Deutsche Biobanken bündeln Ressourcen

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Moderne Biobanken werden weitestgehend automatisiert, um eine sichere Lagerung und ein sicheres Handling der Bioproben zu gewährleisten. Quelle: H.-G. Schröder/UKJ

13.04.2011  - 

Biobanken gibt es in Deutschland viele. Eine systematische Nutzung dieses Schatzes war für Wissenschaftler bislang jedoch kaum möglich: Zu unterschiedlich wurden die Proben gelagert, zu divers war ihre Qualität oder die Art der Vorbehandlung. Das soll sich jetzt ändern. Unter dem Dach der „Nationalen Biobanken Initiative“ sollen an den fünf Modellstandorten Aachen, Berlin, Heidelberg, Kiel und Würzburg erstmals alle dort verfügbaren Biobanken zusammengeführt werden. Wie auf einem Kick-off-Meeting Anfang April in Berlin berichtet wurde, stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dafür in den nächsten 5 Jahren rund 17 Millionen Euro zur Verfügung. Fast zeitgleich diskutierte der Ethikrat, ob Deutschland ein Biobanken-Gesetz braucht.

Schon zu Beginn lief die Therapie des kleinen Ludger nicht gut. Statt gegen die akute Leukämie zu bekämpfen, zeigten sich Nebenwirkungen. Selbst nachdem die Ärzte ein Chemotherapeutikum gegeben hatten, das eigentlich Erwachsenen vorbehalten ist, kehrte der Blutkrebs zurück. Gerade einmal in die 2. Klasse gekommen, starb der Junge. Hätten die Ärzte gewusst, welches Medikament das Richtige für Ludger gewesen wäre – sie hätten wohl eine Chance gehabt, sein Leben zu retten.

Fälle wie die von Ludger sind nicht selten. Vor allem bei der Behandlung von Krebspatienten stoßen Ärzte an ihre Grenzen. Immer wieder verabreichen sie Medikamente, von denen sie vorher nicht wissen, ob sie dem Patienten auch helfen. seit Jahren arbeiten Forscher deshalb daran, eine individuell wirksame Therapie künftig bereits vor Beginn einer Behandlung zu identifizieren. Dafür wollen Forscher jetzt einen Schatz heben, der bislang verstreut über die ganze Bundesrepublik in den einzelnen Klinik- und Forschungsinstituten lagerte: Blut-, Urin-, Stuhl- und Gewebeproben sowie die dazugehörigen medizinischen Daten. Bislang war die Probenzahl in solchen Biomaterialbanken zu klein, und ihre Qualität oder Vorbehandlung zu heterogen, um Klinikern und Epidemiologen die für die verschiedenen Krankheitssubtypen individuell ganz verschiedenen Veränderungen in den Zellen der Kranken systematisch zu identifizieren. Dies ändert sich nun.

Vorhandene Daten und Proben bündeln

Biobanken

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Erstmals bündeln Forscher Deutschlands bereits vorhandene Ressourcen für die Biomarkersuche und setzen damit auch international Maßstäbe. Im Rahmen der Anfang April in Berlin gestarteten Nationalen Biobank Initiative führen Kliniker und Epidemiologen an den fünf Modell-Standorten Aachen, Berlin, Heidelberg, Kiel und Würzburg erstmals in Deutschland statistisch hinreichende Proben- und Datenmengen aus verschiedenen lokalen  Quellen zusammen, um das Biobanking zu vereinheitlichen und zu zentralisieren. Dabei werden sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des neuen Gesundheitsforschungsprogramms geplant. Insgesamt stehen rund 17 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre zur Verfügung, hieß es am Rande des Kick-off-Meetings der „Nationalen Biobank Initiative“ vor mehr als 70 deutschen und britischen Biobank-Experten in den Räumen der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF) in Berlin.

Auch die nächsten Weichen auf dem Weg in die personalisierte Medizin hat das BMBF bereits gestellt. Bis 2013 wird ein Nationales Biobank-Register von der TMF aufgebaut, in der Kliniker künftig bundesweit die Verfügbarkeit von Proben und Daten sowie die laufenden Forschungsprojekte abrufen können sollen. Zugleich ist geplant, dass die TMF als Kommunikationsplattform dient – auch mit Blick auf die Vernetzung im Rahmen der europäischen Biobank-Struktur BBMRI. „Durch die Biobankvernetzung wird die Scientific Community in Deutschland insgesamt stärker. Damit können wir ganz neue Fragestellungen angehen“, sagt Michael Hummel. Der Professor koordiniert derzeit die zentrale Zusammenführung 12 krankheitsbezogener Biobanken in einer neuen „Zentralen Biobank Charité“ (ZeBanc) am Klinikum Benjamin Franklin im Berliner Süden.

Ziel: Einheitliche Charakterisierung und Behandlung der Proben

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Bei der Vernetzung geht es den Forschern vor allem darum, die unterschiedlichen Daten und Proben der lokalen Biobanken möglichst einheitlich zu charakterisieren und zu behandeln – das wiederum wäre die Basis, um schnell neue Biomarker zu finden und diese repräsentativ zu validieren. An allen Standorten werden daher zunächst Standards hinsichtlich der Probenlagerung, -charakterisierung, -behandlung und -dokumentation, der Qualitätssicherung, aber auch hinsichtlich des Datenschutzes und Patienteneinwilligung etabliert.

„Zunächst macht es Sinn, die Biobanken auf Datenebene zu vereinigen, und dann in Projekten zusammengefasst zu untersuchen“,  sagt Edgar Dahl. Der Koordinator der „Zentralisierten Biomaterialbank des RWTH Aachen“ (cBMB), in der der Zugriff auf Proben und Daten der 10 krankheitsspezifischen Biobanken des Klinikums zentralisiert werden soll, will dabei von Anfang Kliniker einbinden.

Auch in Kiel beim Popgen-2.0-Netzwerk laufen die Arbeiten derzeit auf Hochtouren. Hier sollen die rund 75.000 Proben aus der populationsbezogenen Biobank Popgen mit mehr als 700.000 klinischen Proben, die zumeist aus der Pathologie stammen, zusammengeführt werden. Mit zusätzlich akquirierten Drittmitteln wird zudem ein zentrales Tiefkühllager für DNA-Proben am Standort aufgebaut. „Um die sensiblen, medizinischen Daten vor unberechtigtem Zugriff zu schützen, ist hier eine zentrale IT-Struktur geplant“, berichtete die Epidemiologin Ute Nöthlings in Berlin. 

Auch in der Pause gingen die Gespräche weiter: Intensiv diskutierten die Gäste die Thesen der Experten.Lightbox-Link
Auch in der Pause gingen die Gespräche weiter: Intensiv diskutierten die Gäste die Thesen der Experten.Quelle: biotechnologie.de

Eine der größten zentralisierten Gewebebankstrukturen in Europa soll im Rahmen der Nationalen Biobank Initiative am Standort Heidelberg entstehen. Hier wollen die Forscher auf der bereits seit 2005 existierenden Gewebebank des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) aufbauen – mit fast 700 betreuten Projekten eine der aktivsten Biobanken überhaupt. „Schon jetzt umfasst die NCT-Gewebebank mehr als 500.000 formalinfixierte und über 21.000 tiefgefrorene Gewebeproben sowie zahlreiche Tissue Microarrays“, sagte Peter Schirmacher, Ärztlicher Direktor des Pathologischen Instituts der Universitätsklinik Heidelberg und Sprecher der NCT Gewebebank, in Berlin.

An der Universität Würzburg wiederum geht es darum, bis 2015 in der „Interdisziplinären Biomaterial- und Datenbank Würzburg“ (IBDW) Daten aus 14 Biobanken zusammenzuführen und die Proben in einer DNA-Bank, einer Biobank für Körperflüssigkeiten und ein für Gewebesammlungen zentral einzulagern.

Systematische Biomarkersuche ermöglichen

ZeBanc-Koordinator Hummel aus Berlin ist optimistisch, dass die Bündelung der klinisch orientierten Biobanken schnell beim Patienten ankommt. „Wir wissen derzeit noch zu wenig über die Krankheitsentstehung, um diese zu verhindern“, so der Pathologe. Populationsbasierte Studien wie etwa die Nationale Kohorte, bei der unter Federführung des Epidemiologen Erich Wichmann vom Helmholtz-Zentrum München die Entstehung von Krankheiten an 200.000 gesunden Personen beobachtet werden soll (mehr...), könnten dabei helfen. Aber auch kurzfristig erwarten die Experten einen Effekt: Etwa um mit den vorhandenen molekularen Methoden und neuesten Verfahren der Genomentschlüsslung  diejenigen Patienten zu identifizieren, die auf bereits zugelassene Wirkstoffe ansprechen.

Unklar ist noch, wie die biopolitische Landschaft auf die weltweit anwachsende Zahl an Biomaterialbanken reagiert. Einen Tag vor dem Kick-off Meeting der Nationalen Initiative erneuerte der Deutsche Ethikrat vor 250 Besuchern in Berlin seine Empfehlung, die Biobankforschung gesetzlich zu regeln (zur Stellungnahme...). Nach Ansicht einer Ratsmehrheit soll dazu der Zugriff auf die sensiblen persönlichen Daten auf Biobank-Forscher beschränkt werden. Fremdzugriffe, etwa durch Ermittlungsbehörden, will der Ethikrat durch Einführen einer Schweigepflicht und eines Zeugnisverweigerungsrechts für Biobankforscher erreichen. Die Wissenschafter indes halten die bestehenden gesetzlichen Regeln für hinreichend und fürchten einen bürokratischen Mehraufwand.

Umgang mit Biobanken in der Gesellschaft

 

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.Lightbox-Link
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.Quelle: biotechnologie.de

Die Diskrepanz zwischen öffentlich geführten Debatten und der Forschungspraxis ist groß. So präsentierte Ethikprofessor Peter Dabrock auf der Ethikratssitzung Umfrageergebnisse aus der Europäischen Union, wonach nur rund 40% der Deutschen und Österreicher bereit zur Spende von Biomaterialien seien. Dem wiederum hielten die Wissenschaftler ganz andere Erfahrungen aus der Praxis entgegen. „An Gesundheitsuntersuchungen, die einen halben Tag Zeit erfordern, nehmen zwei Drittel der von uns Angesprochenen teil. 98% aller von uns Befragten sind bereit ihre Proben für alle Forschungsfragen zu spenden“, berichtete beispielsweise Erich Wichmann aus München. Eine Erfahrung, die sein Kollege Schirmacher aus Heidelberg bestätigte.   

„An einem hohen Schutzniveau der Daten besteht bei den Biobankbetreiben ein hohes Eigeninteresse“, sagte denn auch Michael Krawczak vom Kieler Popgen2.0-Netzwerk. Ähnlich sieht das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).  Anfang April hatte sie ihre Position zur Ethikrat-Stellungnahme klargemacht: Die Forschungsorganisation empfiehlt,  die Umsetzung in die Hände der Wissenschaftler zu legen und hält ein Gesetz aktuell für verzichtbar (mehr...).

 

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