigen Therapien vor. Ausgenommen davon sind lediglich Hersteller (Unternehmen sowie Krankenhäuser), die Arzneimittel für neuartige Therapien „nicht-routinemäßig“ und „unter Verantwortung eines Arztes in einem Krankenhaus in ein und demselben Mitgliedstaat“ anwenden wollen. Da der Terminus „Krankenhaus“ in vielen Ländern unterschiedlich gefasst wird, ist allerdings derzeit noch unklar, wie genau diese Ausnahme letztlich in den einzelnen Mitgliedstaaten gefasst werden wird. Während der deutsche EP-Abgeordnete Peter Liese (EVP) in dieser Regelung den ambulanten Sektor benachteiligt sieht (siehe Presseerklärung), erscheint es nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums möglich, dass in Deutschland Ambulanzen in Krankenhäusern und möglicherweise auch Versorgungszentren in die Ausnahmereglung miteingeschlossen werden können.

Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen

Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) soll es zudem während einer Übergangsfrist eine Reduzierung auf mindestens 50% der Zulassungskosten geben, die insgesamt bei etwa rund 230.000 Euro liegen und damit wesentlich höher als bei einer nationalen Zulassung sind. Nach Inkrafttreten der Verordnung gilt darüber hinaus eine insgesamt vierjährige Übergangsfrist für somatische Zelltherapeutika und Gentherapeutika sowie eine fünfjährige Übergangsfrist für Gewebeersatz-Produkte. Wer zum Zeitpunkt der Anwendung der Verordnung, also ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten, bereits ein Produkt auf den Markt hat und dafür innerhalb der Übergangsfristen eine zentrale Zulassung ‚nachholt’, wird gänzlich von den Kosten befreit.

Für ein noch stärkeres Entgegenkommen gegenüber KMUs hatte sich indes der Bundesverband für Pharmazeutische Industrie (BPI) eingesetzt und auf EU-Ebene vehement für die Möglichkeit der wesentlich kostengünstigeren nationalen Zulassung in der Übergangsfrist geworben. Diese Forderung hat jedoch bei den anderen Mitgliedstaaten keine Unterstützung gefunden. Beim BPI ist man deshalb enttäuscht. „Viele kleine und mittlere Unternehmen werden nun unnötiger Weise sofort in die zentrale Zulassung gezwungen, obwohl sie lediglich für den nationalen Markt produzieren. Diese Hürde ist für viele kleine innovative Unternehmen zu hoch“, heißt es in einer Presseerklärung.

Zulassungsbehörde richtet neuen Ausschuss ein

Um die in der Verordnung festgeschriebenen Anforderungen zu erfüllen, soll die Bearbeitung der Zulassungsanträge bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA in London durch einen neuen Ausschuss gewährleistet werden: den CAT (Committee for Advanced Therapies). Dieser soll zudem Richtlinien für klinische Studien erarbeiten, um den Unternehmen hier Hilfestellungen beim Design zu geben und einheitliche Standards bei der Qualitätssicherung festzulegen. Bisher gibt es hierzu jedoch von Expertenseite kaum konkrete Hinweise, da Produkte der Regenerativen Medizin anders als andere Arzneimittel nur schwer mit bisher bekannten Standards auf ihre Wirksamkeit zu messen sind und der Einsatz von Kontrollgruppen mit Placebo-Behandlung ebenfalls problematisch ist. Ein bislang veröffentlichtes erstes Positionspapier des CAT-Vorläufergremiums bei der EMEA ist noch sehr allgemein gehalten und bietet kaum konkrete Hilfe. Vom Bundesgesundheitsministerium heißt es deshalb, dass Unternehmen, die bereits Produkte auf dem Markt haben und diese nun möglichst schnell über die zentrale Zulassung mit Studien neu beantragen müssen, schon bald mit der Arbeit beginnen und den direkten Kontakt mit der EMEA suchen sollten, da angesichts der Bandbreite neuartiger Therapien viele Anforderungen produktspezifisch ausgestaltet werden müssen und nicht im Einzelnen in Guidelines niedergelegt werden können. Dabei sollten im Studiendesign zudem gesundheitsökonomische Aspekte ebenfalls bereits mitberücksichtigt werden. Dies würde langfristig auch von den Kostenträgern auf nationaler Ebene verlangt, heißt es dazu aus dem Bundesgesundheitsministerium.

Studie

Bestandsaufnahme der Regenerativen Medizin in Deutschland

Sie wollen wissen, wie es um die Regenerative Medizin in Deutschland steht? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat hierzu die Unternehmensberatung CapGemini beauftragt, eine Studie durchzuführen. Am 20. April 2007 wurden die Ergebnisse der umfassenden Bestandsaufnahme veröffentlicht. Mehr


Biomaterialien

Andreas Lendlein vom GKSS Forschungszentrum in Teltow arbeitet im Rahmen der Regenerativen Medizin an funktionalen Biomaterialien, die sich gezielt in einer bestimmten Weise verformen lassen: zum Beispiel ein sich selbst verknotender Operationsfaden. Lendlein gehört zu jenen 51 Nachwuchsforschern, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem BioFuture-Preis ausgezeichnet wurden.

www.biofuture-wettbewerb.de

Podcast mit Andreas Lendlein:
Audiobeitrag hören
(Interview im Auftrag der Helmholtz-Gemeinschaft, 48kbps)


Zentren der Regenerativen Medizin

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützen die Regenerative Medizin mit speziellen Zentren an sechs Standorten in Deutschland: Berlin, Leipzig, Dresden, Hannover, Rostock und in der Region Neckar-Alb.


bcrt.charite.de
www.trm.uni-leipzig.de
www.crt-dresden.de
www.rebirth-hannover.de
www.cardiac-stemcell-therapy.com
www.info-rm.de


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Übersicht der vom EU-Parlament angenommenen Veränderungen (Amendments 82-156) (in Englisch)

Angenommen am 24.5.2007 im Europäischen Parlament Download PDF (236,5 KB)