Demenz: Nervenzellen unter falscher Flagge

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Aufnahme einer primären Zellkultur hippocampaler Neuronen. Angefärbt sind DNA- (blau), βIII-Tubulin- (rot) und Neurofilament- (grün) Moleküle. Quelle: Sevda Cordier-Dirikoc über flickr.com

24.01.2012  - 

Bei Demenzerkrankungen geht es um Leben und Tod: Immer mehr Nervenzellen sterben im Laufe des Leidens ab. Bonner Wissenschaftler haben nun bei Gehirnzellen von Mäusen einen wichtigen Schalter entdeckt, der über den Untergang der Nervenzellen entscheidet. Die Ergebnisse präsentieren sie im Journal of Neuroscience (2011, Online-Vorabveröffentlichung).

Allein in Deutschland gibt es mehr als l,2 Millionen Demenz-Patienten, die Mehrheit von ihnen leidet an der Alzheimer-Krankheit. Experten schätzen, dass dieser Demenztyp ungefähr 60 Prozent der weltweit 24 Millionen Erkrankungen ausmacht. Bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen kommt es zum Verlust von Nervenzellen. Zu Anfang können noch benachbarte Neuronen einspringen und so die Ausfälle kompensieren. Zum Schluss sind aber so viele Nervenzellen abgestorben, dass es keine Ausweichmöglichkeit mehr gibt. Bei Betroffenen werden die Gedächtnisstörungen immer gravierender, zum Schluss ist ein normales Leben im Alltag so gut wie ausgeschlossen.
Warum die Nervenzellen überhaupt absterben, ist noch nicht gänzlich verstanden. Wissenschaftler in der ganzen Welt suchen nach den Ursachen, die offenbar nicht nur kranke, sondern auch gesunde Gehirnzellen angreifen. Forscher um Bettina Linnartz vom Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn haben nun anhand von Gehirnzellen aus der Maus ein molekulares Signal identifiziert, das Gehirnzellen dem Untergang weiht.

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Oxidativer Stress könnte Sialinsäure schädigen

Die Nervenzellen sind von einer Membran umhüllt, in deren äußerster Schicht Sialinsäure als natürlicher Baustein vorkommt. "Die Sialinsäuren sind besonders empfindlich und angreifbar. Sie können zum Beispiel durch oxidativen Stress abgeknabbert werden", sagt Linnartz. "Es ist bekannt, dass dies im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen auftritt." Oxidativer Stress wird durch aggressive Sauerstoffverbindungen ausgelöst, die bei Stoffwechselvorgängen entstehen. Die sehr reaktiven Verbindungen greifen häufig das nächstbeste Molekül an und beschädigen so die DNA, Proteine oder eben die auf der Zelloberfläche vorkommende Sialinsäure.

An Nervenzellen von Mäusen untersuchte Linnartz, ob die Sialinsäuren ein Signal darstellen, das über das Schicksal der Gehirnzellen entscheidet. Mit einem Enzym spaltete sie gezielt die die Sialinsäure an den Nervenzellen der Nager ab. Und tatsächlich: Die Immunabwehr der Mäuse wurde aktiv und markierte die Oberfläche der behandelten Zellen mit besonderen Signalproteinen. Mikrogliazellen, die Immunzellen des Gehirns, attackierten daraufhin die gekennzeichneten Zellen und entsorgten sie.

„Die eigenen Nervenzellen werden als Feind ausgeflaggt"

„Durch die fehlende Sialinsäure in der Membran wurden die eigenen Nervenzellen also als Feinde ,ausgeflaggt' und den Fresszellen preisgegeben", erläutert Dr. Linnartz. "Und dass obwohl die Gehirnzellen gesund waren." Die Wissenschaftler machten anschließend die Probe aufs Exempel: Sie blockierten eines der Proteine, mit denen die Mikrogliazellen Eindringlinge erkennen. "Daraufhin wurden die Nervenzellen nicht von den Fresszellen angegriffen und blieben intakt", sagt Dr. Linnartz. "Die Sialinsäuren auf der Membran dev Nervenzellen bilden somit eine Art Schutzschicht. Wird diese beispielsweise durch oxidativen Stress im Gehirn entfernt, ist dies ein "Iss-mich" Signal für die Mikrogliazellen. Diese können mit Hilfe des Komplementrezeptors drei dieses Signal erkennen und die veränderten Nervenzellen auffressen.“

© biotechnologie.de/bk

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