Schlummernden Tumorzellen den Saft abdrehen

Seneszente Tumorzellen befinden sich in einer Art Winterschlaf. Trotzdem sind sie metabolisch aktiv und können schädlich sein. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Seneszente Tumorzellen befinden sich in einer Art Winterschlaf. Trotzdem sind sie metabolisch aktiv und können schädlich sein. Quelle: vitanovski/fotolia.com

15.08.2013  - 

Infolge einer Chemotherapie verbleiben im Körper häufig Tumorzellen, die durch die Behandlung nicht zerstört, sondern in eine Art Winterschlaf versetzt wurden. Zwar können sich diese sogenannten seneszenten Zellen nicht mehr vermehren, schädigen aber das umliegende Gewebe und belasten den Körper weiterhin. Krebsforscher der Berliner Charité haben einen Weg gefunden, dieser verborgenen Gefahr endgültig den Garaus zu machen. Wie sie in der Fachzeitschrift Nature (2013, Online-Vorabveröffentlichung) berichten, haben sie die Energiezufuhr der schlafenden Krebszellen gezielt gekappt. Mit ihren Erkenntnissen ließen sich Chemotherapien optimieren, ohne die Nebenwirkungen zu verstärken.

Bei ihren Untersuchungen an schlummernden Krebszellen machten die Forscher eine unerwartete Beobachtung. Obwohl die Zellen sich weder teilen noch wachsen, verschleuderten sie ungewöhnlich viel Energie. „Dass ausgerechnet der Energiestoffwechsel bei ruhenden Zellen einen Angriffspunkt darstellt, war für uns eine überraschende Erkenntnis“ sagte Clemens Schmitt vom Molekularen Krebsforschungszentrum der Charité der Berliner Zeitung.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de

News: Molekül-Duo hält Krebs in Schach

Wochenrückblick: Koordinierter Krebsschutz im Körper entdeckt

News: Tiefschlaf bei Leberzellen verhindert Krebs

Schlafende Tumorzellen sind Energiehungrig

Die gelähmten Krebszellen verarbeiteten mehr Zuckermoleküle als ihre teilungsfähigen Versionen. Auch einen erhöhten Bedarf an Sauerstoff und Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, konnten die Forscher messen. Dieser hohe Energieverbrauch, den die Forscher als Hyperkatabolismus bezeichnen, ist auf den sogenannten proteotoxischen Stress zurückzuführen, wie die Forscher in ihrer Studie zeigen. Weil die ruhenden Krebszellen an der Zellteilung gehindert werden, vergiften sie sich selbst durch eine Überproduktion von Eiweißen, die eine sich vermehrende Zelle eigentlich benötigen würde. Diesen Überschuss puffert die Zelle durch ein Selbstverdauungsprogramm. Mittels der Autolyse muss sie die überflüssigen Eiweißbestandteile wieder abbauen. Hierfür produziert die Zelle wiederum bestimmte Verdauungsenzyme. Alles in allem ist das ein sehr aufwändiger Energie- und Material-Kreislauf.

Den ruhenden Zellen den Stecker ziehen

Genau hier setzten die Krebsforscher ihren Hebel an: In Mäusezellen blockierten sie mit verschiedenen Medikamenten die unterschiedlichen Energieversorgungswege der Zellen. Um sicher zu gehen, dass der hohe metabolische Kraftaufwand durch die Verdauungsenzyme verursacht wird, hemmten sie diese mit spezifischen Wirkstoffen. Das Ergebnis: Der zelluläre Stress war von der Zelle nicht mehr zu bewältigen und der Zelltod wurde eingeleitet. Die gleichen Ergebnisse erzielten die Forscher auch in menschlichen Tumorzelllinien. „Wir haben nun einen Weg gefunden, selektiv seneszente Tumorzellen zu erkennen und zu töten. Durch zusätzliche, am Zellstoffwechsel angreifende Medikamente könnte die Wirksamkeit einer Chemotherapie womöglich weiter verbessert werden, ohne Chemotherapie-typische Nebenwirkungen zu verstärken“, so Schmitt zur Berliner Zeitung. In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, wie der programmierte Zelltod bzw. die Apotose funktioniert.Quelle: biotechnologie.tv

Warum Seneszenz?

Die Aufgabe des Immunsystems besteht unter anderem darin, bösartig entartete Zellen zu finden und zu eliminieren. Gelingt das dem Immunsystem werden die bösartigen Zellen gezielt dem programmierten Zelltod, der Apoptose zugeführt. Ein weiterer Zustand in den die Zellen durch Einwirken des Immunsystems oder durch die aggressive Behandlung einer Chemotherapie verfallen können, ist die Seneszenz. Die Berliner Wissenschaftler fanden zuvor bereits heraus, dass beide Mechanismen eng miteinander verknüpft sind (mehr...). Zwar teilen sich die Zellen nicht mehr und wachsen so auch nicht zu einem Tumor heran (mehr...). Allerdings sind sie weiterhin metabolisch aktiv. Sie schütten einen wilden Mix an Botenstoffen aus, der wiederum die Helfer des Immunsystems alarmiert. Fortan unterliegen die Möchtegern-Krebszellen einer strengen Kontrolle. Eigentlich handelt es sich also um einen Schutzmechanismus des Körpers.

Inaktiv und zugleich destruktiv

Der Stoff-Cocktail, den sie absondern kann trotzdem schädlich sein: So kann er beispielsweise dafür sorgen, dass das umliegende Gewebe schneller altert und begünstigt somit indirekt die Entstehung von Alterskrebs. Zwar sei die Therapie-induzierte Seneszenz langfristig besser als keine. Aber durch ihre möglichen schädlichen Eigenschaften der seneszenten Zellen sei ihre quantitative Zerstörung therapeutisch notwendig, schreiben die Forscher in ihrer Publikation.

Die Studie entstand im Rahmen der Zusammenarbeit des Deutschen Krebskonsortiums, der Berliner Graduiertenschule für integrative Onkologie (BSIO) und des Berliner Instituts für Gesundheit (BIG), in dem die Charité und das Max Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) ihre Gesundheitsforschung bündelt. Gefördert wurde das Verbundprojekt unter anderem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Deutsche Krebshilfe.

© biotechnologie.de/bs

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos

TV-Glossar

Kreidezeit - Begriffe aus der Biotechnologie

Von A wie Antikörper bis Z wie Zellkultur - die Kreidezeit erklärt Begriffe aus der Biotechnologie kurz und knapp an der Tafel. Alle Videos finden Sie in unserem Filmarchiv.


Zur Rubrik Kreidezeit