DKFZ vervielfacht Kapazität bei DNA-Sequenzierung
09.06.2010 -
In Heidelberg wartet man auf Post aus Übersee. Wenn die Kisten aus Kalifornien eintreffen, wird das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) auf einen Schlag über die deutschlandweit größte Kapazität in der DNA-Sequenzierung verfügen. Zehn Hochdurchsatz-Sequenzierer der neuesten Generation will die amerikanische Firma Life Technologies den Krebsforschern in einer europaweit einmaligen Partnerschaft zur Verfügung stellen. Als Erstes wollen die Wissenschaftler damit ihren Part im Internationalen Krebsgenom-Konsortium erfüllen und die DNA von Hirntumoren bei 600 Kindern auf Besonderheiten abklopfen. Das ist kein Problem mehr. "Mit den neuen Geräten können wir jetzt 750 Genome im Jahr auslesen", sagt Roland Eils, der Chef-Systembiologe des DKFZ. Ist diese Aufgabe erfüllt, soll die systembiologische Grundlagenforschung von den massiven Kapazitäten profitieren.
Eigentlich kommt das Sequenzermodell "SOLiD 4 hq" von Life Technologies erst Ende des Jahres heraus. In Heidelberg werden jedoch schon bald zehn der grauen Geräte stehen, die etwas größer als ein Bürokopierer sind, pro Stück aber rund eine halbe Million Euro kosten. Die kalifornische Firma suchte in Europa einen hochrangigen Partner, um jeweils die neuesten Entwicklungen von Experten testen zu lassen. Die Wahl fiel auf das Deutsche Krebsforschungszentrum. Das Institut verfügt damit noch vor dem Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin mit einem Mal über die größte Sequenzierkapazität in Deutschland.
Laborriese mit 3,3 Milliarden Euro Umsatz
Life Technologies ist in Deutschland spätestens seit der Übernahme des Regensburger Gensynthesespezialisten Geneart (mehr...) kein Unbekannter mehr. Für 60 Millionen griffen die Kalifornier im April zu, um den Weltmarktführer in der Herstellung von Erbgut-Sequenzen zu kaufen. Der Laborriese Life Technologies entstand 2008 aus der Fusion von Applied Biosystems und Invitrogen. 9000 Mitarbeiter erwirtschafteten 2009 einen Umsatz von 3,3 Milliarden Euro.
Die Kalifornier profitieren ebenfalls von der jetzt beschlossenen Partnerschaft. Zum einen färbt der gute Ruf des DKFZ auch ein wenig auf das Unternehmen und ihre Geräte ab. „Wir freuen uns, dass wir auf diesem wichtigen Gebiet Technologiepartner des DKFZ sind“, sagte Mark Stevenson, der Chief Operating Officer von Life Technologies. Außerdem leiten die DKFZ-Experten ihre Erfahrungen im Umgang mit den High-Tech-Maschinen direkt an die Entwicklungsabteilung im kalifornischen Carlsbad weiter. Das fließt dann in die nächste Modellgeneration ein. Kontinuierliche Verbesserungen sind immens wichtig, um bei dem weltweiten Wettrennen um die besten Sequenzierer die Nase vorn zu behalten.
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Genome von 600 kleinen Patienten analysieren
Der Pulsschlag der Branche ist hoch. Schon bei der Vorstellung eines neuen Geräts ist die Technik fast wieder überholt. „Ein Innovationszyklus beträgt 12-18 Monate“, sagt Eils, der als Abteilungsleiter für die Bioinformatik und Systembiologie am DKFZ zuständig ist (mehr...). Wer bei dieser Geschwindigkeit innehält, gerät schnell ins Hintertreffen. Ein außerordentlich wichtiger Bestandteil der jetzt beschlossenen Allianz ist für Eils deshalb die Zusicherung, dass die Techniker von Life Technologies die Sequenzierer immer auf dem neuesten Stand halten. „So ein Upgrade kann schnell einige hunderttausend Euro Kosten“, sagt Eils. „Das ist selbst für ein großes Zentrum wie uns eine immense Summe.“
Die kostbaren Maschinen dürfen deshalb nicht untätig herumstehen. Sobald sie installiert sind, werden sie auch schon für das erste wissenschaftliche Großprojekt verwendet. Das DKFZ beteiligt sich am Internationalen-Krebsgenom-Konsortium, in dem hunderte von Wissenschaftlern weltweit die genetischen Grundlagen der verschiedensten Krebsarten auf den Grund gehen wollen (mehr...). Im Teilprojekt in Heidelberg geht es um Gehirntumoren bei Kindern. Die Wissenschaftlern untersuchen insgesamt 600 kleine Patienten mit bestimmten Hirntumoren. Erbgutproben aus den Tumorzellen werden analysiert und mit gesunden Zellen verglichen. Daraus sollen Genregionen identifiziert werden, die durch ihre Veränderung bei der Ausbildung dieser Tumoren beteiligt sein könnten. Insgesamt müssen also 1200 Genome sequenziert werden. Durch die Partnerschaft können wir das jetzt im Haus erledigen“, sagt Eils. Mit einer Kapazität von 750 Genomen im Jahr wird es keine zwei Jahre dauern, bis diese Aufgabe erledigt ist.
Aktivität von Genen bei Krankheiten untersuchen
Heidelberg ist in Deutschland einer der führenden Standorte für Systembiologie und seit 2007 auch eines von vier "Forschungseinheiten der Systembiologie" FORSYS, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bis 2011 mit insgesamt 45 Millionen Euro unterstützt werden. In Heidelberg geht es um die Interaktion von Viren und ihren Wirtszellen, am Beispiel des Aids-Erregers HIV und des Hepatitis-C-Virus. In einer Zwischenbewertung wurden den vier FORSYS-Zentren, die neben Heidelberg in Freiburg, Potsdam, und Magdeburg entstanden sind, erst vor kurzem von einem Expertengremium gute Arbeit bescheinigt (mehr...).
Wenn sie ihren Beitrag zum internationalen Krebsgenom-Konsortium erbracht haben, werden die zehn neuen Sequenzierer auch im Dienste von FORSYS eingesetzt. Die Systembiologie untersucht Organismen als Netzwerk von Genen, Eiweißen und biochemischen Reaktionen, die in ihrer Gesamtheit das Leben entstehen lassen. Oft erfordern die Experimente in dieser noch recht jungen Disziplin der Biologie, dass Vorgänge in Zellen über längere Zeiträume hinweg beobachtet werden. So kann durch das Auslesen der Boten-RNA zum Beispiel bestimmt werden, wie viele Eiweiße aus den einzelnen Genen entstanden sind.
Diese Zeitreihen-Untersuchungen erforden nicht nur einen Sequenzierdurchgang wie bei klassischen Genomuntersuchungen, sondern mehrere hintereinander, da sich die Aktivität von Genen immer wieder verändern kann.
„Wir möchten verstehen, wie diese komplizierten dynamischen zellulären Prozesse in Krankheiten fehlreguliert sind“, so Eils, der auch als Leiter der Helmholtz-Allianz für Systembiologie fungiert, an der mehrere Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft beteiligt sind. „Vor allem interessiert uns, wie kleinste Störungen dieser Prozesse zur Krankheiten wie Krebs führen können. Die Zusammenarbeit mit Life Technologies wird es uns ermöglichen, die beste erreichbare Qualität an Daten zu erzeugen.“ Die systembiologischen Untersuchungen werden vor allem den zweiten Teil der dreijährigen Vertragslaufzeit mit Life Technologies prägen.
Die Ehe auf Zeit könnte aber zu einer längeren Beziehung werden. „Ich gehe davon aus, dass die drei Jahre nur die erste Stufe einer stabilen Zusammenarbeit sind“, sagt Eils zuversichtlich. Die Zeichen stehen auf Expansion . „Wenn wir noch mehr Kapazitäten brauchen, dann bekommen wir auch mehr“, sagt Eils. Das hätten die Kalifornier schon angedeutet.