Genom der Braunalge wirft Licht auf Evolution der Photosynthese

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Ihr Genom ist entschlüsselt - die Braunalge "Ectocarpus siliculosus" im Labor Quelle: Delphine Scornet/Station Biologique Roscoff

11.06.2010  - 

Braunalgen sind ein Erfolgsmodell der Natur. Entwicklungsgeschichtlich stehen sie am Anfang der Entwicklung vom Einzeller zum Vielzeller und sind damit uralt. Trotzdem gibt es sie nach wie vor, zum Teil bedecken riesige Wälder von bis zu 160 Meter langen Exemplaren den Meeresboden. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung haben zusammen mit internationalen Kollegen erstmals das Genom der Braunlage Ectocarpus siliculosus entschlüsselt und ausgewertet. Die 16.000 identifizierten Gene liefern Erkenntnisse über die Entwicklung des Lebens, der Photosynthese und eventuell auch Hinweise darauf, wie Pflanzen Stress überstehen können, wie die Forscher im Fachmagazin Nature (Bd. 465, S. 617-621, 3. Juni 2010) berichten.


 

Fünf Jahre haben 100 Wissenschaftler und Techniker an der Entschlüsselung des Genoms der Braunalgenart Ectocarpus siliculosus gearbeitet. E. siliculosus wird etwa 20 Zentimeter lang und kommt vorwiegend an den Küsten gemäßigter Breiten vor. Die Alge ist zwar entwicklungsgeschichtlich ein sehr altes Lebewesen, verfügt aber mit 214 Millionen Basenpaaren schon über ein Erbgut von erheblicher Größe. Die Forscher konnten rund 16.000 Gene, also sinnhafte Abschnitte, die den Bauplan für ein Eiweiß tragen, identifizieren. Zum Vergleich: Das Genom des Bakteriums Mycoplasma mycoides, das vom amerikanischen Genetik-Unternehmer Craig Venter als Vorlage für das erste synthetische Genom verwendet wurde, umfasst gerade einmal 1 Million Basenpaare (mehr...).

Braunalgen können unter Wasser ganze Wälder bilden - hier Exemplare der Gattung "Fucus".Lightbox-Link
Braunalgen können unter Wasser ganze Wälder bilden - hier Exemplare der Gattung "Fucus".Quelle: Udo Schilling

Im Braunalgen-Genom finden sich alte Bekannte

Die Biologen Klaus Valentin und Bank Beszteri vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft waren vom Start weg an dem weltumspannenden Kooperationsprojekt beteiligt. „Als Evolutionsforscher interessiert uns vor allem, warum sich die Welt so entwickelt hat, wie wir sie heute kennen“, erklärt Valentin. „Im Laufe der Erdgeschichte hat sich aus Einzellern fünfmal unabhängig voneinander komplexes vielzelliges Leben entwickelt. Aus diesen fünf Linien sind die Tiere, die Pflanzen, die Pilze, die Rotalgen und die Braunalgen unabhängig voneinander entstanden.“

Evolutionsforscher haben sich deshalb das Ziel gesetzt, aus jeder dieser Gruppen jeweils ein Genom vollständig zu entschlüsseln und nach vergleichbaren Erbinformationen zu suchen. Für ein Braunalgengenom ist dieses Ziel nun erreicht. „Die Entschlüsselung eines Rotalgengenoms ist bereits beendet, an der Auswertung arbeiten wir im Moment“, sagt Valentin. Wie vermutet fanden sich im Braunalgen-Genom einige alte Bekannte wieder - vor allem Gene für  bestimmte Enzyme und Transkriptionsfaktoren. „Derartige Gene kommen auch bei Landpflanzen häufig vor“, meint Valentin, „und wir vermuten, dass sie für die Entstehung vielzelliger Organismen eine große Bedeutung besitzen“.

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Enorme Konkurrenzvorteile durch gekaperte Photosynthese

Auch in einer zweiten zentralen Frage der Pflanzenenforschung hilft der Blick ins Braunalgengenom: die Evolution der Photosynthese, also die Fähigkeit pflanzlicher Organismen, Sonnenlicht in biologisch verwertbare Energie umzuwandeln und dabei Sauerstoff freizusetzen. „Wir wissen mittlerweile, dass die Sauerstoff erzeugende Photosynthese vor ca. 3,8 Milliarden Jahren von Cyanobakterien erfunden wurde“, sagt  Valentin. „Grün- und Rotalgen konnten diese Fähigkeit entwickeln, nachdem ihre Vorfahren lebende Cyanobakterien in sich aufgenommen und die Photosynthese damit gewissermaßen gekapert haben - zum Vorteil beider Seiten, denn diese Symbiose brachte im Urmeer enorme Konkurrenzvorteile.“

Bei den Braunalgen ging man bisher davon aus, dass sie aus einer Verschmelzung von photosynthetisch inaktiven, farblosen Zellen mit einer einzelligen Rotalge entstanden. Das stimmt so nicht, zeigt sich jetzt. Wie die Kieselalgen sind offenbar auch die Braunalgen aus der Fusion einer Grünalge mit einer Rotalge entsprungen. „Wir haben in Braunalgen einen hohen Anteil von Genen gefunden, die charakteristisch für Grünalgen sind, darunter auch die bereits erwähnten, für vielzellige Landpflanzen typischen Gene für Kinasen und Transporter“, so Valentin. „Wie weit wir hier auf die Spur gemeinsamer Ursprünge vielzelligen Lebens gestoßen sind, müssen nun weitere Untersuchungen zeigen.“

Braunalgen klären aber nicht nur die Vergangenheit auf, sondern könnten auch wichtige Hinweise für die Zukunft geben. An den Felsküsten polarer und gemäßigter Breiten spielen sie im Ökosystem eine ähnliche Rolle wie Bäume auf dem Festland. Manche Arten können eine Länge von bis zu 160 Metern erreichen. Diese „unterseeischen Wälder“ sind nicht nur ein wichtiger Lebensraum für Meerestiere. In Gegenden mit ausgeprägten Gezeiten fallen sie oft für mehrere Stunden trocken und zeigen eine enorme Stresstoleranz. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels interessiert uns nun, wie anpassungstolerant Braunalgen an UV-Licht und steigende Temperaturen sind, wie gut sie sich also auf veränderte Lebensbedingungen einstellen können“, erklärt Valentin. „Zudem sind Braunalgen erdgeschichtlich viel älter als die Landpflanzen.“ Die Vielfalt ihrer Stoffwechseleigenschaften sei enorm, aber kaum erforscht. „Wenn wir die Fähigkeiten, die in ihrem Erbgut enthalten sind, besser kennen lernen, könnten sich daraus auch Ansatzpunkte für neue Produkte und Technologien ergeben“, so der Forscher.

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