Deutsche Biotechnologietage 2011: Familiäres Flair

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Mehr als 600 Vertreter der Branche kamen nach München, um sich zwei Tage lang über Chancen und Herausforderungen auszutauschen. Quelle: Alex Schelbert

27.05.2011  - 

Diesmal war es nicht der Eyjafjallajökull, sondern der Grimsvötn. Wie schon im vergangenen Jahr wurden die Biotechnologietage 2011 durch Ereignisse im fernen Island bedroht. Doch nachdem die Aschewolke des Grimsvötn-Vulkans sich recht bald verzog, konnten doch noch die meisten Teilnehmer nach München anreisen. Vom 25. bis 26. Mai diskutierten 600 Wissenschaftler, Unternehmer und Vertreter von Institutionen und Verbänden auf der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten Veranstaltung über Zustand und Zukunft der Branche. Neben wissenschaftlichen Fortschritten sorgten dabei vor allem frische Allianzen in der Bioökonomie sowie ein neuartiges Finanzierungsmodell für Aufmerksamkeit.



 

„Wagniskapitalgeber werden das jetzt nicht gerne hören“, warnte Christian Itin etwaige Investoren, die zum Auftakt der Biotechnologietage in den großen Ballsaal des Hilton am Englischen Garten in München gefunden hatten. Gastgeber des vom Arbeitskreis der Deutschen Bioregionen und dem nationalen Branchenverband BIO Deutschland seit 2010 (mehr...) wieder jährlich organisierten Treffens war diesmal der Münchner Biotech-Cluster, koordiniert von der BioM GmbH. Nach der gut überstandenen Wirtschaftskrise und dem kräftigen Zuwachs an Umsatz und Mitarbeitern im vergangenen Jahr  (mehr...) zeigten sich viele der Teilnehmer zuversichtlich. Doch die aufziehenden Probleme, vor allem bei der Finanzierung, wurden nicht ausgespart.

Christian Itin, Vorstandsvorsitzender des Antikörper-Spezialisten Micromet, forderte Risikofreude von Investoren und Innovationsfreude bei den Kollegen.Lightbox-Link
Christian Itin, Vorstandsvorsitzender des Antikörper-Spezialisten Micromet, forderte Risikofreude von Investoren und Innovationsfreude bei den Kollegen.Quelle: Alex Schelbert

Neue Ideen sind gefragt

„Die Biotechnologie wird von Investoren nach wie vor eine hohe Risikobereitschaft verlangen“, sagte Itin, der als Vorstandsvorsitzender des Münchener Antikörper-Spezialisten Micromet AG bisher keine Probleme hatte, in mehreren Kapitalrunden frisches Geld für die Entwicklung von eigenen Antikörper-Kandidaten einzuwerben  (mehr...). In der Pharmabranche seien allerdings „bei vielen Medikamenten die Wirkmechanismen ausgereizt. Was wir in den nächsten Jahren brauchen, ist ein veritabler Innovationssprung.“ Dazu wird viel Forschung notwendig sein, so Itin. Genügt es, auf risikofreudige Geldgeber zu warten? Viele der Anwesenden waren skeptisch. „Das alte VC-Modell ist tot", konstatierte etwa Axel Polack von der Beteiligungsgesellschaft TVM Capital. Neue Ideen sind gefragt, da waren sich alle einig. Mit dem „Spinnovator“ wurde ein möglicher Weg aufgezeigt.

An dem Pilotprojekt beteiligt sich das BMBF mit 20 Millionen Euro. Der Risikokapitalgeber Vesalius Biocapital und das Technologietransfer-Unternehmen Ascenion tun sich dabei zusammen, vielversprechende Ergebnisse aus der öffentlichen Forschung in die Anwendung zu überführen. Ähnlich wie der GO-Bio-Wettbewerb, dessen diesjährige Gewinner am zweiten Tag der Biotechnologietage gekürt wurden (mehr...), setzt der Spinnovator ganz am Anfang an. Aussichtsreiche Forschungsprojekte werden auf Arbeitsgruppenebene identifiziert, für jedes dieser Projekte ein Start-up gegründet und dieses über etwa fünf Jahre hinweg professionell unterstützt und begleitet. „Die enge Kooperation von Wissenschaft, Technologietransfer und Risikokapital in diesem frühen Projektstadium ist etwas Neues in Deutschland“, sagt Christian Schneider, Partner bei Vesalius.

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Hinreichende Finanzierung als wichtige Voraussetzung für Innovationen

Wer zuerst fördert, mahlt eben auch zuerst, kalkuliert Schneider. „Durch unseren Partner wissen wir so gut wie niemand sonst, wer zu welchen interessanten Themen in den beteiligten Instituten forscht." Ascenion hat das exklusive Recht, für 24 öffentliche Forschungseinrichtungen der Helmholtz- und Leibnizgemeinschaft sowie der  Medizinischen Hochschule Hannover Patente anzumelden. Zu den Projektfördermitteln des BMBF legt Vesalius dabei noch einmal 20 Millionen Euro drauf. Außerdem können sich weitere Investoren an den Start-ups beteiligen und damit das Finanzierungsvolumen pro Unternehmen noch einmal deutlich erhöhen.

BMBF-Staatssekretär Georg Schütte betonte die Bedeutung der Biotechnologie für die Innovationsstrategie der Bundesregierung.Lightbox-Link
BMBF-Staatssekretär Georg Schütte betonte die Bedeutung der Biotechnologie für die Innovationsstrategie der Bundesregierung.Quelle: Alex Schelbert

„Eine hinreichende Finanzierung ist eine wichtige Voraussetzung für Innovationen. Das Engagement für den Spinnovator ist daher Teil unserer Strategie, das Potenzial der Spitzenforschung in Deutschland zu nutzen“, sagte BMBF-Staatssekretär Georg Schütte in seiner Rede im vollbesetzten Ballsaal. Gleichzeitig beruhigte er die versammelte Branche, dass die Bundesregierung der Biotechnologie nach wie vor eine große strategische Bedeutung beimisst. Auch wenn es im BMBF mit der inhaltlichen Neuorganisation nach Bedarfsfeldern im Zuge  der vergangenen Bundestagswahl kein eigenes Biotechnologiereferat mehr gebe, sei sie keineswegs unwichtig geworden. „Ganz im Gegenteil. Als echte Querschnittstechnologie steckt die Biotechnologie in vielen der neuen Referate drin, von Gesundheitswirtschaft bis Bioökonomie.“

Gerade die Biologisierung der Wirtschaft wird von der Politik als unausweichlich und chancenstark erkannt. Nicht zuletzt deshalb wurde die im November 2010 lancierte „Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ schon wenige Monate später in eine erste konkrete Fördermaßnahme gegossen (mehr...). In den nächsten fünf Jahren will das BMBF in der „Innovationsinitiative Industrielle Biotechnologie“ bis zu 100 Millionen Euro für Innovationsallianzen einsetzen, die sowohl bei den Produkten als auch in der Produktion neuartige biologische Lösungen anstreben.

Rund 40 Unternehmen rund um die Biotechnologie präsentierten sich im Ausstellungsteil der Biotechnologietage, im Hilton Hotel im Tucherpark am Englischen Garten in München. Lightbox-Link
Rund 40 Unternehmen rund um die Biotechnologie präsentierten sich im Ausstellungsteil der Biotechnologietage, im Hilton Hotel im Tucherpark am Englischen Garten in München. Quelle: Alex Schelbert

Fünf Allianzen, 35 Unternehmen, 182 Millionen Euro

Auf den Biotechnologietagen kündigte Ralf Kelle, der beim Spezialchemiehersteller Evonik für die Biotechnologiesparte zuständig ist, die ersten Verbünde an, die sich unter dem Dach des "Industrieverbunds Weiße Biotechnologie" (IWBio) auf den Aufruf hin gebildet haben. In den fünf sogenannten „Innovationsallianzen“ sind demnach über 35 Unternehmen engagiert. Die Konsortien planen mit einem Projektvolumen von 182 Millionen Euro. „Ich glaube, wir haben in Deutschland eine vielfältige Landschaft rund um die Biotechnologie“, sagte Kelle und verwies dabei nicht nur auf die Biotech-Firmen, die Chemie- und Pharmaindustrie, sondern auch auf die Biosimiliarproduzenten, die Konsumgüterhersteller sowid Geräte- und Apparateproduzenten. „Künftig geht es allerdings darum, die Schnittstellen zwischen diesen Bereichen besser zu nutzen, um Wachstum zu generieren." Mit den geplanten fünf Konsortien sieht Kelle die Industrie dafür gut aufgestellt.

Deutsche Biotechnologietage 2011

Mehr Informationen über die Biotechnologietage und deren genaues Programm:

www.biotechnologietage-2011.de

Innovationspreise für neuartige Therapieansätze

Während das große Potenzial der industriellen Biotechnologie eines der Hauptthemen in den einzelnen Symposien war, dominierten beim Innovationspreis der BioRegionen traditionell die Mediziner. „Sowohl die Menge der Bewerbungen, als auch die Qualität der einzelnen Einsendung war in diesem Jahr erstaunlich hoch“ sagte Bernward Garthoff, Manager des Clusters Biotechnologie Nordrhein-Westfalen BIO.NRW und diesjähriger Organisator des Innovationspreises bei der Verleihung am ersten Tag. „Wir haben sehr lange mit uns gerungen, um die drei Preisträger zu ermitteln.“ Georg Brunner und Jens Atzpodien von der Fachklinik Hornheide in Münster wurden für eine neue, personalisierte Diagnostikmethode ausgezeichnet, welche beim schwarzen Hautkrebs eine verbesserte Prognose und anschließende Therapieentscheidung ermöglicht.

Miriam Schroer und Thomas Niemann von Hessen Biotech präsentieren den Staffelstab, den sie von Horst Domdey erhalten haben. 2012 werden die Biotechnologietage in Frankfurt stattfinden.Lightbox-Link
Miriam Schroer und Thomas Niemann von Hessen Biotech präsentieren den Staffelstab, den sie von Horst Domdey erhalten haben. 2012 werden die Biotechnologietage in Frankfurt stattfinden.Quelle: Alex Schelbert

Saskia Biskup vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung am Universitätsklinikum Tübingen hat ein neues, patentiertes Verfahren entwickelt, das möglicherweise die Früherkennung neurodegenerativer Erkrankungen wie zum Beispiel der Parkinson-Erkrankung, erlaubt und das sich jetzt in klinischer Erprobung befindet. Tobias Pöhlmann konnte gleich doppelt feiern. Für die Entwicklung einer leistungsfähigen siRNA-basierte Therapie von Tumor- oder Viruserkrankungen wurde ihm nicht nur der Innovationspreis verliehen. Pöhlmann ist auch einer der jungen Gründer, die in diesem Jahr eine Go-Bio-Förderung durch das BMBF bewilligt bekamen.

Im nächsten Jahr ziehen die Biotechnologietage nach Frankfurt. Sie haben sich in ihrem zweiten Jahr schon als wichtiger Treffpunkt etabliert. Horst Domdey, Leiter der BioM Biotech-Cluster Development GmbH, freute sich dann auch über den „zunehmend familiärem Charakter“ des Treffens. Viola Bronsema, Geschäftsführerin der Industrievereinigung BIO Deutschland, konkretisierte: “Der ständige Innovationsnachschub in der Branche erfordert ein regelmäßiges Forum, das uns mit allen relevanten Akteuren aus Politik, Verwaltungen, den Finanzierungs- und Patenteinrichtungen zusammenbringt.“ Am Ende der zwei intensiven Tage übergab Domdey den Staffelstab an den Kollegen Thomas Niemann vom benachbarten Regionalverband Hessen Biotech. „Die Biotechnologietage sind eine Hauptstadtveranstaltung“, sagte Niemann, als er die gelb eloxierte Aluminiumröhre von Domdey entgegennahm. „Während sie 2010 in Berlin und dieses Jahr in der Hauptstadt der Biotech-Gründer stattfanden, geht es im nächsten Jahr nach Frankfurt, in die Hauptstadt der produzierenden Biotechnologie.“

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