Genetischer Schutzwall gegen Tuberkulose entdeckt

Fresszellen des Körpers auf der Jagd nach einem Tuberkulose-Erreger. Nur bei jedem Zehnten bricht die Krankheit aus. Hamburger Forscher haben den verantwortlichen Genombereich identfiziert. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Fresszellen des Körpers auf der Jagd nach einem Tuberkulose-Erreger. Nur bei jedem Zehnten bricht die Krankheit aus. Hamburger Forscher haben den verantwortlichen Genombereich identfiziert. Quelle: MPI für Infektionsbiologie/Volker Brinkmann

18.08.2010  - 

Tuberkulose ist eine der tödlichsten Infektionskrankheiten weltweit. Mehr als eine Million Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen dieser Erkrankung. Ausgelöst wird sie durch Bakterien der Gattung Mycobacterium. Allerdings macht neun von zehn Infizierten der Bakterienbefall gar nichts aus, sie sind von Geburt an immun. Zusammen mit afrikanischen und britischen Kollegen haben Wissenschaftler des Bernhard Nocht-Instituts (BNI) nun erstmals jene Region im Genom identifizieren können, von der die segensreiche Schutzwirkung ausgeht. Vielleicht sind damit neue Wege in der Suche nach einem Impfstoff und der Bekämpfung von resistenten Tuberkulose-Stämmen aufgetan, schreiben die Forscher im Fachjournal Nature Genetics (Online-Veröffentlichung, 8. August 2010).



„Mit unserer Arbeit haben wir gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist, durch Untersuchung des gesamten menschlichen Genoms aufzuklären, warum etwa 90 Prozent der Menschen natürlicherweise vor Tuberkulose geschützt sind“, sagt Rolf Horstmann, Leiter des Projekts am BNI.

Mutationen, die Tuberkulose begünstigen, verschwinden schnell aus dem Genpool

Dieser Nachweis war gar nicht so einfach. Denn obwohl Mediziner schon seit längerem beobachten, dass die meisten Menschen von Geburt an immun sind gegen den Ausbruch einer Tuberkulose-Erkrankung, konnten die dafür verantwortlichen Erbgutveränderungen noch nicht dingfest gemacht werden. Das resultiert aus einer zwangsläufigen Verzerrung der Untersuchungspopulation. „Mutationen, die das Risiko von lebensbedrohlichen Infektionen wie Tuberkulose deutlich erhöhen, verschwinden offenbar schnell aus dem Gen-Pool der Menschheit, weil die Sterblichkeit an diesen Infektionen im Kindesalter eine Vererbung auf die nächsten Generationen verhindert“, erklärt Horstmanns Kollege Thorsten Thye aus der Forschergruppe am BNI. Das machte die Suche nach dem natürlichen genetischen Schutzwall gegen Tuberkulose außergewöhnlich aufwendig.

Bernhard Nocht-Institut

Der Hamburger Hafenarzt Bernhard Nocht übernimmt 1900 als erster Direktor die Leitung des Instituts für Schiff-und Tropenkrankheiten, das aus dem Hamburger Seemannskrankenhaus entstanden ist.

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Die Forscher mussten einen Genpool kreieren, der nicht nur ungewöhnlich groß sein musste, sondern auch ethnische Grenzen überschritt. Denn die Anfälligkeit für eine Tuberkulose-Erkrankung variiert von Kontinent zu Kontinent. Insgesamt ist nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zwar ein Drittel der Menschheit mit dem Bakterium infiziert, die Erkrankung bricht allerdings nur bei vergleichsweise wenigen aus. Eine Zusammenarbeit über zwei Länder hinweg genügte da nicht. „Ebenso wie die Hamburger Gruppe mit Kollegen aus Ghana konnten auch wir mit unseren Kollegen in Gambia keine eindeutigen Unterschiede zwischen Tuberkulosepatienten und Gesunden finden“, erläutert Adrian Hill, Leiter der Forschergruppe im britischen Wellcome Trust Centre for Human Genetics an der Universität Oxford. „Erst als wir unsere Daten zusammengelegt haben, hat es geklappt.“

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Insgesamt wurden bei nahezu 6000 Personen jeweils Hunderttausende von Mutationen im Genom untersucht, und interessante Bereiche wurden im Genom bei weiteren 5000 Personen überprüft. Durch den groß angelegten Vergleich fiel schließlich eine Region im Genom auf, die sich signifikant unterschied. In einem nächsten Schritt gilt es herauszufinden, welche Gene sich nun im Einzelnen Veränderungen aufweisen und welche Funktionen sie im menschlichen Körper haben, um die neuen Befunde für die Entwicklung von Impfstoffen oder neuartigen Medikamenten nutzen zu können.

Aussicht auf neue Impfstoffe

Das ist auch für Deutschland relevant. Zwar ist die Anzahl der Neuerkrankungen hier seit Jahrzehnten relativ gering, da der Ausbruch der Erkrankung auch von der Stärke des Immunsystems der Betroffenen und den hygienischen Umständen abhängt. Doch eine wirksame Behandlung von Tuberkulosekranken könnte in Zukunft schwieriger werden. Denn einigen Erregern ist mit den üblichen Antibiotika nicht mehr beizukommen, sie haben Resistenzen entwickelt. Versteht man nun, was die einzelnen natürlichen Immun-Gene im Menschen eigentlich bewirken, könnte eine Nachahmung dieser Wirkung vielleicht neue Medikamente hervorbringen, gegen die es keine bakterielle Gegenwehr mehr gibt. „Bis zur praktischen Anwendung dieser Ergebnisse ist es allerdings noch ein weiter Weg“, sagt Rolf Horstmann vom BNI.

Doch der Weg könnte sich lohnen. Denn bisher tun sich Mediziner schwer, der Krankheit zu begegnen. Besonders problematisch erweist sich die Entwicklung eines Impfstoffs. Ein deutsches Konsortium, die Vakzine Projekt Management GmbH, ist ganz vorne dabei (mehr...). Der Kandidat VPM1002 hat die Phase I der klinischen Prüfung abgeschlossen, für die weitere Entwicklung wird ein Partner untersucht. Der Lebendimpfstoff wurde mit einem Bakterien-Gen so verändert, dass er die körpereigene Abwehr besser stimuliert. Die wissenschaftliche Basis hierfür wurde von Stefan Kaufmann am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie erarbeitet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte die Arbeit des Forschungsbündnisses, das auch andere Impfstoffe erforscht, von 2001 bis 2010 mit insgesamt rund 25 Millionen Euro.

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