Christian Reinhardt: Smarte Tricks gegen Tumorzellen

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Der Mediziner Christian Reinhardt leitet ein Krebsforschungslabor an der Universität Köln. Quelle: Christian Reinhardt

23.11.2011  - 

Krebstherapien zu finden, bei denen die gesunden Zellen in Ruhe gelassen und nur die bösartigen Zellen attackiert werden, das ist das große Ziel der Krebsforscher von heute. Der Kölner Mediziner Christian Reinhardt ist einer von ihnen. Im Rahmen einer von der Volkswagen Stiftung geförderten Professur will der 35-Jährige den bösartig veränderten Zellen mit genetischen Tricks beikommen. Dabei geht es nicht nur um Grundlagenforschung, sondern auch um die gezielte Anwendung im klinischen Alltag.

Eigentlich hatte Christian Reinhardt vor, Nierenspezialist zu werden. Schon als Student der Humanmedizin hatte er darauf seinen fachlichen Schwerpunkt gelegt. Dann führte ihn aber eine sehr spezielle Fragestellung an das Krebsforschungszentrum des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Fünf Jahre an dem renommierten Institut, das beflügelnde Forschungsklima, die Anwesenheit von zwei aktiv tätigen Nobelpreisträgern aus der Krebsforschung, so Reinhardt, hätten ihn von seinem ursprünglichen Ziel abweichen lassen: „Das war eine Atmosphäre, der man sich einfach nicht entziehen kann.“ Nun ist er selbst Krebsforscher und bereut keine Sekunde den Schwenk in seiner wissenschaftlichen Entwicklung. „Wir sind gerade in einer extrem spannenden Zeit, weil wir endlich die Versprechungen, die wir immer gegeben haben, auch einlösen und Patienten erfolgreich behandeln können. Das ist der beste Platz, an dem man im Moment sein kann.“

Mit der Fluoreszenzmikroskopie lassen sich verschiedene Proteine einer Zelle anschauen.Lightbox-Link
Mit der Fluoreszenzmikroskopie lassen sich verschiedene Proteine einer Zelle anschauen.Quelle: Christian Reinhardt

An der Kölner Universitätsklinik leitet er ein Labor, in dem er und seine Arbeitsgruppe den genetischen Bedingungen bei Krebsformen wie dem Bronchialkarzinom und der chronisch-lymphatischen Leukämie auf den Grund gehen. Der Fokus liege in erster Linie auf den jeweils vorhandenen genetischen Veränderungen und weniger darauf, dass der Tumor in den Atemwegen oder im Blutsystem auftritt. „Wir sprechen ja mittlerweile nicht mehr von dem Lungenkarzinom, sondern von dem Lungenkarzinom mit der genetischen Veränderung XY“, sagt Reinhardt.

Synthetisch-letalen Genen auf der Spur

Krebszellen haben die Eigenschaft, dass die Mutationen in ihrem Genom häufig wichtige krebshemmende Gene ausschalten. „Das erschwert die Therapie, denn wenn es nur um eine Überaktivität der tumortreibenden Gene ginge, dann könnten wir die durch spezifische Medikamente einfach ausschalten“, so der Krebsforscher. Unter diesen Umständen jedoch kann man der Erkrankung nur entgegenwirken, indem man die gesamte Tumorzelle zerstört. Aber wie geht das, wenn die gesunden Zellen weiter leben sollen? Reinhardt nutzt dafür das Prinzip der synthetisch-letalen Interaktion. Jede bösartige Veränderung innerhalb einer Zelle, davon ist er überzeugt, ist mit bestimmten Abhängigkeiten verbunden, die in gesunden Zellen nicht vorliegen. Solche Abhängigkeiten können beispielsweise zwischen zwei Genen bestehen, dem mutierten tumortreibenden Gen und einem Partnergen, das an sich nichts mit dem Tumor zu tun hat. Bei der synthetisch-letalen Interaktion gelten nun zwei Bedingungen. Im Falle einer gesunden Zelle bleibt der Verlust eines dieser beiden Gene ohne Folgen für die Zelle, sie existiert einfach weiter. Bei der mutierten Zelle jedoch ist der Verlust des Partnergens und des mit ihm verbundenen Tumorgens tödlich für die Zelle.

Die Gruppe um Reinhardt sucht nun gezielt nach den synthetisch-letalen Interaktionspartnern dieser mutierten Tumorgene. Sie baut dabei auf dem Wissen auf, welche Gene an der Entstehung von Krebserkrankungen beteiligt sind. Mit genetischen Screeningverfahren suchen die Wissenschaftler dann nach den Erfolg versprechenden Partnergenen. Über einen einfachen genetischen Trick entfernen sie dafür reihenweise Gene, um gezielt genau die Gene zu finden, deren Verlust für die Tumorzelle tödlich ist. Ist ein solches Gen gefunden, dann beginnt die Suche nach den Signalprozessen, welche dieses Gen auslöst. Für Reinhardt wirft das jede Menge Fragen auf: „Was sind das eigentlich für Gene, was machen die? Sind diese Gene gar verantwortlich für ein Enzym? Und kann man dieses Enzym durch Arzneimittel hemmen?“

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Bessere Heilungschancen durch gezielte Therapien

Erfolg zeigten derartige Methoden bereits bei einer Form des Brustkrebses, dem erblichen Mammakarzinom, erläutert Reinhardt. Solche Erfolge, die auf einem immer besseren Verständnis der Tumorgenetik beruhen, finden sich auch in anderen Tumor- und Leukämiearten. Zum Beispiel bei der chronischen myeloischen Leukämie: Noch vor wenigen Jahren sei diese Krankheit immer tödlich verlaufen. Inzwischen aber gebe es Arzneimittel auf dem Markt, welche gezielt die Leukämiezellen zerstören. Diese Therapie heilt zwar nicht die Krankheit selbst, aber mit gerade mal einer Tablette am Tag können die Patienten bei relativ geringen Nebenwirkungen ein normales Leben führen. Für Christian Reinhardt ist ein solcher Erfolg das Größte an der Forschung. „Was mich antreibt und morgens aufstehen lässt, ist die Hoffnung, dass wir Therapien für Krebspatienten verbessern können.“ In seinem eigenen Forscherleben war es eines der schönsten Heureka-Erlebnisse, als ein eigentlich extrem behandlungsresistenter Tumor regelrecht dahinschmolz, nachdem er ein einziges Enzym blockiert hatte. Aber solche Erlebnisse seien für Wissenschaftler sehr selten und würden zunächst meist von einer gehörigen Portion Skepsis begleitet: „Wenn man das erste Mal so etwas sieht, dann glaubt man es in der Regel sowieso nicht, und beim zehnten Mal ist der Heureka-Moment auch schon vorbei. Denn dann erwartet man schon, dass es genau so funktioniert, wie man es sich vorstellt.“ Christian Reinhardts Arbeitsalltag pendelt zwischen Labor und Klinik, wo er Krebspatienten behandelt. Für Freizeit bleibt dabei nicht viel Raum. Aber wenn er mal nicht arbeitet, dann schmökert er am liebsten im Café in einer Tageszeitung. Manchmal geht er auch mit seinem Bruder joggen, der ebenfalls in Köln lebt. Seine Freizeit will er, soweit möglich, ganz ohne seinen Beruf verbringen. Nicht mal einen Schreibtisch hat er daheim, und gerne mal verreist er ohne Computer und Handy. „Man muss versuchen, das ganz intensiv zu trennen, sonst kommt man gar nicht zur Ruhe.“

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