Tödliche Immunschwäche Aids: Seit mehr als 25 Jahren auf der Agenda

Die erste Erwähnung von AIDS ist im "Morbidity and Mortality Report" (MMWR) der US-Gesundheitsbehörde unter dem Titel "Pneumocystis Pneumonia - Los Angeles " erschienen (Bd. 30, S. 1, 5.6.81). <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die erste Erwähnung von AIDS ist im "Morbidity and Mortality Report" (MMWR) der US-Gesundheitsbehörde unter dem Titel "Pneumocystis Pneumonia - Los Angeles " erschienen (Bd. 30, S. 1, 5.6.81).

20.08.2008  - 

Die ersten wissenschaftlichen Zeilen über die Immunschwächekrankheit Aids füllen nur knapp zwei Seiten. Am 5. Juni 1981 beschreibt Michael Gottlieb von der University of California in Los Angeles im wöchentlichen Bulletin der US-Gesundheitsbehörde CDC (Center for Disease Control and Prevention) fünf junge, homosexuelle Männer, die an einer extrem seltenen Lungenentzündung leiden. Beim Erscheinen des Artikels sind zwei der Patienten bereits tot. Damals wusste noch keiner, dass sie mit dem Humanen Immunschwäche Virus (HIV) infiziert waren. Inzwischen, mehr als 25 Jahre später, gilt der kurze Aufsatz als erster wissenschaftlicher Beitrag zum Thema Aids.

Heute ist bekannt, dass zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung von Gottlieb Anfang der 80er Jahre Aids bereits in Zentralafrika, in der Karibik und in bestimmten Bevölkerungsgruppen in Nordamerika und Europa verbreitet war. Die älteste gesichert dokumentierte HIV-Infektion stammt aus dem Jahr 1959 bei einem afrikanischen Patienten. Inzwischen gibt es weltweit rund 40 Millionen HIV-Infizierte. In Deutschland leben nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts rund 49.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. Nach Angaben der Aidsagentur der Vereinten Nationen (UNAIDS) kommen jedes Jahr weltweit weitere fünf Millionen hinzu.

Bill Gates Stiftung

Die Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates unterstützt bereits seit Jahren die Suche nach einem Impfstoff im Kampf gegen Aids. Unter den geförderten Projekten befindet sich auch eines aus Deutschland.


Mehr Informationen

Seltene Lungenentzündung bei fünf Homosexuellen

Im Jahr 1981 war die Immunschwächekrankheit Aids allerdings noch nicht bekannt. Das Forscherteam um Gottlieb stellte bei den fünf Homosexuellen eine Lungenentzündung fest, ausgelöst durch das Bakterium Pneumocystis carinii. Die Forscher fanden das ziemlich ungewöhnlich: normalerweise infizierte dieser Erreger nur Patienten, deren Immunsystem durch Krebs oder andere Medikamente stark geschwächt ist. Binnen 18 Monaten häufen sich nun Berichte dieser Art in Amerika. Es mehren sich zudem Krankheitsbeschreibungen, die auf seltene Krebsarten der Haut, des Darms und des Lymphgewebes verweisen. Bis Dezember 1982 liegen dem CDC 593 Fallberichte vor. Epidemiologen prägen dabei erstmals die Bezeichnung "Acquired Immune Deficiency Syndrome" (AIDS), zu deutsch „erworbenes Immunschwächesyndrom“. Die Mehrheit der Betroffenen sind homo- oder bisexuelle Männer, aber dann tauchen auch erste Hinweise auf, dass es neben ungeschütztem Sex noch weitere Übertragungswege gibt. Auch Personen, die Blutprodukte erhalten haben, erkranken an Aids. Experten gehen deshalb davon aus, dass der Auslöser ein Virus sein muss.

Ein Retrovirus wird als Quelle des Übels entdeckt

Zwei Arbeitsgruppen haben dabei den Ursprung allen Übels entdeckt: Wissenschaftler um Luc Montagnier aus Frankreich und Robert Gallo aus den USA. Im Jahr 1983 veröffentlichen beide Teams ihre Ergebnisse im Fachmagazin Science (Bd. 220, S. 868 und S. 865). Sie beschreiben darin ein Retrovirus, das als Auslöser für Aids verantwortlich gemacht wird und nennen es Human Immunodeficiency Virus (HIV). Der Erreger gehört zur Familie der Retroviren, deren Erbsubstanz aus RNA besteht, einem nahen Verwandten der DNA des Menschen. Wie andere Retroviren auch braucht das HI-Virus eine Wirtszelle zum Überleben. Mit Hilfe des Enzyms Reverse Transkriptase wandelt es seine RNA in DNA um und integriert es in das Zellgenom der Wirtszelle. Dadurch kann sich der Eindringling durch die Zellteilung der Wirtszelle vermehren. Im Anschluss verlassen die noch unreifen Viruspartikel die Zelle. Sie besitzen dabei eine Eiweißhülle, die aus dem sogenannten Gag-Protein aufgebaut ist. Normalerweise lösen die Viren diese Proteinhülle außerhalb der Wirtszelle auf und bilden durch komplexe Umbauprozesse ihre reife und infektiöse Struktur. Nach dieser Reifung umhüllt ein veränderter Eiweißmantel, das sogenannte Capsid, die Erbinformation und wichtige Eiweißstoffe des Virus.  Experten unterscheiden dabei zwischen HIV-1 und HIV-2, die jeweils weiter in verschiedene Subtypen unterteilt werden. Seit der Entdeckung von HIV hat sich vor allem HIV-1 über die ganze Welt ausgebreitet.

Tabelle 1: Weltweite Verbeitung von HIV

WeltweitSubsahara/OstafrikaOsteuropaDeutschland
Infizierte40 Millionen26 Millionen1,6 Millionen49.000
Neuinfektionen jährlich5 Millionen3,2 Millionen270.0002.600
Tote jährlich3 Millionen2,4 Millionen62.000750

In Deutschland sind seit Beginn der Epidemie bis zum Ende des Jahres 2005 etwa 26.000 Menschen an den Folgen einer HIV-Infektion gestorben. Die Viren greifen einen bestimmten Typ weißer Blutzellen an, die sogenannten CD4+-Zellen. Diese gehören zu einer Mannschaft des Immunsystems, den T-Helfer-Zellen, die die Antwort des Körpers auf eingedrungene Krankheitserreger koordiniert. Bei einer Infektion mit HIV  nimmt die Menge dieser T-Helfer-Zellen im Blut dramatisch ab, zudem werden auch andere Abteilungen des Immunsystems übermäßig aktiviert. Letztendlich führt eine HIV-Infektion daher zu einer Erschöpfung des Immunsystems und Patienten werden dadurch anfällig für Infektionen. Vielfach wird eine HIV-Infektion jedoch nicht sofort erkannt, weil sie zu Beginn oft nur kurze, Grippe ähnliche Symptome hervorruft und sich dann ein längeres symptomfreies Stadium anschließen kann. Die individuellen Verläufe und Krankheitsbilder sind jedoch sehr vielfältig. Deutliche klinische Symptome können sich mit beschwerdefreien Phasen abwechseln. Analysen von Patientendaten haben ergeben, dass ohne Therapie spätestens zehn Jahre nach der Infektion mindestens die Hälfte an schweren Immundefekten erkrankt sind und damit typische Symptome von Aids aufweisen.

GO-Bio

Das Team um um Joachim Hauber vom Heinrich-Pette-Institut für experimentelle Virologie in Hamburg verfolgt einen ganz neuen Ansatz, wie sich die Aids-Erkrankung möglicherweise an der Ursache behandeln und heilen lässt. Seine Arbeiten werden vom BMBF im Rahmen des GO-Bio-Wettbewerbs unterstützt.

Zum GO-Bio-Projekt

Eine Heilung nicht in Sicht – dauerhafte Therapie notwendig

Eine Therapie, die HIV-Infizierte heilen kann, gibt es derzeit nicht. Bislang konnte noch kein Mittel entwickelt werden, dass die Viren aus dem Körper entfernt. Im Einsatz befinden sich sogenannte antiretrovirale Therapeutika, die die Vermehrung des Virus unterdrücken. Dabei werden verschiedene Inhibitoren genutzt, die sich gegen einzelne virale Enzyme richten, die das Erbgut der Viren in die menschliche DNA einbauen. Betroffene müssen diese Medikamente dauerhaft einnehmen, um einen permanent hohen Wirkspiegel zu erreichen. Um Restistenzen zu vermeiden, werden in der Regel mehrere Substanzen miteinander kombiniert.

Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten daran, die Wirkung bekannter Medikamente zu verstärken oder neue Angriffsziele zur Bekämpfung von HIV zu entwickeln. So befinden sich Medikamente in der Forschung, die sich beispielsweise gegen das Gen richten, auf dem der Bauplan für das Gag-Protein gespeichert ist. Andere Wissenschaftler haben ihr Augenmerk auf das Enzym Integrase gerichtet, das den Einbau des umgeschriebenen Virus-Erbguts in die Wirtszell-DNA vermittelt. Ihr Ziel: Könnten Medikamente entwickelt werden, die dieses Enzym hemmen, dann wäre ein wichtiger Vermehrungsmechanismus der HI-Viren gestoppt. Wieder andere Forscher wollen bereits den ersten Schritt der Infektion verhindern und setzen an der Fusion des HIV mit der Wirtszelle an. Dazu werden Substanzen getestet, die auf Oberflächeneiweiße oder spezielle Rezeptoren des Virus zielen, um eine erfolgreiche Fusion zu verhindern.

Suche nach einem wirksamen Impfstoff bisher ohne Erfolg

Seit Beginn der Aids-Forschung wird zudem an der Entwicklung eines brauchbaren HIV-Impfstoffs gearbeitet. Die Ziele sind ambitioniert: Er sollte sicher und effizient sein, ein breites Spektrum an Virus-Varianten erfassen und zu einem Langzeit-Immunschutz führen. Mehrere Konsortien auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene arbeiten daran, doch trotz 20 Jahre langer intensiver Forschung ist es bislang noch nicht gelungen, einen wirksamen Impfstoffkandidaten zu finden. Nur einer hatte es im Jahr 2003 in die letzte Stufe der klinischen Prüfung (Phase III) geschafft, konnte dort aber seine Wirksamkeit nicht beweisen.

Bill Gates will Entwicklung mit Millionen-Spritze vorantreiben

Die Stiftung des Microsoft-Gründer Bill Gates fördert seit Jahren die Suche nach einem Impfstoff  gegen Aids. Von 2006 bis 2011 erhalten 16 Wissenschaftler-Teams insgesamt rund 287 Millionen Dollar (226,9 Millionen Euro). Inhaltlich stehen im Rahmen dieser sogenannten „Collaboration for Aids Vaccine Discovery“ zwei Ziele im Vordergrund. Zum einen sollen Impfstoffkandidaten entwickelt werden, die in der Lage sind, die Produktion von neutralisierenden Antikörpern gegen HIV anzukurbeln. Zum anderen soll das Geld  aber auch in die Verbesserung bereits vorhandener Impfstoffkandidaten fließen, so dass diese eine stärkere und länger anhaltende zelluläre Immunantwort zum Schutz vor dem Hi-Virus auslösen. Darüber hinaus soll aus den Mitteln der Gates-Stiftung auch die Gründung von fünf zentralen Laboratorien und Datenanalyse-Einrichtungen initiiert werden, über die die Forscherteams ihre Ergebnisse austauschen. Gleichzeitig sollen dabei Standards entstehen, anhand derer die Ergebnisse der einzelnen Teams miteinander verglichen werden können. Dies habe bislang, so die Stiftung, einer effektiven Suche nach einem Aids-Impfstoff im Wege gestanden.

Deutscher Aidsforscher soll mit Gates-Mitteln Kryobank aufbauen

Zu den geförderten Wissenschaftlern gehört auch der deutsche Aidsforscher Hagen von Briesen und sein Team am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) in St. Ingbert (Saarland). Neben den rund 7,5 Millionen Dollar (6 Millionen Euro), die die Forscher von der Gates-Stiftung erhalten, bekommt von Briesen auch 475.000 Euro von der Saarländischen Landesregierung und 870.000 Euro vom Fraunhofer-Institut. Von Briesen war an der ersten deutschen Isolierung eines HI-Virus im Georg-Speyer-Haus in Frankfurt/Main beteiligt und hat später das entsprechende Zentrum bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Aids-Agentur der Vereinten Nationen (UNAIDS) geleitet. Mit den Geldern von der Gates-Stiftung soll von Briesen nun eine sogenannte Kryobank aufbauen. Dabei handelt es sich um eine Art Tiefkühl-Archiv, in dem Zell- und Gewebematerial durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff in eine Kältestarre versetzt wird und dadurch langfristig konservierbar ist. Auf diese Weise wollen die Deutschen dafür sorgen, dass alle Reagenzien der Impfstoffkandidaten abgelegt werden, die bei den von Gates geförderten Forscherkonsortien anfallen. Gleichzeitig soll von Briesen alle HI-Viren sammeln, die zur Zeit zirkulieren, um sie den Forscherteams zur Verfügung zu stellen.

Kompetenznetz HIV: Bündelung der Forschung in Deutschland

In Deutschland wird die Forschung an HIV seit dem Jahr 2002 durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kompetenznetz HIV gebündelt und gezielt vorangetrieben. So konnte beispielsweise eine Datenbank mit Befunden von rund 10.000 HIV-Infizierten aufgebaut werden, deren Analyse sowohl bei der Therapie als auch bei der Forschung wichtige Bausteine liefert.

Downloads

Immunologischer Hintergrund der HIV-Infektion

Download PDF (2,6 MB)

Aktuelle Eckdaten zu HIV/Aids in Deutschland

Herausgeber: Robert-Koch-Institut Download PDF (27,4 KB)

Erster wissenschaftlicher Aufsatz zu Aids

Autor: Michael Gottlieb, University of California, Los Angeles Download PDF (129,1 KB)

Bilanz des Kompetenznetzes HIV für das Jahr 2005

Die deutsche Aidsforschung im Überblick Download PDF (871,4 KB)