Maßlose Krebszellen wachsen sich zu Tode

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Gewebeschnitt aus einem Lebertumor. Wurde ein bestimmtes Gen stillgelegt und das entsprechende Enzym nicht mehr hergestellt, bildeten sich die Tumoren im Tierversuch zurück. Quelle: HZI Braunschweig

30.03.2012  - 

Biochemiker der Universität Würzburg haben in Zusammenarbeit mit Forschern vom Helmholtz-Zentrum für Infektionskrankheiten (HZI) in Braunschweig eine Schwachstelle in bestimmten Krebszellen entdeckt. Ihren Fund beschreiben die Wissenschaftler im Fachjournal Nature (Online-Vorabveröffentlichung, 2012). Grundlage des neuen Angriffplanes ist die Abschaltung eines Energie-Wächters in der Zelle. Durch dessen Deaktivierung vernachlässigt die Zelle den internen Stoffwechsel und nutzt ihre Ressourcen vollständig zum Wachstum und zur Teilung. Dieser Energieraubbau führt früher oder später zum Zelltod. Pharmaunternehmen haben bereits ihr Interesse an der Methode bekundet.

Nach Zahlen der Deutschen Krebshilfe erkranken jedes Jahr rund 490.000 Menschen neu an Krebs. Im gleichen Zeitraum sterben 218.000. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Krebserkrankungen nach Schätzungen von Experten noch um bis zu 30 Prozent steigen. Gängige Behandlungsmethoden basieren auf der radiologischen oder chemischen Bekämpfung der entarteten Zellen. Während Strahlen- oder Chemotherapien jedoch das bösartige Zellwachstum zu hindern suchen, verfolgt der Ansatz der Würzburger Wissenschaftler genau das gegenteilige Ziel – der Tumor soll sich zu Tode wachsen. Die Grundlage für diesen Ansatz ist ein einfaches logistisches Problem.

Ressourcenmanager im Visier

Wie alle anderen Zellen im Körper benötigen auch Krebszellen Energie, die sie aus ihrer Nahrung gewinnen. Diese muss anschließend hauptsächlich auf zwei große Bereiche verteilt werden: zum einen müssen für das Wachstum benötigte Zellbausteine hergestellt werden, die Zelle muss sich teilen und vermehren. Zum anderen muss der interne Stoffwechsel aufrecht erhalten werden. Bei ihren Versuchen zu den Reaktionen von Krebszellen auf die Abschaltung bestimmter Enzyme, so genannter Kinasen, sind die Forscher dabei zufällig auf eine Art Wächter-Molekül gestoßen, das wie ein Ressourcenmanager agiert. Ist genügend Energie in Form von ATP vorhanden, werden beide Prozesse gleichwertig ausgeführt. Herrscht jedoch Knappheit, begrenzt der „Wächter“ das Zellwachstum und sorgt dafür, dass zunächst die lebensnotwendigen Stoffwechselprozesse, und damit der Selbsterhalt, gewährleistet sind. Martin Eilers und Daniel J. Murphy vom Biozentrum der Universität Würzburg haben nun die Folgen einer Stilllegung dieses „Wächters“ erforscht. Das Ergebnis: „Wenn die Krebszelle keine Rückmeldung mehr darüber erhält, dass ihr Energiehaushalt aus dem Gleichgewicht geraten ist, verschwendet sie ihre gesamten Ressourcen aus der Nahrung darauf, zu wachsen und sich zu teilen“, erläutert Martin Eilers. Die Zelle verausgabt sich dabei so sehr, dass ihr am Ende keine Energie mehr für die normalen Stoffwechselvorgänge in ihrem Inneren bleibt. Tatsächlich stirbt die Krebszelle ohne das Einschreiten des „Wächters“, wie die Forscher zeigen konnten.

Ark5-Kinase als Hebel

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Der „Wächter“, der jetzt in den Fokus der Molekularbiologen gerückt ist, ist bekannt als Ark5-Kinase. „Diese Kinase eignet sich als Angriffspunkt für potenzielle neue Medikamente“, sagt Daniel J. Murphy. Dieses kleine Molekül könnte sich allem Anschein nach als Achilles-Ferse der Krebszellen entpuppen. Im Tierversuch waren die Würzburger bereits erfolgreich. Zusammen mit einem Team um Lars Zender vom HZI in Braunschweig, untersuchten sie, was passiert, wenn das Gen für die Ark5-Kinase in Lebertumoren bei Mäusen gezielt lahmgelegt wird. „Wir konnten dadurch zeigen: Tumore, in denen die Bildung von  Ark5 unterdrückt ist, bilden sich zurück und die Mäuse leben länger“, resümiert Lars Zender. Und noch eine Entdeckung machten die Forscher: zu ihrer Verblüffung zeigte sich, dass gesunde Zellen von der Deaktivierung der Kinase weitgehend unberührt blieben. „Warum das so ist, verstehen wir noch nicht bis ins letzte Detail“, sagte Murphy. Dennoch: „Wichtig im Hinblick auf eine potenzielle Therapie ist die Tatsache, dass sich an dieser Stelle normale [Zellen] von Krebszellen unterscheiden.“ Als Durchbruch in der Krebstherapie wollten die Wissenschaftler ihren Fund noch nicht bezeichnen, es sei jedoch ein neues Konzept und eine ganz neue Art, das Problem anzugehen.

Die Pharmabranche zeigt bereits Interesse

Die Wirksamkeit der Methode ist in Tierversuchen an Darm- und Leberkrebszellen belegt. Ob sie sich auch auf andere Krebsarten übertragen lässt, ist noch unklar. Das Interesse der Pharmaindustrie ist offenbar jedoch bereits jetzt enorm. Es existieren sogar schon erst Pläne für eine Zusammenarbeit, schreiben die Forscher. Außerdem stünde mit dem Comprehensive Cancer Center der Universität Würzburg ein Partner zur Verfügung, um das Konzept in weiteren präklinischen Versuchen und eines Tages als eine mögliche Therapie am Krankenbett erproben zu können, so Eilers.

Die Erwartungen an das Konzept möchten Eilers und Murphy aber relativieren: Es seien noch jede Menge Studien notwendig, bis ein abschließendes Urteil über den neuen Ansatz einer Krebstherapie möglich sei; und viele Jahre werden vergehen, bis ein Medikament marktreif ist – falls es überhaupt dazu kommt. „Es besteht immer die Gefahr, dass Zellen gegen einen Wirkstoff eine Resistenz entwickeln“, warnt Eilers vor allzu großer Euphorie.

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